laut.de-Kritik
Gesetzlos, gemein und rebellierend.
Review von Kai ButterweckAls das Metal-Genre Mitte der Achtziger noch kontroverse Diskussionen befeuerte, stand einer der Protagonisten stets ganz oben auf der Abschussliste der Hartholz-Gegner. Sein Name: Steven Edward Duren alias Blackie Lawless.
Der W.A.S.P.-Frontmann hatte es seinerzeit aber auch faustdick hinter den Ohren. Inspiriert von Musik- und Show-Ziehvätern wie Alice Cooper und Gene Simmons stellte sich der schwarzmähnige Hühne nur allzu gerne als eine Art Black & Decker-Vertreter auf die Bühne und schoss dabei mit rohem Fleisch und bösen Worten um sich.
Mit Texten über Sex ("Fuck Like A Beast"), Sex ("Wild Child") und noch mehr Sex ("Ballcrusher") hielt der gesetzlose Blackie die Welt in Atem. Garniert mit extravaganten Bühnenshows, bei denen literweise Blut floss und so manch Requisite in Flammen aufging, katapultierte sich das schlüpfrig schaurige W.A.S.P.-Paket schnell ins internationale Schwermetall-Rampenlicht.
Es dauerte aber nicht lange, da ging dem Sänger ein Licht auf. Und so nahm sich Blackie Lawless im Jahr 1989 ein MTV-Mikrofon in die Hand und brachte Folgendes zu Protokoll: "Mit unserem neuen Album gehen wir als Band neue Wege. Vor allem ich als Texter trage eine gewisse Verantwortung. Die Kids sollen sich nicht mehr nur mit Sex, Drugs und Rock'n'Roll beschäftigen. Sie sollen erfahren, was mich alles auf der Welt ankotzt", sagte der Mann, der nach fünf Jahren auf der Schock-Rock-Überholspur plötzlich andere Prioritäten setzte.
Man werde auch weiterhin provozieren, nur eben auf einer anderen Ebene, schallte es aus dem sonnigen Kalifornien in die weite Welt hinaus. Und so posierten auf dem Cover des vierten Studioalbums "The Headless Children" keine sich selbstinszenierenden Boogeyman-Protagonisten mehr, sondern die Köpfe unzähliger Verbrecher der Zeitgeschichte. Darunter Adolf Hitler, Benito Mussolini, Idi Amin, Charles Manson und Vertreter des Ku-Klux-Klan. Sie alle marschierten in Reih und Glied aus dem Maul eines überdimensionalen Totenschädels heraus.
Auch musikalisch zogen die Herren Lawless, Holmes, Banali und Rod einen Strich unter die Vergangenheit. Natürlich präsentierte sich das Fundament immer noch aus einer wohldosierten Mixtur aus Hardrock und Heavy Metal. Verfeinert wurde das große Ganze diesmal aber mit einer ordentlichen Prise Bombast und einem bisweilen fast schon progressiven Neuanstrich, der bereits das eröffnende "The Heretic (The Lost Child)" prägt.
Wie der "Jaws"-Soundtrack im Metal-Gewand baut sich der Beginn majestätisch und düster auf. Ein brachiales Fill-In-Ausrufezeichen von Neu-Drummer Frankie Banali später bricht die Hölle los. Siebeneinhalb Minuten feuern W.A.S.P. aus allen Rohren. Aufgeteilt in mehrere Spannungsblöcke, angereichert mit sphärischen Keyboard-Sounds und gedeckelt mit bahnbrechender songwriterischer Finesse setzt der Opener eine erste beeindruckende Duftmarke. Die verbreitet sich rasend schnell.
Nur wenige Minuten später spenden sogar The Who-Fans Beifall. Mit der Neuinterpretation des alten Townshend-Gassenhauers "The Real Me" nehmen Blackie und Co auch die Cover-Hürde spielend leicht. So tickt der W.A.S.P.-Leader also wirklich. Jetzt zeigt Blackie sein wahres Ich. Und das wird anno 1989 verfolgt und malträtiert von kopflosen Kindern, Donnerschädeln, Neutronenbomben und dekadenten Snobs.
Bevor allerdings alles in die Luft geht und sich die Metal-Welt ans Aufräumen macht, gilt es zunächst noch besonderen Wegbegleitern zu huldigen. So bekommt beispielsweise Blackies Langzeitgefährte Chris Holmes eine Hymne auf den Leib geschneidert: "A tattooed Madman / hell on wheels / Born a wicked child left alone in the fields", raunt Blackie Lawless ins Mikrofon, während der Mann, um den es in dem Über-Song des Albums geht, mit abgedämpften Powerchords brilliert. "Mean Man" ist schnell, dynamisch und prall gefüllt mit Rotz und Galle – galoppierender Heavyrock in Reinkultur.
Natürlich hat Blackie auch das Lieben nicht verlernt. Neben tätowierten Alkoholikern und "Ronnie", dem Neutronenbomber, flackert die Kerze der Zweisamkeit im trockenen Präriewind. Zwischen klebrigem Kitsch und großer Kunst bauen W.A.S.P. mit "Forever Free" die perfekte Klischee-Brücke. Harte Kerle sitzen halt auch mal gerne am Lagerfeuer. Vielleicht DIE perfekte Metal-Ballade der Achtziger.
Perfekt ist sowieso ein gutes Stichwort. Mit "The Headless Children" krönen W.A.S.P. ihre bis zum heutigen Tage beste Band-Phase. Blackie Lawless ist perfekt bei Stimme, Chris Holmes und Johnny Rod bilden kurz vor ihrem Ausstieg das perfekte Rhythmus-Duo und Frankie Banali spielt… genau: ebenfalls perfekt. Jedes Break, jeder Doublebass-Ritt und jedes Fill-In lassen die Branchen-Konkurrenz vor Neid erblassen.
Als "The wild one in the decadent zoo" ("Rebel In The F.D.G.") verteilt Blackie Lawless im Frühjahr 1989 jede Menge schallende Ohrfeigen. Zwischen der weichgespülten Hair Metal-Fraktion und der Hartwurst-Community der Branche halten W.A.S.P. kurz vor Beginn der Alternative-Welle die Heavy Metal-Fahne hoch. Der Lohn: perfekte Haltungsnoten und ein Platz in den Top 50 der Billboard Charts. Ach ja, die guten alten Zeiten ...
In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.
3 Kommentare mit 2 Antworten
yeah, volle zustimmung. hammerplatte!
wer who adäquat covern kann, ist groß. als ballade hat der gute blackie auch immer was zu bieten. ich finde ja "sleeping in the fire" locker genau so intensiv. https://www.youtube.com/watch?v=HLD0CBFU73Q
Grad das alte Vinyl hervorgekramt. Fand auch schon den Electric Circus grossartig.
war er ja auch
Ich finde "The Crimson Idol" noch um einiges stärker, aber das mag auch an meiner Liebe für Konzeptalben liegen.
Ja, Crimson Idol hätte hier eigentlich mehr hingehört....total unterbewertes Album