laut.de-Kritik

Zwei lose Bordkanonen verschieben den Fokus Richtung Pop-Punk.

Review von

"Wir lachen, weinen, kloppen, pogen, saufen, schlafen, wachen auf und legen wieder los", führen die 257ers in "Sekte" durch das vor ihnen liegende halbstündige Programm. Nach ihrem Selfmade-Abschied, dem selbsterklärten "Ende Vom Anfang", müssen sie alternative Wege einschlagen. Mit zunehmendem Singsang und bitte nicht allzu hart ausfallenden Gitarren verschieben sie ihren Schwerpunkt von Rap nach Pop-Punk. Unangetastet belassen sie ihren Pennälerhumor und die inkludierende Haltung. "Wir sind 'ne Sekte ohne Ziele. Wir wollen nichts bewegen, nichts verändern - außer Ihren Pegel."

Da Männlichkeitsposen ohnehin stets unter ihrem Niveau lagen, können sich die 257ers ohne Gesichtsverlust als "Schmuserocker" bezeichnen. Fest steht jedenfalls für sie, dass sie "Keine Rapper Mehr" sind. "Wir mussten die Reißleine ziehen", insistiert Mike zum drucklosen Sound der Kategorie Schülerband. Sie verkörpern das unbekümmerte und ebenso einnehmende Lebensgefühl à la Blink 182, zu dem es sich vortrefflich "Fließend Scheiße" labern lässt. "Lass alle sagen, wir sind die Gestörten", freuen sich die Konvertierten weniger kunstfertig als früher, "wir sind ganz einfach auf Kommando dumm."

Endgültig am Schulhof kommen sie mit "Masturbation" an, der sie mal "direkt beim Duschen", mal "zwischen Kaffee und Kuchen" frönen. Zum Vergleich: Newcomerin RawCat hat demselben Thema vor wenigen Wochen einen deutlich schwüleren und hochtourigeren Song gewidmet. Die 257ers wirken häufiger handzahmer, als sie selbst zu sein glauben. Immerzu rufen sie "Fick Dich" aus wie pubertierende Jungs, die sich gegen imaginierte Tabus auflehnen, während die eigenen Eltern die hyperexplizite HBO-Serie "Succession" genießen, welche die Leere hinter dieser Sprache ausbuchstabiert.

Als einziger Themensong behandelt "Ich Will Meer" die positiven Seiten des Klimawandels. "Elon Musk, Props für dein Marsprojekt. Hör' nicht auf Peter, der hat Wörter verdreht", geht noch als amüsante Replik auf Peter Fox' "Zukunft Pink" durch, doch zu schnell versumpfen Mike und Shneezin in ihren Spötteleien, "Lass' die Grünen reden, setz' die Plastiktüten-Segel." Natürlich dürfte auch ohne Mensa-Mitgliedschaft einleuchten, worauf die Essener hinauswollen, doch formulieren sie ihre Kritik derart butterweich, dass es den SUV-Fahrer nicht mal irritieren dürfte, wenn er ihnen in seiner Anlage lauscht.

Wichtiger bleibt ohnehin der helgeschneidereske Humor. "Ich Atme Weil Ich Luft Brauch" widmet sich dem respiratorischen System, dessen Befehle sie nur widerwillig befolgen: "Eigentlich hab' ich auf diese Scheiße keine Lust drauf!" Zum Oberthema Atmung hätte sich eigentlich auch bequem ein musikalischer Zugang finden lassen müssen. Stattdessen nehmen die rollend gemeinten Gitarren den Gaga-Humor viel zu ernst. Eine Art elektrischer Rasierer im Refrain geht als nettes Element durch, entzieht sich aber dem Kontext. Die Ideendecke der Produktionsseite bleibt bedenklich dünn.

Mit "Stirb" kommt schließlich auch die Komik des Duos an ihren Endpunkt. "Ich will gar nicht viel von dir, nur, dass du stirbst", singt Mike sanft. Im breiten Graben zwischen rabiatem Text und balladeskem Vortrag soll der Witz gedeihen. Schon im Versuchsaufbau klingt das Stück nur leidlich lustig. Doch Mike und Shneezin beginnen dann auch noch, den Graben zuzuschaufeln, indem sie Text und Musik immer gefälliger gestalten. "Sowas will ich natürlich nicht, war nur ein Witz", entschuldigen sich die 257ers plötzlich absichtsvoll, "Weil das moral-ethisch ein ganz klein bisschen fragwürdig ist."

Wie ein Kinderlied klingt dann auch "Meine Oma Hat Nen Pool", das ein "demographisches Problem" ausführt. Verwitwete Frauen, welche die Einsamkeit plagt, legen sich ein Schwimmbecken zu, um ihre Enkel dauerhaft an sich zu binden. Pflichtbewusst keschert sie aus dem Wasser das Erbrochene der Kindeskinder, die sich schon darauf freuen, den Frische spendenden Swimmingpool beizeiten zu erben. Das tönt noch unausgegorener, als es sich liest. Ob sich die beiden losen Bordkanonen einen Gefallen damit getan haben, ihr Seelenheil abseits ihrer Kernkompetenz zu suchen, darf bezweifelt werden.

Trackliste

  1. 1. Sekte
  2. 2. Keine Rapper Mehr
  3. 3. Fick Dich
  4. 4. Fließend Scheiße
  5. 5. Masturbation
  6. 6. Ich Atme Weil Ich Luft Brauch
  7. 7. Stirb
  8. 8. Ich Will Meer
  9. 9. Erwachsen
  10. 10. Papa
  11. 11. Meine Oma Hat Nen Pool
  12. 12. Faul Aber Mit Absicht

Videos

Video Video wird geladen ...

Weiterlesen

LAUT.DE-PORTRÄT 257ers

"Wir haben Schwänze, wir haben Ninjas, wir haben Spinat." Nö, der Variantenreichtum der 257ers lässt wirklich kaum Wünsche offen. An der Einigkeit …

4 Kommentare mit einer Antwort