laut.de-Biographie
Air
Nicolas Godin und Jean Benoit Dunckel sind Träumer. Sie müssen es sein, denn könnten sie sonst solche Musik machen? Kaum vorstellbar, dass sie sich schon an Indierock versuchten (aber mit Keyboards!). Tatsächlich übten sich die beiden Franzosen zusammen mit Alex Gopher und Etienne de Crécy einmal in der klassischen 3-Mann-3-Akkorde-Konstellation und nannten sich Orange. Damals noch als Studenten in Versailles.
Gopher, der die beiden während ihrer Studienzeit überhaupt erst zusammen brachte, macht sich aber alsbald vom Acker, genauso wie de Crécy. Beide findet man später jedoch trotzdem auf der musikalischen Landkarte wieder. Zurück blieben Nicolas und JB.
1995 schlägt die Geburtsstunde von Air. In den folgenden zwei Jahren tüfteln Godin und Dunckel noch an ihren Studiengängen (Architektur und Mathe/Physik), aber auch an ersten Songs. Die Debütsingle "Modulor Mix" findet prompt den Weg auf eine Compilation des Pariser Dance-Labels Source. Wenig später steht das Stück in englischen Plattenregalen, weitere Singles folgen, bis tatsächlich die Vertragsunterzeichnung bei Virgin gefeiert wird.
Von dort aus segelt Anfang 1998 das schwerelose Albumdebüt "Moon Safari" auf den Markt. Ohne sich aufzudrängen, erobern die elektronisch-melancholischen Klänge von Air aus dem Stand die Bars, Schlafzimmer und Autoanlagen ganz Europas. Fortan spricht man vom französischen Duo als schwermütigem Träumerkonglomerat, dessen Sound man am besten mit hoch gelegten Beinen in einem Easy-Chair genießt. Die Band selbst sieht das nicht sonderlich anders: "Our tracks are like dreams, we want to escape from reality", so Dunckels Eigendiagnose.
Air feiern schier unglaubliche Verkaufserfolge: Binnen eines Jahres gehen eine Million Einheiten von "Moon Safari" über den Ladentisch, so dass im August 1999 zu allseitigem Interesse mit "Premiers Symptomes" ein Album erscheint, das die frühen Werke des Duos für die inzwischen riesige Fanschar offenlegt.
Was sich im Jahr 2000 mit dem Soundtrack "The Virgin Suicides" zu Sofia Coppolas gleichnamigem Regiedebüt abzeichnet, manifestiert sich auf dem zweiten Air-Album "10000 Hz Legend" 2001 endgültig: Air wollen weg von den fluffigen Lounge-Trademarks ihres Millionensellers und beschreiten weit düstere und experimentellere Wege. Doch wie sagen die Urheber bei der Veröffentlichung des Albums selbst: "Es gab für uns keinen Grund, den Charakter von 'Moon Safari' neu zu interpretieren. Wem unser altes Album gefallen hat, kann es sich ja immer wieder anhören".
Im Folgejahr erscheint mit "Everybody Hertz" ein Remix-Album des Zweitlings, das aber lediglich drei Air-Songs in die Mangel nimmt ("Don't Be Light", "How Does It Make You Feel?", "People In The City"). Anhand der Remixer-Namen Modjo, Mr. Oizo, The Hacker und den Neptunes lässt sich nebenbei ablesen, welchen Stellenwert die Jungs aus Versailles in der Szene innehaben.
Mit "Talkie Walkie" bringen sie 2004 den dritten Longplayer in die Regale und das Publikum reagiert wieder eine Spur euphorischer als noch bei "10000 Hz Legend". Der Grund ist nicht schwer auszumachen: Nicht nur dank der einfühlsamen Singles "Alpha Beta Gaga" und "Cherry Blossom Girl" halten Air wieder Kurs auf eingängigere Softpop-Gefilde, was die Erinnerung an die gute alte "Moon Safari" angenehm auffrischt.
Der Song "Alone In Kyoto" schafft es zudem in Sofia Coppolas Film "Lost In Translation". Nach der Album-Veröffentlichung geht das Duo nach längerer Zeit mal wieder auf Welttournee und spielt im Sommer auch auf großen Festivals, u.a. beim Southside/Hurricane, auf dem schwedischen Hultsfred oder dem kalifornischen Coachella.
Das Jahr 2005 beginnt mit einer offiziellen Ehrung: Im Februar erhalten Nicolas Godin und Jean Benoit Dunckel aus den Händen des französischen Kulturministers den "Chevalier des Arts et Lettres", den französischen Orden der Künste und der Literatur. Weitere Ordensträger sind solch unterschiedliche Persönlichkeiten wie Jean Paul Belmondo, Karlheinz Stockhausen oder Uma Thurman.
Kurz darauf tritt eine Musikerin an das Duo heran, die in erster Linie durch ihren Nachnamen in Europa Kultstatus genießt: Charlotte Gainsbourg. Die Sängerin und Schauspielerin, die 1986 ihr erstes und einziges Studioalbum veröffentlichte, möchte die Herren von Air als Komponisten für ihr neues Album gewinnen.
Als große Verehrer ihres Vaters Serge, fällt Godin und Dunckel die Zusage leicht. Das Ergebnis mit dem Titel "5:55" erscheint Ende August 2006. Parallel zur Arbeit für Gainsbourg wagt der dunkelhaarige Dunckel die Emanzipation und bringt sein Soloprojekt Darkel auf den Weg, dessen gleichnamiges Album Mitte September erscheint. Zwar hört man die Herkunft des Urhebers im Klangbild deutlich heraus, Dunckel verarbeitet aber auch einige Einflüsse, die im Air-Kontext bislang nicht aufgetreten sind, etwa Glamrock.
Dass sich die beiden Air-Köpfe wegen eines Soloalbums noch lange nicht die selbigen einschlagen, belegt auch die Compilation-Reihe "Late Night Tales", für die das Duo eine somnambule Liste ihrer Lieblingssongs zusammen stellt, wie es vor ihnen bereits die Flaming Lips oder Jamiroquai taten. Mit dabei in der illustren Bandauswahl von Air sind The Cure, Scott Walker und Lee Hazlewood. Ihre musikalische Arbeit als Duo beeinträchtigen solcherlei Nebentätigkeiten natürlich nicht.
2009 kehren Air mit "Love 2" recht typisch zurück. Seine Moog Synthies, Wurlitzer und anderen alten Analaog-Instrumenten stellt das Duo auch live auf die Bühne - ergänzt durch Drummer und weitere Tourmusiker. Davon inspiriert beschreiten Dunckel und Godin für ihre Auftragsarbeit "Le Voyage Dans La Lune" (2012) neue Produktionswege: Der Soundtrack zum restaurierten kurzen Stummfilm von 1902, sozusagen der erste Science Fiction-Streifen überhaupt, wird komplett live eingespielt.
Danach wird es auch für Godin an der Zeit, eine Solokarriere einzuschlagen. Neben TV- und Filmarbeiten lässt er hin und wieder mit poppigen, loungigen Soloalben ("Contrepoint", 2015 und "Concrete And Glass", 2020) von sich hören. Auch Dunckel widmet sich in den Folgejahren einer Reihe von Auftragsarbeiten und veröffentlicht als JB Dunckel Alben, die von poppigem Songwriting ("H/+", 2018) über spacige Elektronik ("Carbon", 2022) bis hin zu reinen Klaviertönen ("Paranormal Musicality", 2024) eine große stilistische Bandbreite abdecken.
Zwischenzeitlich gibt auch mal die Band mit einer Best-Of ("Twentyears" (2016)) und einer Sammlung von Demos und Liveaufnahmen ("More Hertz", 2021)" das ein oder andere kurze Lebenszeichen von sich. Konkrete Pläne für ein neues Studioalbum gibt es jedoch nicht. Vielmehr sollten Fans froh sein, dass man die Band überhaupt noch live sieht. Die präsentiert 2024 "Moon Safari" zum ersten Mal live in kompletter Länge. Außerdem erscheint im selben Jahr eine Anniversary Edition des Albums mit einigen Raritäten.
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