laut.de-Kritik
So schön klingt Kammerpop!
Review von Martin LeuteDie Amerikanerin Vienna Teng ist Sängerin und Pianistin. Wie diese Konstellation im Popkontext klingen kann, haben bereits Tori Amos, Fiona Apple und Regina Spektor überzeugend vorgeführt.
Mit ihrem dritten Album "Dreaming Through The Noises" steht nun Vienna Teng im Zentrum des Interesses. Eine Kategorisierung ihrer Musik ist schwierig, da gleichermaßen Jazz, Klassik, Country und weltmusikalische Einflüsse in die Arrangements einfließen, die sich aber nie völlig dem klassischen Verständnis von Popmusik verschließen. Das Ergebnis bezeichnet die 28-jährige Künstlerin selbst als Kammerpop. Das ist insofern stimmig, da Vienna Teng das Werk überwiegend mit klassisch ausgebildeten Musikern und dem entsprechenden Instrumentarium eingespielt hat.
Das Album beginnt mit dem stimmungsvoll verträumtem "Blue Caravan", einem Song, der eine imaginierte Beziehung zum Thema hat. Zu dem gezupften Cello gesellen sich ein sanftes Flügelhorn und ganz weiche Klavierakkorde, ehe der samtene Gesang Viennas einsetzt, der leise von Streichern untermalt wird. Das folgende "Whatever You Want" ist rhythmischer, trägt poppigere Züge und hat enormes Ohrwurmpotenzial. Nach dem Piano-Intro gibt das Schlagzeug den Takt vor, der verhaltenen Strophe folgt ein mit erhobener Stimme vorgetragener melodischer Refrain, der von Streichern begleitet wird. Inhaltlich reflektiert der Song das Ende einer Beziehung.
"Love Turns 40" ist dramaturgisch und melodisch großartig, baut eine Spannung auf und spitzt sich instrumental zu, um anschließend wieder zu sich zu kommen. Im fantastischen, melancholischem "I Don't Feel So Well" und in "Now Three" erinnert der Gesang sehr an Tori Amos. Macht aber nichts. Die tolle Melodie, die Streicher-Arrangements und das Akkordeon machen "I Don't Feel So Well" dennoch zum besten Song der Platte.
In "City Hall" präsentiert sich Vienna Teng von ihrer countryesquen Seite, ein Steel-Gitarre erklingt neben dem Piano, der Refrain wird mehrstimmig vorgetragen. Ein schlichte, aber sehr schöne Songstruktur. Dem ruhigen "Nothing Without You", in dem Vienna ihr stimmliches Potenzial ausspielt, folgt "Transcontinental. 1:30 A.M.", das mit einem entspannten Bossa Nova-Groove und einem Trompeten-Solo von Till Brönner aufwartet und einen der Höhepunkte des Albums darstellt.
"1BR/1BA" mutet zuerst dissonant an, ehe sich eine harmonische Melodielinie offenbart. Im zutiefst bewegenden und verstörenden "Pontchartrain" verarbeitet Vienna Teng die verheerende Überflutung von New Orleans durch den Wirbelsturm Katrina. Das Album endet leise, aber versöhnlich mit dem Song "Recessional", das Vienna zum Piano und einem dezent eingesetzten Bass berührend intoniert.
Auch wenn Vienna Teng zwangsläufig mit Piano spielenden Kolleginnen verglichen wird, "Dreaming Through The Noises" ist eine fantastische und vielseitige Platte. Das liegt nicht nur an dem anspruchsvollen und unter die Haut gehenden Sopran der Künstlerin, den intelligenten und introspektiven Lyrics, den erfrischenden Klavierläufen oder den immer greifbaren Melodiebögen, sondern auch an der hervorragenden Arbeit des Produzenten Larry Klein, der auch mit Madeleine Peyroux und Till Brönner zusammengearbeitet hat. Die musikalischen Arrangements - Streicher, Bläser, Percussion - sind derart treffsicher, unprätentiös und weich gesetzt, dass eine Sensibilität spürbar wird, die der derzeitigen Poplandschaft qualitativ eine neue Note hinzufügt.
37 Kommentare, davon 36 auf Unterseiten
Wow ... was für eine Kritik. und trotzdem nur 4 Punkte.