laut.de-Kritik
Der liebe Gott trägt keine dicken Hosen.
Review von Simon LangemannWenn sich zwei etablierte Meister ihres Faches zusammentun, stellt sich gern Verwunderung oder auch Irritation ein. Mit der überzeugten Feststellung, die beiden hätten "zueinander gefunden, obwohl das eigentlich niemand für möglich gehalten hat", eröffnete etwa Die Welt ihren flugs veröffentlichten Verriss.
Dass Savas seit Jahren immer wieder auf Schmacht-Hooklines von Moe Mitchell setzt, und Xavier schon vor Ewigkeiten mit Deutschrap-Urgesteinen wie Moses Pelham, Tone und Curse kollaborierte sowie in zwei Hip Hop-affinen Künstlerkollektiven (Söhne Mannheims, Brothers Keepers) mitmischt, scheint erstaunlich vielen entgangen zu sein. Dennoch mussten sich beide Künstler für die intensive Zusammenarbeit ein Stück weit bewegen.
Was sich vom Endergebnis recht deutlich ablesen lässt. Um sich nicht als Duo der Gegensätze, sondern als eng zusammengewachsene, lediglich in zwei kreative Köpfe "Gespaltene Persönlichkeit" zu präsentieren, vollenden beide eine längst angedeutete Entwicklung und legen jeweils jahrelang gepflegte Merkmale ab. Die erschlagend tiefgreifende Religiosität bzw. der Anspruch auf den Rapthron bestimmten einst die Texte von Naidoo und Savas. Beides kehrt auf der vorliegenden Platte nur im Ansatz wieder.
Gemeinsam besinnen sich die zwei Künstler mit wenigen Ausnahmen auf eine melancholisch angehauchte und bis ins Detail durchdachte Themenschnittmenge - bestehend aus Liebe ("Du Bereicherst Mich"), Freundschaft ("Gegen Die Freundschaft"), Gefühlskälte ("Form Von Liebe"), Optimismus ("Schau Nicht Mehr Zurück"), dem Bösen ("Satan Weiche") und der reflektierten Umschreibung des eigenen Schaffens ("Wenn Es Nacht Ist"). Und so abgenutzt das auch klingen mag: Ihr Vortrag wirkt ausgereifter und kredibler als auf den meisten Soloreleases der letzten Jahre.
Als angenehmer Nebeneffekt halten sich Naidoos pathetische Ausschweifungen erstaunlich in Grenzen. Mit Ausnahme der dramatischen Nummer "Abschiedsfluss": "Es werden keine Abschiedstränen / es wird ein Abschiedsfluss / Gäbe es nur keine bösen Gründe / für diesen Abschiedskuss", schmachtet der Mannheimer im Refrain. Song-interne Entschädigung für den kitschigen Ausrutscher liefert Savas' eindringlicher Part über Krieg und Kulturkonflikte sowie ein angemessen episches Finale mit herrlicher Trompeten-Melodielinie.
Die hier und da, etwa im mächtigen "Die Zukunft Trägt Meinen Namen" eingestreute Selbstbeweihräucherung macht in dem Maß nicht nur ordentlich Laune, sie sei dem Duo auch gegönnt. Kein Geheimnis machen die beiden nämlich glücklicherweise aus den musikalischen Markenzeichen, mit denen sie sich quasi parallel zu Idolen des jeweiligen Genres entwickelten: die unerreicht hingebungsvolle Soulstimme auf der einen und der messerscharfe, leidenschaftliche Flow auf der anderen Seite.
Aus einer üppigen iTunes-Sammlung, in Naidoos Worten: "aus was weiß ich wie viel hundert Beats", pickten sich Xavas die 15 Instrumentals heraus. Um so beachtlicher, dass die Platte aus rein musikalischem Blickwinkel weniger als bunt zusammengewürfelte Mischung, denn als homogene Einheit erscheint. Klar, das synthetische Monstrum von "Die Zukunft Trägt Meinen Namen" hat mit den leichtfüßigen Harfenklängen bei "Lass Nicht Los" oder den Gitarrenakkorden bei "Form Von Liebe" nur wenig gemeinsam. Doch betrachtet man das Gesamtwerk, wandern Xavas mit ihrer Auswahl treffsicher zwischen Kontrastreichtum und rotem Faden.
Letzteren verdankt man in erster Linie dem dominanten Anteil organischer und orchestraler Soundelemente, der "Gespaltene Persönlichkeit" darüber hinaus auch in Sachen Arrangement und Sounddesign zum Erlebnis macht. Von der Extravaganz des Maeckes-Beats ("Wage Es Zu Glauben") zeigten sich Xavas im laut.de-Interview fest überzeugt. Tatsächlich verdankt man dem Orsons-Mitglied, von dessen Beschäftigung als Produzent vorrangig Hardcore-Fans wissen, das mit Abstand erfrischendste Instrumental der Tracklist.
Mit einfachen, aber außergewöhnlichen Mitteln und zahlreichen Brüchen bringt er atmosphärische Synthies, extrovertiertes Tomtom-Getrommel sowie einen schlingernden E-Gitarren-Loop unter einen Hut. Xavier und Savas machen mit angenehm lebensbejahenden Lyrics und einer Ohrwurmhook das Albumhighlight perfekt.
Einen weiteren Höhepunkt erreicht die Platte ausgerechnet mit dem recht Naidoo-typischen Liebeslied "Du Bereicherst Mich". Breitwandstreicher und Gitarrenzupfer bestimmen das Klangbild, und auch Savas' Zeilen kommen auf den Punkt, als hätte er nie über etwas anderes gerappt: "Ich zieh die Luft ein / atme deinen Duft ein / dein bloßer Anblick wäscht meine Seele vom Schmutz rein."
Zum Schluss spielen Xavas dem Hörer das "Lied Vom Leben". Dabei lässt der selbsternannte King of Rap der bereits auf "Aura" kredenzten Poesie freien Lauf und bringt nicht nur seine eigene Faszination, sondern eigentlich jegliche Form von Liebe zur Musik anrührend auf den Punkt. "Die Akkorde sagen mir, in welcher Stimmung ich bin / Hi-Hats zeigen mir, wo ich mich grade befind': HIER!" Mit dem Fadeout des treibenden, verhältnismäßig schlichten Beats scheint die Platte ihren abrundenden Endpunkt gefunden zu haben.
Ein paar stille Sekunden dahinter verbirgt sich dann allerdings eine bedingt erfreuliche Zugabe - ein düsterer Track über Ritualmorde, dessen Songtitel "Wo Sind Sie Jetzt" sich erst bei einem Blick in die Credits ergibt. Warum man ausgerechnet das mit Abstand heikelste und düsterste Thema des Albums am Ende der Spielzeit verstecken muss, leuchtet nicht wirklich ein. Immerhin ändert die musikalische Schwachstelle, auf den Posten des Hidden Tracks verbannt, nur wenig am überzeugenden Gesamtbild.
Dieses geben Xavier und Savas als "Gespaltene Persönlichkeit" nämlich zweifelsohne ab, auch wenn die ganz großen Überraschungen ausbleiben. Nach denen wird sich aber ohnehin kaum jemand sehnen, denn Savas' selbstbewusstem Statement gibt das Album mit wenigen Abstrichen Recht: "Man kann es anhören und sagen: Das ist geil."
74 Kommentare mit einer Antwort
Bitte? Ich habe das Album tatsächlich gekauft und finde es sehr anstrengend! Erstaunlich wenig pathetisch. Ich musste vor lauter Pathos beinahe kotzen. Und außer seinem Flow ist Savas auch nix mehr geblieben was noch "kingwürdig" wäre.
Gut, die Beats sind gelungen!
2/5
Review klingt eher nach 4/5.
Nach meinem befinden sind 3/5 definitiv richtig, denn sowohl Savas als auch Naidoo Fans kommen auf ihre Kosten - aber eben nicht in jemen Maße, wie es auf jeweiligen Soloalben der Fall wäre. Mir wäre ja immer noch ne Kollabo mit Savas und Banjo lieber...
Was ich am Hip-Hop liebe: Seine Verachtung für den Pathos und das Insistieren auf einer gewissen Realität, bzw. Direktheit; aber wieso dann diese triviale Kehrtwende hin zu Sex, Frauen und Drogen? Wieso nicht Borges und Burroughs endlich musikalisch verarbeiten, also surrealistische Szenerien, Auflösung erzählerischer Traditionen (Cut-Up Technique, Verfließen von Handlungsebenen à la Rushdie)und magischer Realismus.
xavier schreibt so schöne songs. geh doch zu deiner mudda
Insgesamt ein sehr starkes Album. Der beste deutsche Rapper und der beste deutsche Popsänger zusammen.
Auch der Hidden Track hat was.
..ja ein wirklich großartiges, sehr starkes, schönes, wahres, fantastisches Album,
mein Lieblingstrack ist "Satan, Weiche".......
was hat denn der Hidden Track ?
Den großen Elefant im Raum – den „Hidden Track“ – spreche ich an dieser Stelle einmal nicht an, da bereits ganze Abhandlungen darüber geschrieben wurden. Die Wahrheit befindet sich vermutlich irgendwo zwischen „Missverstanden“ und „Schwulenfeindlich“. Im Kontrast dazu ist der große Rest dieser Kollaboration mit Xavier Naidoo aber wie erwartet eher harmlos und radiotauglich. Naidoo hält sich textlich mit wilden Verschwörungen weitestgehend bedeckt und trällert unaufgeregt seine Gesangspassagen herunter. Savas hingegen verliert sich in Melancholie und unverständlichen Vergleichen, die wohl privat und vielschichtig sein sollen, dem Hörer aber kaum etwas mitgeben. Es ist ein Album für die breite Masse, das ohne den Hidden Track jeder bereits wieder vergessen hätte. 2/5.