laut.de-Kritik

Zurück in die Zukunft!

Review von

Flucht aus der City, raus aufs Land, wo die Eisvögel in ihrer natürlichen Umgebung der selbstgenügsamen Anschauung unterzogen werden können und nicht ungesehen bei Taschenbillard und Smartphone-Gedängel vorbeiflattern. So geschehen im zentralen Track des Albums "Kingfisher", einem Mini-Epos zwischen dem Folk-Rock der Decemberists und psychedelischen Ausflügen in die Wildnis des Prog. Natur, die sich das zivilisierte Land zurückholt, ist das zentrale Thema des neuen Albums. Hierzu passt der Titel "Ruins" natürlich bestens. Ruinen bleiben zurück, wenn der Mensch gründlich mit sich aufgeräumt hat, getreu dem Motto 'Homo Homini Lupus Est - Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf'.

Wolf People reiten auf der Retro-Welle wie die Kollegen von Messenger, Blues Pills oder Kadavar und mischen Proto-Heavy-Riffs der Marke Sabbath mit Flötenklängen Tullscher Prägung und allerlei 60s- und 70s-Reminiszenzen, dass man sich glatt einem DeLorean mit dem Zieldatum 1970 entstiegen fühlt. Allerdings findet die Zeitreise nur in der Fantasie statt. Wie sonst ist es zu erklären, dass der Hörer die rauchenden Schlote im Black Country, den Blumenduft der Hippie-Bewegung, Cannabis geschwängerten Psychedelic-Nebel, das pulsierende Nachtleben der City Of London und die schweißgetränkte Coolness des Rhythm And Blues auf einmal wahrnimmt?

Die Band scheint förmlich versunken in dieser Zeit, in der vieles noch möglich war und nicht einer alternativlosen und neoliberalen Wirtschaftsdoktrin untergeordnet ist, deren Blüten Rechtsextremismus und extreme Ungleichheit gerade weltweit zu beobachten sind. Somit wenden sich die Engländer mit ihrem Retro-Rock der Zukunft zu. Wolf People wünschen sich genau das bunte gesellschaftliche Echo, das die Musik widerspiegelt und nicht die Gesellschaft, die durch Liberalisierung und Privatisierung, dem Kniefall der Sozialdemokratie vor dem Kapital, Auslandseinsätze, Klimaverbrechen sowie zunehmender Individualisierung und Konkurrenzdenken zerfleddert ist.

Im Vergleich zu den ersten beiden Alben geht die Band hier strukturierter zu Werke. Prägnante Riffs, krachige Soli, griffige Melodien mit Ausflügen in die verlockende Skalenwelt des Orients, mittelalterliche Flötenklänge sowie archaische Percussions durchziehen als Grundsubstanz das Gros der Songs. Die Lyrics pendeln zwischen Flower Power, Schauermärchen und einer Art modernem Minnesang.

Sänger Jack Sharp fällt vor allem mit seiner androgynen, aus dem Hintergrund agierenden Stimme auf, die äußerst homogen mit den Instrumenten agiert. Der Wolf pirscht sich im Schafsfell an, um um so kraftvoller zubeißen zu können.

Einzig das angesprochene "Kingfisher" nebst seinen beiden verspielten Zwischenparts, das trippige "Salt Mill" sowie das kontrapunktisch ausstaffierte "Glass" treten über die Ufer des Popformats. Weitere Highlight sind das mit einem hohen Coolness-Faktor ausgestattete "Not Me Sir", das ein wenig Road Movie-Flair versprüht. Das mit einem bleibenden Refrain gesegnete "Belong" öffnet mit seiner Einstiegsmelodie das Tor nach Fernost, und das treibende "Nigth Witch" dürfte jede Tanzfläche bereichern.

Sicherlich wird es viele Musikfans geben, die Wolf People für ein nettes postmodernes Gedankenexperiment zum Thema Retro halten. Doch bricht gerade das Konzept mit seiner Message 'Nature First' diesen Retro-Gedanken auf und katapultiert die Band zurück in die Zukunft.

Trackliste

  1. 1. Ninth Night
  2. 2. Rhine Sagas
  3. 3. Night Witch
  4. 4. Kingfisher
  5. 5. Thistles
  6. 6. Crumbling Dais
  7. 7. Kingfisher Reprise
  8. 8. Not Me Sir
  9. 9. Belong
  10. 10. Salts Mill
  11. 11. Kingfisher Reprise 2
  12. 12. Glass

Videos

Video Video wird geladen ...

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT Wolf People

Entstiegen den Wäldern, den Flussufern und den Tälern Englands liefern Jack Sharp (Gitarre, Gesang), Joe Hollick (Gitarre), Dan Davies (Bass) und Tom …

Noch keine Kommentare