laut.de-Kritik

Jedermanns Lieblingsnewcomer.

Review von

Es ist die Underdog-Story, fast zu perfekt, um wahr zu sein: Binnen einem Jahr arbeitet sich YBN Cordae vom etwas ernsteren Sidekick des Soundcloud-Stars YBN Nahmir zu einem der renommiertesten Debütanten des Rapjahres herauf. Wo der etwas unsicher wirkende Junge mit Twists aus North Carolina sonst als Peripherie der GTA-Rapper-Crew YBN aufgenommen wurde, stehen jetzt Dr. Dre, Chance The Rapper und Major-Label hinter ihm. Und der Grund für den ganzen Hype? Den liefert sein Debutalbum "The Lost Boy". Er kann einfach verdammt gut rappen. Manchmal ist es so einfach.

Verdammt gut rappen hat aber verschiedene Formen und Farben. Cordae zeigt hier eine ganze Palette davon. Statt auf imposante Stunt-Raps oder sinnlosen Wortsport zu setzen, variiert er Storytelling und Einblicke in seinen rasanten Lebenswandel, experimentiert mit verschiedenen Sounds und Produktionstypen.

Der offensichtliche Standout ist dabei "RNP", ein von J. Cole produzierter Track mit unwiderstehlichem Groove und Chipmunk-Sample, auf dem Cordae und Neo-Soul Funkmeister Anderson .Paak mit bestechender Chemie Bars abwechseln. Es hat diese 'Kleiner Bruder-großer Bruder'-Dynamik, die vielen von Cordaes Songs eigen ist, eine Attitüde der Jugendlichkeit, die trotzdem weise wirkt.

Diese Haltung, mit der er die Freude und den Hype modernen Hip Hops zwar versteht, aber auch ein Ohr und ein Herz für die Frustration früherer Generationen mitbringt und deswegen immer wieder gekonnt auf deren Nostalgie zielt. Das vorhin erwähnte Chipmunk-Sample gibt es vielleicht schon ein wenig vorweg, aber dieser nostalgische Sound findet am ehesten in der Ära um 2004 statt, zwischen Kanye Wests "The College Dropout" und Commons "Be", aber ergänzt um die Gospel-Rap-Anleihen, die man in Chicago auch in diesem Jahrzehnt zelebriert.

Demnach ist nicht nur "Bad Idea" mit Chance The Rapper ein Moment, in dem man sich an "Acid Rap" erinnert fühlt: Auch auf Songs wie "Wintertime", "Way Back Home" oder "Family Matters" kanalisiert Cordae das Gospel, den Hunger und den Glauben auf eine äußerst sympathische und greifbare Art und Weise. Er verkauft seinen Weg und seine Probleme nicht als das Zentrum der Welt, lässt aber durchschimmern, dass er schon so einiges mitgemacht hat, sei es schwierige Verwandschaftsverhältnisse oder Identitätssuche nach dem Schmeißen des Colleges.

Dass er trotzdem auch mal auf ein Take A Daytrip-Trap-Instrumental hüpft, tut seinem Narrativ demnach keinen Abbruch. Er hat immerhin Gravitas und Flow, um BoomBap und Trap gleichermaßen zu handhaben, und dass er später auf "Nightmares Are Real" neben Pusha T und auf "We Gon Make It" neben Meek Mill rappt, spricht für seine Flexibilität und sein Talent. Kleine Highlights im Pacing der Platte sind die Interludes: "Sweet Lawd" ist ein warmer Soul-Skit und "Grandmas House" eine endlos süße Gospel-Session mit Cordaes Großmutter.

Es wird auf "The Lost Boy" eigentlich kein Rad neu erfunden. Aber wie natürlich bei YBN Cordae schon auf seinem Debutalbum Kompetenz, Songwriting und Sympathie zusammen kommen, ist beeindruckend. Es ist ein abwechslungsreiches, dynamisches und charismatisches Projekt mit latentem Mixtape-Charakter, das sich nicht nur wunderbar zugänglich hören lässt und Spaß macht, sondern auch mit Bravour ein neues Gesicht in der lyrischen Ecke der Raplandschaft vorstellt. Wenn J. Cole das "Middle Child" ist, dann gebärt sich Cordae hier als das jüngste Kind. Aber von einem Nesthäkchen könnte er dennoch kaum weiter entfernt sein.

Trackliste

  1. 1. Wintertime
  2. 2. Have Mercy
  3. 3. Sweet Lawd - Skit
  4. 4. Bad Idea (feat. Chance The Rapper)
  5. 5. Thanksgiving
  6. 6. RNP (feat. Anderson .Paak)
  7. 7. Broke As Fuck
  8. 8. Thousand Words
  9. 9. Way Back Home (feat. Ty Dolla $ign)
  10. 10. Grandma's House - Skit
  11. 11. Been Around
  12. 12. Nightmares Are Real (feat. Pusha T)
  13. 13. Family Matters (feat. Arin Ray)
  14. 14. We Gon Make It (feat. Meek Mill)
  15. 15. Lost & Found

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT YBN Cordae

"It seems like we are at a generational gap", resümiert im Mai 2018 ein Typ mit kurzen Twists, moppeligem Gesicht und unerwartet wendigem Flow. Er formuliert …

3 Kommentare mit 2 Antworten