2. Oktober 2015

"An 'Bologna' kommt nie wieder was ran"

Interview geführt von

Das zweite Wanda-Album "Bussi" steht in den Startlöchern. Werden die Fans es wieder auf Händen tragen? Wie lebt es sich tagtäglich im Epizentrum des Hypes? Große Fragen, die wir mit Marco Michael und Manuel erörtern. Außerdem geht es um den Bad Boy der Band, um David Bowie, Nirvana, Hochseefischen sowie die vier Typen an Wanda-Fans.

"Magst 'an Pfeffi?" Bei solchen Einladungen zur Begrüßung sag ich nicht nein. "Das ist das geilste Getränk überhaupt" - und keiner merkt, dass man getrunken hat. Praktisch. "Da entbehrt man sich der Pflichtsamkeit des Zähneputzens." Wanda-Sänger Michael Marco alias Marco Michael und Gitarrist Manuel ordern ein weiteres Stampferl.

Cheers, aufs Leben putzen wir gemeinsam unsere Zähne. Künstlich-süßer Minzgeruch im Nachmittagssonnenschein eines Berliner Hinterhof-Cafés. Schön ist das. Alles Amore, Baby. Noch nicht häufig hatte ich bei einem Interview so viel Spaß wie bei diesem – und das liegt sicher nicht (nur) am Pfeffi. Dabei sind die Österreicher im ausdauernden Promo-Marathon - alles für das neue Album "Bussi". Aber alles kein Problem: "Wanda hat eine positive Kraft", sagt Marco zum Ende unseres Gesprächs. Das unterschreibe ich sofort. Außerdem haben die Sympathen jetzt mit mir einen Fan mehr. Amore!

Ich bin von laut.de.

Marco: Euch hab ich dieses blödsinnige Statement abgegeben.

Blödsinnig hast jetzt du gesagt.

Marco: Dass ich mich überhaupt gerechtfertigt hab, war eine Katastrophe. Jetzt bin ich eingestiegen in eine Art Internetempörung.

Findest du echt, das ist so ein Riesending?

Marco: Das ist es eben nicht! Eine überwältigende, überwiegende Mehrheit liest in diesen Texten nichts von dem, was da einige wenige gelesen haben.

Meiner Meinung nach lag es wenn dann daran, dass Ronja von Rönne in eurem Video zu sehen ist.

Marco: Dann ist das überhaupt der größte Witz. Jetzt gehen alle auf eine Frau los und diffamieren sie als Püppchen, köstlich! Das ist jetzt der Vorwurf an die Ronja? Unangenehm.

Du meintest mal in einem Interview, das ganze Musikbusiness wäre lenkbar, kalkulierbar. Also ...

Marco: Ja, das Business. Aber nicht die Indie-Blogs, die kann ich nicht lenken.

Aber muss ich euch dann nicht ein wenig Kalkulation unterstellen? Du wirst doch mitbekommen haben, was Ronja mit ihrem Artikel in der "Welt" ausgelöst hat.

Marco: Nein, hab ich nicht. Das ist ein unfaires Spiel, ich hab seit acht Jahren kein Internet.

Jetzt kommt euch das erste Mal medial Gegenwind entgegen, oder?

Marco: Was heißt medial? Das ist nicht medial, das spielt sich alles im Indiebereich ab, kläffende virtuelle Hunde.

Manuel: Da hascht jemand nach 200 Likes oder so, aber da müssen die sich schon was Besseres einfallen lassen.

Marco: Wir sind auf so einem guten Kurs, wir brauchen keine Tricks, keinen Skandal. Diese kleinen Blogs und Zeitschriften, die das jetzt zu einer G'schicht machen wollen - die brauchen das.

Heißt das, laut.de ist ein kleines, kläffendes Indieblog?

Marco: Ihr habt uns nicht angeklagt, sondern uns die Chance gegeben, uns zu rechtfertigen. Anderenfalls würde ich nicht mit dir reden. Mit denen red' ich nämlich nie wieder, die können mich alle am Arsch lecken.

Manuel: Eineinhalb Jahre predigen wir Amore und dann kommen sie uns mit so was...

Marco: Eineinhalb Jahre Toleranz, Akzeptanz. Eineinhalb Jahre haben wir die linkspolitischste Aussage, die eine Band jemals formuliert hat in diesem Geschäft und dann kommt so was?

Ist doch total normal ... Eine Band steht an der Schwelle zum großen Erfolg und durch den Bekanntheitsgrad kommen natürlich auch mehr Menschen dazu, die die Band scheiße finden.

Manuel: Ja, vielleicht waren das dann genau diese Leute ...

Marco: Unsere Empörung musst du verstehen. Am Ende des Tages sind wir Menschen. Und der Vorwurf der Mysogymnastik oder wie das heißt ... das ist schon ziemlich heftig. Ich musste das Wort erst mal recherchieren, ich kannte das gar nicht. Misogynie bedeutet das krankhafte Verachten von Frauen. Und den Vorwurf muss mir mal einer ins Gesicht sagen. Bist du deppert! Da reiß ich ihm die Nase ein. Unfassbar!

"Irgendeiner stirbt sicher mal irgendwann. Einer muss der erste sein"

Apropos Nase einreißen. Man hat über dich geschrieben, du seist ein "Charisma-Biest".

Marco: Das höre ich zum ersten Mal.

Manuel: Wahnsinn, wie cool! Also ich höre ja öfter, dass ich der Bad Boy bin. Wahrscheinlich, weil ich als einziger von uns eine schwarze Lederjacke trage, haha.

Marco: Eigentlich hab ich die letzten 28 Jahre immer recht unbeachtet und unspannend gelebt. Charisma ist für mich eher was, das man einsetzt, um anderen Freude zu bereiten.

Was zu euer "Amore"-Message sehr gut passt. Kennt ihr auch Hass?

Marco: Wir erleben gerade alle Facetten des menschlichen Gefühlslebens. Vor allem auf Tour, wenn man über 11 Monate in einen 9-Sitzer-Bus gesperrt ist.

Aber mit dem Gang zum Major-Label hat sich ein bisschen was geändert, oder?

Marco: So langsam. Noch sind wir nicht wohlhabend, nicht luxuriös unterwegs. Ich find das aber sehr gesund. Der Verlauf dieses Jahres war sehr schön, weil es immer aufregend war. Wir wussten nie ganz, was passieren würde.

Und was ist in den letzten vier Monaten bei Universal passiert?

Marco: Wir haben das Glück, dass unsere Musik von Anfang an Bewunderer und Förderer angezogen hat. Jetzt arbeiten wir mit noch mehr Menschen, wir haben einen umfangreicheren Diskurs über unsere Arbeit. Alle dienen diesen Liedern, das ist das Wichtigste. Alle wollen diese Lieder rausbringen, sind in Stimmung, sind euphorisch.

Manuel: Wir haben die Bedingung gestellt, die 100%-ige Entscheidungsmacht zu behalten.

Marco: Was anderes stand nie in Frage und das haben unsere Partner von Anfang an akzeptiert. Alle haben uns glaubhaft versichert, dass wir ein Liebhaber-Projekt sind. Es ist ganz klar, dass wir nicht 15 Millionen Platten verkaufen. Hier kam mehr das Herz auf uns zu als der Geschäftssinn.

Was hat sich seit "Amore" thematisch geändert?

Marco: Eigentlich wenig. Für sich genommen ist es eine homogene Platte, aber ich glaube nicht, dass ich anderes behandle als vorher. Es geht immer um die großen Themen: Leben, Lieben, Tod. Wir sind erwachsene Menschen und ich werde mein Denken nicht mehr peitschen, wie ich es als junger Mensch getan hab. Vieles interessiert mich nicht und das wenige, das mich interessiert, werde ich mein ganzes Leben lang behandeln.

Was interessiert dich sonst so?

Marco: Hochseefischen. Ich hab Süßwasser gefischt, 10 Jahre lang. Jetzt will ich unbedingt Hochseefischen.

Schon mal dran gedacht, darüber einen Song zu schreiben?

Marco: Nein, 'Fischen' singt sich schlecht. (singt) I go fishin', you go fishin', yeah yeah. Das würde gehen, aber ...

Manuel: Der i-Vokal ist das Schwerste.

Könnt ihr euch vorstellen, auf Englisch zu singen?

Marco: Nein. Ich hab sehr viel Blues gesungen, aber eher um mich fortzubilden. Blues ist eine wundervolle Lebensaufgabe. Vielleicht bin ich in 50 Jahren mal ein passabler Bluessänger.

Aber ihr macht es noch 50 Jahre, ja? In einem Interview meintet ihr mal, wenn das so weiter geht, stirbt bald einer von euch.

Manuel: Irgendeiner stirbt sicher mal irgendwann. Einer muss der erste sein.

Marco: Aber es wäre schön, noch etwas länger auf diesem wunderschönen Planeten zu leben, so beschissen er manchmal sein kann.

"Den Mainstream-Hit gibt es auf der dritten Platte"

"Ich wäre gern ein anderer als ich bin", heißt es auf dem neuen Album. In welche Rolle würdet ihr gerne mal schlüpfen?

Manuel: Ich wär gern einen Tag – aber wirklich nur einen – David Bowie von 1976.

Ohje, ob du irgendwas von dem Tag bewusst mitbekommen würdest?

Manuel: Das weiß ich nicht. Aber einen Tag das Leben von Bowie '76 zu haben, wäre ein Modell, das ich mir vorstellen könnte. Der hat schon Spaß gehabt. Ich stell mir dafür einen Rummelplatz-Ausflug vor.

Du schreibst die Texte, Marco, wie sieht es mit der Musik aus? Stammt die auch komplett von dir?

Marco: Sehr viel. Zumindest hab ich das Akkordgeflecht auf Akustikgitarre und das wird dann ummantelt. Die beste Idee gewinnt.

Manuel: Was ich bei "Bussi, Baby" spannend finde, ist, dass es als erstes Lied ein echtes Gitarrenriff hat. Wir sind keine Van Halens und ich bin auch kein Virtuosenwichser, der acht Minuten eines Songs beansprucht, um seine Skills zu beweisen.

Also keine Fans von Monster-Gitarrensoli bei anderen Bands?

Manuel: Ich verachte Gitarrensoli, ich mag keine in einem Lied ausschweifende Handwerkskunst, die von einem einzelnen Musiker dargeboten wird. Das beste Gitarrensolo ist eigentlich die Strophenmelodie, zum Beispiel bei "Smells Like Teen Spirit". Das Gitarrensolo ist legendär. (summt) Dieses Konzept findet man auch bei "Bleib wo du warst" oder "Bologna".

Welcher Song von "Bussi" ist das nächste "Bologna"?

Marco: An ein "Bologna" kommt nie wieder was ran. Ich glaub, dass alle neuen Lieder wieder so gut gearbeitet sind wie möglich. Ich muss aber auch ehrlich sagen: Wir haben damals nicht geahnt, dass "Bologna" so ein Hit wird. Das hab ich erst gewusst, als ich das fertige Video gesehen hab. Diese Stimmung haben wir jetzt nicht, einen vermeintlichen Mega-Hit sehe ich nicht. Darum ging es aber auch nie. Wenn überhaupt, glaube ich, wird es einen ganz großen Mainstream-Hit auf der dritten Platte geben – den hab ich nämlich schon fertig.

Was war zuerst: der mediale Hype oder der Massenhype?

Manuel: Die Henne!

Marco: Ich glaube, zuerst kam der Hype unseres Umfelds. Unser Manager hat das oft in Interviews gesagt: Wir haben ihm ein fertiges Ding geliefert, da hat der seinen Augen und Ohren nicht getraut. Wir wollen einfach arbeiten.

Habt ihr mit dem Hype um euch gerechnet?

Marco: In Wahrheit war Wanda von Anfang an vom Gefühl des Besonderen getragen, deswegen überrascht uns gar nichts. Unsere Musik zieht einfach so großartig Verrückte an, die mit Leidenschaft unsere Texte singen. Diese Menschen haben verstanden, dass wir eine Einladung ausgesprochen haben.

Wie sieht euer typischer Konzertbesucher aus?

Marco: Momentan hab ich vier Typen auf dem Schirm. Brüllende, junge Männer. Tanzende Pärchen und knutschende Pärchen. Dann gibt es ganz viel, was ich nicht kenn' und intuitiv nicht einordnen kann und dann noch Eltern mit Kindern. Das finde ich total faszinierend: Erstaunlich viele Sechsjährige auf den Schultern der Mama.

Das liegt vielleicht an der Eingängigkeit eurer Songs.

Manuel: Uns werden wöchentlich Videos geschickt von Dreijährigen, die das Album im Auto-Kindersitz textsicher mitsingen.

Marco: Das ist einfach nur wundervoll. Unglaublich. Bei unseren Konzerten herrscht eine sehr offene und tolerante Stimmung und so soll das auch bleiben. Wer sich dem in den Weg stellt, den mach ich fertig. Das zerstört mir keiner und das zerstört auch keiner den Leuten, die das lieben.

Das heißt, für euch kann alles weiter gehen wie bisher?

Marco: Auf jeden Fall und ich sage dir: Das wird es auch. Wanda hat eine positive Kraft und die wird bleiben. Unsere Musik wird weiter gegeben, von Mund zu Mund und von Bussi zu Bussi.

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