laut.de-Kritik
Art brut aus Wien direkt in deine Hirnmembran.
Review von Franz MauererEiner der hervorragenden neuen Merch-Artikel von Yung Hurn anlässlich des Releases von "Crazy Horse Club Mixtape, Vol. 1" ist ein T-Shirt mit dem Spruch: "What the fuck is going on?" - genau. Nach dem Großwerk "Love Hotel EP" bog der Gott des kontemporären Austropop ein wenig in die falsche Richtung ab - die ersten beiden Studioalben "1220" und "Y" waren keineswegs schlecht, konnten das zu diesem Zeitpunkt schon nachgewiesene Genius des Wieners aber nicht einfangen. Abgesehen von Singles für die Core-Fanbase ("Shishabar Rapper", "Schlimm ;-(") und dem starken "Nichs Mehr Fühlen" hörte man erschreckend wenig vom zweitnettesten österreichischen Junkie. Sankt Nikolaus hörte jedoch die Gebete und lieferte das offiziell als Mixtape firmierende "Crazy Horse Club, Vol. 1", und man kann nicht so recht glauben, was man da hört. Cloudrap hat sich weiterentwickelt, klar, und gerade aus Wien kommen Gestalten wie Bibiza, die Genregrenzen brechen und sich eher im Lebensgefühl von Hip Hop als im Genre wohlfühlen.
Aber so wie Yung Hurn auf "Crazy Horse Club" hat das noch keiner gemacht. "Mo - So" und "Into You" sind als Opener insofern Nebelkerzen, denn sie stehen auf diesem enorm heterogenen Werk nicht stellvertretend für den weiteren Verlauf. Schlecht ist dieses versammelte Chaos aber keinesfalls, ganz im Gegenteil hört sich der Sound jedes einzelnen Tracks auf "Crazy Horse Club Vol. 1" so gefestigt an und ist so voller Ideen, dass man kaum glauben mag, wenn die Fahrtrichtung umgehend wieder umgelenkt wird.
Der Opener "Mo - So" ist der atemlose Breakbeat-OST zu einem hoffentlich irgendwann erscheinenden (und guten) Postal V. Erst im weiteren Verlauf des Albums merkt man, dass hier noch Schongang angesagt war und Jungle nicht das Tempo der Platte ist. Schon der Feature-Gast meatcomputer, der mit seinem schwer zu beschreibenden Internetcore in Berlin mittlerweile mittelgroße Clubs füllt, zeigt die Richtung, in die "Into You" geht. Flirrender Beat und repetitiver Refrainloop machen einen ganz feinen Bastard aus modernem House und Cloud Rap, der die Bühne bereitet für das pumpende "Hollister" mit dem solo gar nicht mal so interessanten EN60.
Spätestens an dieser Stelle betritt Gabba die Bühne, und wer auch jetzt noch nicht tanzen muss, mit dem stimmt was nicht, denn "Hollister" ist ein schlicht perfektes Amalgam aus Techno und modernem Hip Hop. Man hört aus jedem Ton die Freude heraus, mit der Hurn sich in dieses Projekt gestürzt hat, und für Hurn untypisch fallen die Features auf "Crazy Horse Club, Vol. 1" nicht ab, sondern die Songs wirken völlig organisch gemeinsam geschrieben. Das Tempo von "Hollister" mitzugehen macht genauso viel Freude wie es fast schon körperliche Anstrengung verlangt. Mit "3 Aus 3" folgt eine vor Selbstmitleid und Unverständnis triefende Neo-Soul-Nummer auf Tempo 1,5, deren apathische, rein ich-bezogene Verzweiflung einen abstößt und gleichzeitig in den Bann zieht. Hurn karikiert die einminütige Nummer mit "3 Aus 3 (Slowed)" und macht aus der hektischen Angelegenheit eine zähe Melasse, die in dieser Gestalt nicht mehr selbstmitleidig, sondern verbittert und vorwurfsvoll klingt. Hurn nutzt nicht nur hier Formant Shifting in einer bemerkenswert souveränen Art und Weise, er ist einfach durchgehend au point. So kriegt er den Schmäh und das Ironisch-Intellektuelle aus seiner Originalstimme verbannt, die zu diesem Projekt wohl wirklich nicht gepasst hätte.
Von der Debatte um seine Teilnahme an der Eröffnung der Wiener Festwochen im Mai 2022, die der "Wiener Schmusechor" (kein Witz!) wegen der angeblich frauenfeindlichen Texte von Hurn boykottierte, was wiederum das moralischste aller deutschsprachigen Moralblätter, den Standard, zum Generalangriff auf Hurn veranlasste, zeigt sich Julian Sellmeister unbeeindruckt. Das Dauergeschnacksel mit Herzschmerz war im Hurnschen Textgut schon immer präsent, auf "Crazy Horse Club" kommt aber ähnlich wie auf "Love Hotel EP" eine ständige Sehnsucht nach der/ einer Partnerin dazu, die Hurn mit seiner Egozentrik, der Austauschbarkeit seiner Partnerinnen und der beißenden Kritik am Gegenüber ("Ihr Vater hat viel Geld / Haus im 19. Bezirk / Sie kriegt alles, was sie will / Aber Liebe kriegt sie keine" auf "Hollister") und Drogenexzessen ("Baby, ich bin auf XTC, ich hab' schwitzige Hände / Es gibt Wörter, die ich zu dir gern' nie gesagt hätte / Hätte, hätte, hätte, hätte, hätte, Fahrradkette" auf "Mo - So") bis hin zum bekennenden Junkietum, wenn Hurn in den Strophen von "Eine Nase" von der Liebe zur Partnerin fantasiert, nur um sie im Refrain wegen der letzten verbliebenen Line Koks fast schon zu bedrohen, quasi ununterbrochen konterkariert. Die Posing-Ansätze der letzten beiden Alben sind vergessen, Hurn stilisiert sich selbst zum gar nicht mal so sympathischen Antihelden.
"Crazy Horse Club" zieht jetzt übrigens erst so richtig an. "Elfbar" mit Skrt Cobain, der im eigenen Output eine bemerkenswerte Inkonstanz vorweist, ist ein wahrgewordener Traum für alle Fans von cheesy D'n'B-Beats, die unterlegende Keyboard-Melodie ist ebenso der Wahnsinn wie das wohlplatzierte Wow-Vocalsample. Kaum vorbei, macht es "Ding Dong", und dank dem krass abgeschmackten Scooter-Gedächtnisintro fühlt man sich auch hier zuhause. An dieser Stelle featuret die enorm interessante Mietze Conte (bei der ich keineswegs ausschließen kann, dass es sich bei ihr um ein Hurn-Alias handelt), ihr Solowerk sei hiermit jedermann empfohlen. In der Techno-Drogenhymne "Eine Nase" verliert man dann endgültig den Verstand, den Glauben an die Menschheit und jeden Zweifel an diesem Album. "Yolo" beschließt den pumpenden Mittelteil dieses Tapes mit einem wunderschönen Beat, den Hurn und sein auch auf Solopfaden stets überraschender Gast Gola Gianni gekonnt in Grund und Boden knüppeln.
Nachdem die Anzeigen der Nachbarn nach diesen vier Dingern nun also raus sind, holt einen die smoothe Cloud-Ballade "Slow Spook" mit geiler Bassline wieder etwas runter und eröffnet einen weiteren Teil des Albums. Dieser beginnt mit der Jungle-Nummer "Mainframe BB", die sich im Refrain als perfekter Popsong enttarnt. Hurn vertraut im Übrigen auf eine bunte, meist österreichische Co-Produzentenriege, darunter altbekannte wie stickle, von dem immer noch niemand versteht, wie er Chakuza aushält, dem hier eine führende Rolle einnehmenden Mistersir über den von LGoony bekannten DJ Heroin, dem No-Name 22nate bis hin zum schon im öffentlich-rechtlichen TV als Produzentenwunderkind vorgeführten Filous.
Es folgt mit "Jumpstyle Auf Mein Herz" der schwächste, lediglich gute Song des Albums, die Nummer geht nirgendwo so recht hin, es fehlt die zündende, zwingende Idee, die alle anderen Tracks auszeichnet. Die liefert das bezaubernde "Go Go Go" en passant, die Mischung aus Harfen-Melodie und knochentrockenen Drums schmeichelt den Ohren geradezu unverschämt. "Engel 1" ist Jahrmarktmusik für alle Fahrgeschäftbetreuer da draußen, deren Angebetete sie ob der plärrenden Hintergrundbeschallung nicht versteht, die deutsche Antwort auf die frühen Crystal Castles. Viel zu früh ist "Crazy Horse Club" vorbei, endet aber immerhin mit dem Highlight schlechthin: "Aus Mein Kopf" und "Aus Mein Kopf (Slowed)". Gerade letzteres ist Hurns "Bound 2", mehr muss man dazu nicht sagen.
"Crazy Horse Club" ist ebenso Art Brut wie haargenau konstruiertes Werk eines der spannendsten deutschsprachigen Künstler, der seinen Weg wiedergefunden hat, in dem er zwanzig neue aufgetan hat. Dieses Tape wird charakterisiert vom unbedingten Willen zur Melodie und Texten, die in ihrer charmanten Verblendung endlich einen österreichischen Nachfolger zur legendären Gailtalerin hervorbringen. Kurzum: "Crazy Horse Club Mixtape, Vol. 1" macht einfach durchgehend Spaß.
14 Kommentare mit 19 Antworten
Meisterwerk 5/5
5/5
Ich hab den Namen des Künstlers gesehen, dann die Bewertung und musst spontan an Yannik denken.
5/5 ist etwas übertrieben, aber im Vergleich zu den beiden Solos davor ist das hier deutlich interessanter und auch spaßiger. Der Formant-Shifting-Effekt hebt es deutlich von seinen übrigen Werken ab und passt sehr gut zu den Elektro-Beats. Hatte den jungen Mann eigentlich längst abgeschrieben, aber hier hat er mich zum Jahresende echt positiv überrascht. Eins der wenigen nennenswerten Deutschrap-Releases, die ich dieses Jahr mitbekommen habe.
HOLLISTER fuck me, geil geil
Niemand: wisst ihr noch 2022, als yung hurn gesungen hat, dass er ein elfbar hat?