laut.de-Kritik

Wenn Luzifer zurückkehrt, dann richtig!

Review von

Jedes Jahr im Januar preist Kleinbasel ein Untier: Der rechtsrheinische Teil der drittgrößten Schweizer Stadt begeht seinen höchsten Festtag, der nach dem "Vogel Gryff" benannt wurde. Dieses Federvieh bot sich für Zeal & Ardor schon immer als Bandwappentier an: Verächter der Fantasie beäugen einen Löwenleib mit Raubvogelkopf misstrauisch, Verächter der musikalischen Flexibilität wiederum den Mix aus Death Metal und (Anti-)Gospel, dem die Band um Sänger Manuel Gagneux zu Beginn ihrer Karriere frönte. Nun ehren Zeal & Ardor das berühmteste Fabeltier ihrer Heimatstadt, indem sie ihren vierten Longplayer "Greif" nennen und damit verdeutlichen: Wir zeigen uns genreflexibler als je zuvor.

"The Bird, The Lion And The Wildkin" eröffnet das Album mit lieblichen Flöten und Trommeln. Stadtfestmusik? Wenn, dann unorthodoxe: Manuel Gagneux steigt alsbald mit souligem Gesang ein, ehe Marco von Allmen die Lieblichkeit mit ebenso brachialem wie filigranem Drum-Spiel konterkariert.

Mit "Fend You Off" folgt das frühe Albumhighlight. Diesmal zerklöppelt Marco von Allmen eine herzallerliebste Spieluhrmelodie im besten Sinne. Laut-leise-Kontraste perfektionierte die Band bereits auf ihrem selbstbetitelten Vorgängeralbum, auf "Fend You Off" spielt sie eine ihrer vielen Stärken abermals aus – auch gesanglich. Gagneux glänzt, erinnert mit seiner stimmlichen Variabilität an Maynard James Keenan und scheut sich nicht vor der großen Geste.

"Lieblichkeit? Spieluhrmelodie? Große Geste?", fragt sich nun der harte Kern der Schwarzen Szene. "Und was ist mit dem Satan?" Nun ja, er macht sich rar. In den Lyrics kommt – bei aller weiterhin vorherrschenden Düsternis – der Fürst der Finsternis kaum mehr zu Ehren.

Ab und an begibt sich Gagneux noch in gutturale Gefilde, der Klargesang überwiegt allerdings stärker als zuvor. Mit "Clawing Out" findet zudem nur ein lupenreiner Death-Metal-Track seinen Weg auf "Greif". Ein kleiner Trost für die Schwarzkittelträger: Während die Screams und Growls auf dem Debüt (auch produktionsbedingt) noch ein bisschen schwachbrüstig daherkamen, klingen Zeal & Ardor auf "Clawing Out" absolut authentisch. Wenn Luzifer zurückkehrt, dann richtig!

Sowohl der Flirt mit poppigem, angeproggtem Metal katatoniascher Couleur ("Fend You Off") als auch jener mit dem Alternative Rock steinzeitroyaler Prägung ("Thrill") gelingt. Während der ungeniert auf die Feuerzeugfraktion vor den Festivalbühnen schielende Lalala-Refrain der gelungenen Halbballade "Are You The Only One Now?" die letzten verbliebenen Schwarzkittelträger verschrecken dürfte, wird der Stoner Rock von "Thrill" sowohl Indie-Heads als auch Metaller in Moshpits locken.

Die Nu-Alternative-Death-Metal-Balladen-Brühe, die uns Zeal & Ardor mit "Greif" auftischen, schmeckt vorzüglich. Das ein oder andere Haar in der Suppe findet man dennoch: In "Solace" misslingt der Übergang vom hervorragend gesungenen Düster-Soul zum heavy Zwischenspiel. Nach drei Minuten malträtiert Marco von Allmen unvermittelt seine Double-Bass-Pedals und zerstört die Atmosphäre, die der Song zuvor aufbaute.

Auf Albumlänge ist der hemmungslose Genremix Fluch und Segen zugleich: Einerseits kommt dank der Abwechslung auch beim x-ten Hören keine Langeweile auf. Andererseits handelt es sich beim vierten Longplayer der Basler eher um eine lose Ansammlung gelungener Einzelsongs als um ein Album mit nachvollziehbarem Aufbau. Im Grunde überzeugende Tracks wie das elektronische Interlude "Une Ville Vide" stören den Albumfluss.

Trotz der stilistischen Vielfalt ist die Hinwendung zu sanfteren Tönen nicht zu überhören. Entscheidungen wie jene, die LP mit einer unironischen, handclapangereicherten Ballade zu beenden, überraschen, erweisen sich aber als goldrichtig: "To My Ilk" überzeugt auf ganzer Linie, lässt einen mitwippen, berührt.

Schenken uns Zeal & Ardor bald ein durchweg ruhiges Album der "Damnation"-Güteklasse? Möglich. Denn bereits jetzt entpuppen sich die Schweizer dank balladesker Ausflüge wie "To My Ilk" als Satans sanfteste Söhne. Davor verneigt sich auch der Vogel Greif.

Trackliste

  1. 1. The Bird, The Lion And The Wildkin
  2. 2. Fend You Off
  3. 3. Kilonova
  4. 4. Are You The Only One Now?
  5. 5. Go Home My Friend
  6. 6. Clawing Out
  7. 7. Disease
  8. 8. 369
  9. 9. Thrill
  10. 10. Une Ville Vide
  11. 11. Sugarcoat
  12. 12. Solace
  13. 13. Hide In Shade
  14. 14. To My Ilk

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3 Kommentare

  • Vor 3 Monaten

    Beim ersten Durchlauf ein bisschen Ratlos und auch ein wenig enttäuscht. Je öfter ich die Scheibe gehört habe desto besser gefiel sie mir und ich denke, das Z&A genau den richtigen Zeitpunkt gewählt haben um sich zu verändern. Noch ein viertes Call&Respond Ding wäre zu viel des Guten gewesen. Genaugenommen machen sie eine härtere Variante von "Birdmask"....

  • Vor 3 Monaten

    Der Vorgänger war einer der seltenen Platten, die ich nicht als gut bezeichnet würde, ich sie mir aber oft angehört habe, weil für mich dieses Gimmick Black/Death-Metal plus Gospel mega spannend war.

  • Vor 3 Monaten

    Eigentlich gar nicht meine Baustelle, aber das gefällt mir! Ich muss mich nochmal mehr mit Stoner-/Desertrock beschäftigen.