laut.de-Kritik
Die Singer/Songwriter-Entdeckung aus Kalifornien.
Review von Michael SchuhWie aus dem Nichts war er da, der Song "Andromeda" von Weyes Blood und seitdem verfolgt er mich. Schwebende Streicher-Arrangements, programmierter Beat, zunehmende Opulenz, eine ergreifende, magische Melodie und eine besondere Stimme: Feengleich nimmt einen die Kalifornierin Natalie Mering auf ihrem vierten Album (das erste auf Sub Pop) an die Hand.
Viertes Album? Tatsächlich tauchte die Indie-Folkerin bisher nicht in meinem Blickfeld auf, obwohl sie auch schon mit Vorzeige-Spinner Ariel Pink ihre Psychedelic-Vorlieben teilte, u.a. auch auf "Mature Themes". Wer nun die 60s-Freak-Folk-Schublade öffnet, liegt schon mal nicht ganz falsch, wobei sich "Titanic Rising" eher dem verlorenen Singer-Songwriter-Schatz gleicht, der zufällig im Garten von Joni Mitchell gehoben wurde.
Gleich "A Lot's Gonna Change" weckt diese Assoziation. Merings ätherischer Sopran klingt an keiner Stelle kieksig oder anstrengend wie zuletzt bei Julia Holter. Vielmehr spricht einem ihre volle Stimme Hoffnung zu, was auch nötig ist, denn die Texte sind meist schwerer Natur. Mering singt von gesamtgesellschaftlichen Problemen wie dem Klimawandel und Überbevölkerung, der Albumtitel "Titanic Rising" spielt auf die Folgen unserer Umweltzerstörung an und imaginiert metaphorisch die Rache der Naturgewalten: "Es ist so symbolisch, dass die Titanic an einem Eisberg zerschellte und nun geht dieser Eisberg mit der Zivilsation unter", so Mering.
Doch sie verliert sich nicht in zynistischer Weltuntergangspose. Im nächsten Moment fokussiert sie auf verschiedene Individuen und den Umgang ihrer Generation mit Sucht, Speed-Dating und Burnout. "A Lot's Gonna Change" adressiert die #metoo-Bewegung. Mering macht sich Gedanken und erschafft ihren eigenen Kosmos, der nach dem intensiven Balladen-Auftakt ins beschwingte "Everyday" übergeht, einen 70s-Popsong der Marke Carpenters.
Mering selbst ist eher genervt, wenn man ihre Musik mit der klassischen Singer-/Songwriter-Schule der 60er und 70er vergleicht und verweist gerne auf ihr Interesse an mittelalterlicher Kammermusik, Jazz und Klassik. Diese Einflüsse fließen nicht nur in das atonale Intro sowie das Outro ein, auch die Orgel-Walhalla "Movies" nimmt gegen Ende der sechs Minuten eine abstrakt-schräge Wendung.
Ihre Stimme und der soghafte Vibe dieser mit Streichern versetzten, elektronischen Folk-Preziosen machen "Titanic Rising" zu einem besonderen Album. Man fühlt sich oft ein wenig der Welt enthoben und auf charmante Art zum Nachdenken gezwungen, etwa so wie Scarlett Johansson beim Blick auf Tokio am Fenster in "Lost In Translation" zum melancholischen Sound von Squarepusher. Die Zeile "True love is making a comeback / for only half because the rest just feel bad" stammt allerdings nicht von Sofia Coppola, sondern von Weyes Blood ("Everyday").
2 Kommentare mit einer Antwort
!!!!
Gibt's eigentlich ne Steigerung von meh?
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