laut.de-Kritik
Hier kommt der Abschaum reinspaziert.
Review von Manuel BergerVier Jahre existieren Verderver bereits, sind bislang aber hauptsächlich dem Djent- und Extrem-Core-Untergrund Deutschlands bekannt. Das ändert sich hoffentlich bald, denn ein Debütalbum mit derart runder Präsentation wie "Weltunter" hört und sieht man selten. Vier Cottbusser haben ein eigenständiges Biest erschaffen, und das nahezu komplett in DIY-Manier. Oldschooler werden sich die Haare raufen, Hipster in die Hosen scheißen, alle dazwischen erst einmal am Kopf kratzen. Es ist eine Herausforderung, das kontrollierte Chaos der Truppe zu erkunden – aber eine, die verdammt viel Spaß macht.
Auf der Bühne randalieren Verderver in Ganzkörper-Corpsepaint, sogar die Instrumente passen zum überlegten Schwarz-Weiß-Look. Für ein Musikvideo erschufen sie in aufwendiger Handarbeit die sogenannten Vesen, ihre Promofotos sind surreale Nacktbilder. Um das Album zu vertreiben, gründeten die Cottbusser zusammen mit einer befreundeten Band noch schnell ihr eigenes Label. Alle Puzzleteile ergeben ein stimmiges Ganzes mit Sinn für Geschmacklosigkeit und Ästhetik. Man merkt, wie viele Gedanken und Schweißtropfen die verantwortlichen Kreativzellen in das Projekt investiert haben.
Bei aller Liebe zum Detail verlieren Verderver weder Spielfreude noch Humor. Den uniformen Look, gedacht als Spiegel für engstirniges Schwarz-Weiß-Denken, kontern die Musiker mit stilistischer Offenheit und Texten voller bitterbösem Sarkasmus. Zwar schimmert immer ein wenig Gesellschaftskritik durch oberflächlich dadaistisch anmutende Zeilen, doch nie wird es zu ernst, zu verkopft, zu übertrieben pathetisch. Eher im Gegenteil: Wenn Sänger Igrim in "Gebrauchswert" in der Rolle eines empathielosen Firmenchefs brüllt: "Stefanie!? Kannst du mir denn bitte auch einen Kaffee mitbringen?" und Urlaubsanträge ablehnt, klingt das geradezu penetrant stumpf. Bei "Artfremd" sticht er dafür schmerzhaft in die klaffende Wunde kollektiver Ignoranz: "Massenverpflichtung / Und mit verhungernden Kindern finanzieren wir uns're Kunst".
Igrim beherrscht das gesamte gutturale Spektrum von ultratiefen Growls bis zu schmerzhaften Squeals, vereinzelt frönt er auch dem – meta-ironisch kommentierten – "emotionalen Gesangspart, der die Stimmung auf eine neue Ebene hebt" ("Artfremd"). Ebenso variantenreich agiert die Instrumentalfraktion. Verderver mischen technischen Death Metal mit Grind und Metalcore, paaren in "Apathie" schwarzmetallische Blast-Attacken mit schwerem Groove. Breakdowns nutzen Verderver selten, um Parts aufzulösen, eher um überraschende Richtungswechsel vorzubereiten und mit voller Wucht die nächste Stilgrenze einzureißen. Setzt der metallische Vorschlaghammer einmal aus, fordern hektische Rave-Electronics zum Tanzen ("Kammerflimmern"). Diese Kombination haben sich die Cottbusser wohl unter anderem bei ihrem Mischer Rémi Gallego abgeschaut, der mit seinem Projekt The Algorithm in diesem Bereich als Koryphäe gilt.
Verschnaufpausen existieren ebensowenig wie klar als solche erkennbare Refrains. Das ist vielleicht das einzige Manko der Platte: Die ein oder andere Hookline täte gut, um die Stücke auf "Weltunter" im Langzeitgedächtnis zu verankern. Andererseits: Muss eine Band, die klingt, als hätten Cattle Decapitation Knorkator und Enter Shikari verstümmelt, gefressen und blutig wieder ausgeschieden, eingängig sein? Wahrscheinlich nicht.
Verderver schaffen mit ihrem Debütalbum etwas, das nur sehr wenigen Bands gelingt: Sie lösen zwangsläufig etwas aus. Sei es Abscheu, Überforderung, Wut, Begeisterung oder sogar Nachdenklichkeit. Jeder, der mit diesem Ungetüm in Berührung kommt, wird sich mit ziemlicher Sicherheit in irgendeiner Form daran erinnern – an das Gefühl, als der Verderver in voller reizüberflutender Pracht und Hyperaktivität zum ersten Mal dein Gehirn zermatscht hat.
1 Kommentar
Ganz geile Scheibe.