14. März 2013
"Manchmal musst du Beziehungen zerstören"
Interview geführt von Andreas BachmannDer Franzose spricht über den Startschuss seiner musikalischen Karriere, seine Lieblingssongzeilen und den Anspruch, sein Publikum bestmöglich zu unterhalten.Yoann Lemoine ist ein Multitalent. Der junge Franzose sorgte nicht nur als Regissseur von zahlreichen Musikvideos für Aufsehen, sondern hat quasi nebenbei eine Karriere als Musiker gestartet. Unter dem Künstlernamen Woodkid veröffentlicht er in diesen Tagen sein Debütalbum "The Golden Age".
Bevor wir den in New York lebenden Künstler in einem Berliner Hotel treffen, machte er noch einen kurzen Zwischenstopp in seiner alten Wahlheimat Paris und reihte sich dort in eine Demo für die Gleichstellung von Homosexuellen ein. Grund genug mit ihm einmal zunächst über alles andere als Musik zu sprechen.
Am Wochenende vor unserem Gespräch habe ich dich auf einem Foto als Teilnehmer einer Demonstration in Paris für die Legalisierung der Ehe für Homosexuelle und deren Recht auf die Adoption von Kindern gesehen. In Frankreich startet in dieser Woche die parlamentarische Debatte darüber (Anmerkung: Das Gesetz wurde inzwischen beschlossen). Was erwartest du für ein Ergebnis?
Meine persönliche Überzeugung ist, dass es umgesetzt werden sollte und ich bin glücklich darüber, dass der Präsident das im Parlament möglich gemacht hat. Politische Themen fesseln mich sonst ehrlich gesagt nicht sehr. Das ist einfach nicht so mein Ding. Aber es gibt bestimmte Themen, bei denen ich Überzeugungen habe und das erste und wenigste, was ich dafür tun kann, ist es, auf die Straße zu gehen.
Worüber ich in Paris allerdings schockiert war: Dass gleichzeitig hunderttausende Menschen ebenfalls auf die Straße gegangen sind, um gegen dieses Vorhaben zu demonstrieren. Der Präsident wurde doch demokratisch gewählt, dieser Punkt stand in seinem Programm und dafür gab es eine demokratisch legitimierte Mehrheit. Und jetzt gehen diese Menschen auf die Straße, um dagegen zu protestieren?
Erwartest oder erhoffst du dir aus der Debatte über die Homo-Ehe einen gesellschaftlichen Wandel innerhalb Frankreichs? Beispielsweise dass solche Widerstände gegen berechtigte Gleichstellungsansprüche bestimmter Gruppen abnehmen?
Ich bin angetan von Leuten, die sich darauf konzentrieren, ihr eigenes Leben besser zu machen, anstatt andere Menschen und deren Lebensentwürfe zu bewerten. Damit komme ich nicht zurecht, denn ich finde das befremdlich. Am Ende des Tages sollte man sagen: Kümmer dich um dein eigenes Leben! So versuche ich es zumindest für mich zu halten.
Der Besuch in Paris, wo du einige Jahre gelebt hast, war ja nur ein Zwischenstopp auf dem Weg nach Berlin. Inzwischen wohnst du in New York. Was war der Grund für den Umzug?
Ich bin erst im Dezember nach New York zurückgezogen, um wieder zu studieren, oder besser: Es zu versuchen, denn ich bin derzeit viel auf Tournee. Aber ich möchte mich auf meine zukünftigen Filmarbeiten konzentrieren und der Frage nachgehen, was ich als Filmemacher aussagen will. Deswegen bin ich wieder zurück an die Uni, um Drehbuchschreiben und Filmgeschichte zu studieren.
Im Song "Brooklyn" von deiner Debüt-EP "Iron" beschreibst du die Schönheit von Alltagssituationen, die dir dort passieren und es endet mit den Worten: "Here in Paris rain is falling / my heart belongs to Brooklyn." Das wirkt wie eine Liebeserklärung an diese Stadt. Ist es das?
Das ist richtig. Der Song wirkt gerade mit diesen Worten am Ende wie eine Liebeserklärung an die Stadt New York. Aber, Moment: Wäre es Dir das wert, dafür den Atlantik zu überqueren, weil Du selbst gar nicht dort lebst? Der Grund, warum ich diese Stadt liebe, ist, dass ich jemanden liebe, der dort wohnt. Wenn diese Person nicht in Brooklyn sein würde, wenn es nicht der Treffpunkt für unsere Beziehung wäre, dann würde ich die Stadt auch nicht so mögen. Es ist also ein Song der sagt, dass wir eine Stadt immer deswegen lieben, weil wir jemanden dort lieben.
Also vergleichst du nicht die Städte und damit New York als das freie und offene Gegenstück zu einem verknöcherten, elitären und alten Paris, wie es in einigen Zeilen anklingt?
Nein, ich liebe Paris. Ich fühle mich dort wohl. Es ist nur so, dass ich in New York etwas Exotisches für mich gefunden habe, einfach weil es nicht der Ort ist, von dem ich komme. Es hat diesen Charme ... wie sagt man: Das Gras ist immer grüner auf der anderen Seite. New York ist kulturell sehr vielfältig, viel mehr als Paris. Paris ist eine kleine Stadt, eingeklemmt zwischen Autobahnringen. Sie dehnt sich nicht aus, sie ist sehr teuer und die Menschen dort sind fast alle vom gleichen Schlag. Aber ich möchte dort von Zeit zu Zeit leben, um meinen Geist so offen wie möglich zu halten.
"Kampf ist ein leidenschaftlicher Anspruch an Liebe"
Auf die Frage, welcher Satz aus einem Popsong für dich der wichtigste ist, hast du einmal geantwortet: "I'm gonna break you down with a stone to see what you're really worth to me" aus Rufus Wainwrights Song "Dinner At Eight". Warum ist diese Zeile so bedeutungsvoll für dich?Was ich an dem Song besonders mag, ist diese zum Ausdruck gebrachte Hassliebe, die er für seinen Vater empfindet. Es ist ein sehr berührender Song, denn es ist ein Gefühl, dass ich ebenso kennengelernt habe im Umgang mit den Menschen, die ich liebe: Manchmal musst du sie verletzen, um überhaupt erst zu merken, wie sehr du sie liebst. Du musst die Beziehung zerstören, um zu sehen, was sie dir bedeutet.
Ich habe herausgefunden, dass ich nur Personen liebe, die mir gegenüber eine gewisse Widerständigkeit zeigen. Ich tendiere dazu, mich in Konflikte zu begeben, aus denen sich dann Zuneigung entwickelt. Auf gewisse Weise entsteht Liebe auch aus Konflikten. Es ist eine etwas reifere und weniger romantische Art, über Liebe und den Wert von Liebe und Hass zu sprechen und auszudrücken, dass es doch viel komplexer ist. Ich liebe Rufus dafür, denn er hat eine große Begabung in diesen Themen, der Art, wie er über menschliche Beziehungen spricht.
Das heißt, dass gerade Konfliktsituationen, in denen alle Gefühle und Wunden offen zu Tage treten, der Weg sein können, jemandes Herz zu erreichen?
Ja, schon. Im Französischen haben wir diesen Satz, der ausdrückt: Wenn du jemanden liebst, tendierst du dazu, etwas aggressiv aufzutreten. Vor allem in dem Moment, wo man jemanden gefunden hat, dem man dies offenbaren möchte, wenn es darum geht, die Beziehung auf eine höhere Ebene zu bringen - oder eben nicht. Ich liebe Musik und Filme, in denen Pärchen miteinander kämpfen, bevor sie sich am Ende lieben. Es ein leidenschaftlicher Anspruch an Liebe. Er ist auch sehr stark in meiner Musik zu finden.
Die Legende sagt, dass der Gitarrist Richie Havens dir während eines gemeinsamen Videodrehs ein Banjo geliehen hat.
Richtig, zu dieser Zeit spielte ich bereits etwas Klavier und wusste, dass ich auch irgendwann anfangen musste, Gitarre zu lernen, um richtig Musik zu machen. Richie kam während dieses Drehs auf mich zu und meinte, es wäre vielleicht ein guter Start mit einem viersaitigen Instrument zu beginnen. Wir waren in einem Gitarrenladen, er hat das Instrument von der Halterung genommen, darauf unterschrieben, es gestimmt und mir die ersten Akkorde gezeigt.
Ich bin generell nicht so verrückt nach Saiteninstrumenten und Gitarren. Es ist auch schwierig für mich, damit zu arbeiten und etwas zu fabrizieren, von dem ich nicht das Gefühl habe, es schon einmal gehört zu haben. Deswegen habe ich dann entschieden, keine Gitarren auf dem Album zu verwenden. Aber der Ausgangspunkt war diese lustige Geschichte.
"Die Zeiten sind aggressiv genug"
Wenn man auf deine bisherige Karriere als Videokünstler blickt und nun deine Musik hört, könnte man den Eindruck bekommen, du bist ein sogenanntes Wunderkind. Wie beurteilst du dein Talent und deinen Umgang damit?Es passiert nichts von allein, ich arbeite sehr viel. Ich nehme mir auch die Zeit, darüber nachzudenken, warum manche Ideen nicht funktionieren. Das ist etwas, was mir wirklich Kopfzerbrechen bereitet. Ich erinnere mich an das Video zu "Run Boy Run": Wir hatten dafür einen Grizzlybären am Set. Wir mussten ihn von weit her kommen lassen und ihn richtig in das Setting einbinden, aber am Ende kam nichts Vernünftiges dabei raus. Das war sehr schmerzhaft, denn es hat uns eine Menge Geld und Kraft gekostet, das auf die Beine zu stellen und wir mussten es einfach wegwerfen.
Mein Produzent kam zu mir und sagte: Schau, lerne aus deinen Fehlern, es hat nicht funktioniert, na gut, Mülleimer. Ich denke, das ist auch ein Stück weit der Grund, warum ich es schaffe, Sachen zu machen, auf die ich stolz sein kann: Ich siebe viel aus. Ich produziere sehr viel, ich bin kreativ, aber ich werfe auch viel auf den Müll. Ich habe einfach akzeptiert, dass ich manchmal falsch liege und dass wahrscheinlich auch einige der Entscheidungen, die ich beim Album gemacht habe, falsch sind.
Dem britischen Guardian hast du, befragt nach deiner Entscheidung, ein 30-köpfiges Orchester in die Musik einzubinden, zur Antwort gegeben: "Als ich mit der Musik anfing, wollte ich so groß werden wie ein Wolkenkratzer". Woher kommt dieses Selbstbewusstsein und der Mut, ein solches Risiko einzugehen?
Wieso sollte es ein Risiko sein? Was ist das Risiko daran, groß zu denken? Es geht mir ja nicht darum, der Beste oder perfekt zu sein, sondern darum, große Ziele zu haben. Es ist lustig: Leute, die in eine Oper gehen, würden das nie bei einer Oper anmerken. Denn es ist klar, dass eine Oper ein Orchester hat. Wenn du aber ein Orchester in einen Popsong reinnimmst, befürchten die Leute, du machst da etwas Größenwahnsinniges. Das ist verrückt, denn ich spiele ja nicht mit 2000 Musikern. Ich habe 30 Musiker, das ist das kleinste Orchester, das du bekommen kannst.
Du musst die Leute nur aus ihrer Komfortzone rausholen und schon werden sie nervös und greifen dich ein bisschen an. Niemand würde zum Beispiel zu Madonna gehen und sagen: Du machst so bombastische Shows. Die Leute erwarten das von ihr. Ich habe eine große Liebe für Unterhaltung. Ich liebe Kinos, in denen du dir diese Brillen aufsetzt, den Film in 3D siehst und auf diesen beweglichen Sesseln sitzt.
Wo eine gewaltige Einrichtung um dich herum dafür sorgt, dass du unterhalten wirst. Das ist das, was ich versuche mit meiner Musik zu erreichen. Ich möchte, dass die Menschen, die zu meinen Konzerten kommen, große Emotionen erleben und vielleicht sogar mehr empfinden, als sie dachten, empfinden zu können.
Du hast mit Lana Del Ray und Rihanna gearbeitet und Videos für sie produziert. Jetzt veröffentlichst du als sogenannter Indie-Künstler auf einem Indie-Label Deine eigene Musik. Meist ist es so, dass mit Indie-Sound aufgewachsene Hörer Mainstream-verdächtige Musik ablehnen. Hast du da eine ähnliche Trennungslinie oder ist das einfach Bullshit?
Du meinst, wenn diese Trennungslinie dafür steht, dass Indie gute Musik heißt und Mainstream schlechte Musik?
Ich kenne genug Leute, die das so sehen.
Ich kenne tonnenweise Indie-Bands, die aus meiner Sicht scheiße sind. Und ich kann Dir eine Menge Mainstream-Künstler nennen, die ich großartig finde. Die Qualität der Musik hat nichts mit der Anzahl an Platten zu tun, die du verkaufst. Es ist eines der größten Probleme der Musikindustrie im Moment, dass Musikkritiker oder andere Menschen glauben, viele Platten zu verkaufen bedeute automatisch beschissene Musik zu machen. Ich werde hoffentlich auch in Zukunft die Musik machen können, die mir vorschwebt. Ich werde auch weiterhin versuchen, dabei kreativ zu sein. Und hoffentlich verkaufe ich Platten, dafür sollte man sich nicht entschuldigen müssen. Man sollte sich nur dafür entschuldigen, beschissene Musik zu machen.
Deine Musik wird im Videospiel "Assassin's Creed" verwendet, daneben hast du einen Song für eine Werbekampagne von O2 und Nike hergegeben und für den Hitchcock-Film. Man könnte dir Ausverkauf vorwerfen.
Ich finde die Frage ein bisschen aggressiv, aber ich werde sie beantworten: Natürlich habe ich auch versucht, mit diesem Projekt Geld zu machen. Aber nicht, um mir dafür Drogen zu kaufen oder Autos oder in den Urlaub zu fahren. Ich versuche Geld zu machen, um das Projekt kreativ zu füttern und um die Videos so zu gestalten, wie ich es getan habe. Manche Leute, manche Hipster, die nicht einmal echte Hipster sind, weil sie wahrscheinlich nichts aus ihrem Leben machen, werden denken, hinter diesen Videos und hinter mir steckt großes Marketing, weil alles sehr bombastisch aussieht.
Die Wahrheit ist, dass es das Geld von meinem eigenen Bankkonto ist, das ich in die Videos stecke, anstatt es für Prostituierte oder Drogen auszugeben oder um die Nächte in Clubs zu verbringen. Denn ich hege eine Leidenschaft für das, was ich mache. Ich bin dabei auch freigiebig: Ich habe eine Menge Geld verloren bei den groß aufgezogenen Konzerten, die ich in Paris gegeben habe. Da ich aber das Glück habe, als Filmproduzent Geld zu verdienen, bin ich nicht darauf angewiesen, mit meiner Musik Geld verdienen.
Ich habe mich entschieden, die Musik für das Videospiel zu machen, weil es zu meiner Musik passt und die Verbindung zwischen Videospielen und meiner Musik offensichtlich ist. Ich habe dieses Spiel geliebt und es sehr oft gespielt. Dafür die Musik bereitzustellen war eine Ehre für mich. Ich habe davor viele Anfragen für beschissene Filme und Autowerbespots abgelehnt. Und wenn ich meine Musik für den Hitchcock-Biopic zur Verfügung stelle, dann weil ich denke, dass die Schauspieler und der Film gut sind. Ich gebe einen Scheiß auf Leute, die mir einen Ausverkauf vorwerfen, denn bis jetzt habe keinen einzigen Dollar mit dem Projekt verdient.
Bei den MTV Europe Music Awards im vergangenen Oktober gab es eine Kontroverse über das Siegervideo des chinesischen Musikers Han Geng. Ihm wurde vorgeworfen, allzu offensichtlich Stilelemente aus deinen Videos kopiert zu haben, worauf vor allem im Internet eine lebhafte Debatte losgetreten wurde. Hat er von dir gestohlen?
Mich hat das sehr amüsiert. Leute haben mir das gezeigt und gesagt, ich solle die Polizei anrufen. Aber ich habe die Sturmszenerie und den schwarz-weißen Hintergrund nun mal nicht erfunden, ich habe da kein Urheberrecht drauf. Bei diesem Video waren die Anleihen vielleicht etwas offensichtlich, aber auf der anderen Seite klauen sie mir nicht mein Geld.
Ich wäre tatsächlich angepisst gewesen, wenn ich sehr viel Arbeit in dieses Projekt gesteckt hätte, das sich niemand angeschaut hätte und dann wäre ein etablierter Künstler dahergekommen und hätte sich bedient. Wenn meine Arbeit Leute inspiriert, ist es mehr eine Ehre für mich als irgendetwas anderes.
Hast du mit Han Geng darüber gesprochen?
Nein, ich bin nicht streitsüchtig, was das angeht. Die Zeiten sind aggressiv genug, die Leute im Internet sind aggressiv genug. Sie erzählen eine Menge Scheiße über alles Mögliche, mehr als ich jemals darauf geben könnte.
1 Kommentar
hey, da isaja, ist mir erst dieser Tage aufgefallen, vor allem das Video mit dem kleinen Jungen und den Erdmonstern und der alten Hochhäuserstadt...(run boy run...), super Video, aber der ist ja auch scheinbar studierter Grafiker und Videoregiseeur, daher das super Video...