laut.de-Kritik
Gang Shouts, große Hooks, zackige Riffs und fliegende Drums.
Review von Stefan JohannesbergPiraterie verklären geht immer. Wer will nicht so lässig wie Jack Sparrow über Bord flanieren oder für die Freiheit fighten? In der Realität war ein Leben als Pirat geprägt von Brutalität, Krankheit und dem überall lauernden Tod. "Die wahre Geschichte der Seeräuberei ist eine endlose Abfolge von Mord, Plünderung und Vergewaltigung", schreibt der Historiker Jann M. Witt in seinem Buch "Piraten". Musikalisch würden wir also eher bei Dissection landen, doch weit gefehlt. Wo sich bei Running Wild wenigstens noch die Balken biegen, die Gischt durch die Gitarrenriffs brandet und Rock'n'Rolfs schnapsgetränkte Stimme die Truppe auf Trapp hält, segeln Visions Of Atlantis aus dem maritimen Österreich auch auf ihrem zweiten Piraten-Album "Pirates II" auf Hollywood-Hochglanz über die sieben Weltmeere. Zum Glück.
Die Band um Schlagzeuger und Napalm-Records-Geschäftsführer Thomas Caser schenkt allen angehenden PiratInnen mit bombastischem Power Metal, großen Chören und einfachen, energiegeladenen Tunes eine heroische Auszeit vom tristen Home Office. Nach dem kurzen Intro "To Those Who Choose To Fight" schwingt sich Sängerin Clémentine Delauney an der Takelage entlang, während das Schiff durch den Sturm schneidet wie scharfe Klingen durch rohes Fleisch. Bridge und Pre-Chorus sind gut gesetzt, der Tempowechsel im Refrain sorgt genauso für Dynamik und Abwechslung wie das Duell mit Co-Sänger Michele Guaitoli. Wer hier an Nightwish denkt, denkt richtig.
Auch das folgende "Monsters" erinnert stark an den Track "Storytime" der Finnen, doch spätestens in Gesang und Refrain wird der Unterschied deutlich. Während Floor Jansen in einem Song zwischen Kopf-, Bauch- und allen Stimmlagen dazwischen wechselt und Tuomas dutzende Ideen in eine Komposition knallt, stehen bei Visions Of Atlantis der Spaß an eingängigen Melodien und Mitsing-Möglichkeiten im Vordergrund. "Tonight I'm Alive" als poppiges 'LalaLagerfeuer am Strand'-Liedchen mit Cha-Cha-Rhythmus beweist das leidlich.
Viel besser dagegen "Armada": Die Single ist der absolute Höhepunkt des Albums, besser geht Power Metal 2024 nicht. Gang Shouts, die großen Hooks, zackige Riffs und fliegende Drums - alle segeln in die Schlacht. "To The Fight, To The Battle...". Jetzt ist man angekommen in "Pirates II", doch bereits beim folgenden "The Dead Of The Sea" überziehen die Österreicher den Bombastbogen und verlieren sich in orchestralen Arrangements, die ihre Stücke gar nicht nötig haben.
Der erste Teil der Piraten-Reihe kam wesentlich bodenständiger und mit weit größerer Hit-Dichte daher. Die "Armada" dagegen trifft mit ihren Achtpfünder nur noch zwei Mal. Die Midtempo-Ballade "Ashes To The Sea" würde selbst England auf die vordersten Plätze beim Eurovision Song Contest spülen, und "Hellfire" strotzt nur so vor Kraft und Dramatik, inklusive Kirchenorgel und Glocken.
Am Ende ist "Pirates II - Armada" auch dank des schönen Covers von Blake Armstrong und des vollen, satten Sounds von Felix Heldt bzw. Jacob Hansen eine runde Sache. Schiff ahoi.
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