laut.de-Kritik
Wässrige Drone-Sounds und wabernde Maschinen in der Wüste.
Review von Philipp KauseBesonders leicht machte es der Wüstenrocker mit den Electro-Spielereien, Blues-/Jazz-Grundlagen und einem Gesang, der einer Mischung aus Ausrufen, Lesung und Bowie-Genöle gleicht, selbst dem Indie-Publikum nie. Womöglich erklärt die fehlende Schublade, in die er sich einsortieren ließe, die verblüffend geringe Bekanntheit des heute 73-jährigen Alejandro Escovedo. Obwohl er sich das Reich eines eigenen Genres erschuf.
Mit Liebe zu Verstärken, gestartet in einer Zeit, als Industrial angesagt war, gehört sein rusty, raw & rough-Stil irgendwo zwischen David Eugene Edwards' Woven Hand (die Düsternis und Rhythmik), Jon Spencer Blues Explosion (Electroclash-Bluesrock-Kombi), Steve Earle (unbeirrtes, monomanisches Storytelling), John Cale (Artpop-Touch), Pere Ubu (ästhetische Spinnerei) und Chuck Prophet oder Giant Sand (Wüsten-Komponente).
Das Cover von "Echo Dancing" zeigt den alten Grummler, der gefühlt immer seniorenhaft wirkte, als verwaschenen Schatten. Teilweise hört er sich auch genauso an, etwa in "Everybody Loves Me" wie durch einen Trichter aus der Ferne zugemischt, in einer düsteren Verstärker-Inszenierung mit fuzzy Gitarren-Wabern und ziellosem Stolpern durchs Ungewisse. "And I don't know why / don't know why / no, I don't know why."
Kaputtschrauben von Tonsubstanz und das Reduzieren auf melodiefreies, rhythmisches Pochen, z.B. in "Too Many Tears" - solche Brüche streuen etlichen Tracks Sand ins Getriebe, selbst wenn sie eigentlich schon flüssig durchzulaufen schienen. Im Grunde wäre "MC Overload" ein passender Beiname. Aber bevor es Alejandro zu weit treibt, strippt er seine Nummern auf karge Skelette herunter: Das Gegenteil von Überfrachtung! Eine stringente Liedstruktur hat derweil vor allem "Swallows Of San Juan" mit schöner Orgel und klasse Distortion-Solo. Am kommerztauglichsten könnte "Inside This Dance" manche Knopfler-Fans locken.
Der Name Escovedo deutet es schon an: Der Mann ist vom spanischen Sprachraum mitgeprägt, "Mexicano-Americano" nennt er sich. Die heiser-geraunte und gerufene Psychedelic-Orgie "Castañuelas" hat deswegen auch einen spanischsprachigen Titel. "Castañuelas" ist ein Remake von Escovedos eigener Nummer "Castanets". Kurz nachdem er den Track Anfang der 2000er releaste, erwählte sein texanischer Mitbürger George W. Bush den Tune in dessen iPod-Top Ten zum Favoriten. Den Rest von Bushs beiden Präsidentschaften boykottierte der Künstler sein eigenes Lied und spielte es nie live.
Singen ist bei aller Textfülle nicht das, was Alejandro Escovedo wirklich macht. Sprechgesang, Rappen oder Spoken Word ist es aber auch nicht. Er zelebriert ein eigentümliches Spiel mit Sprache und Stimme, das ihn immer präsent erscheinen lässt und zugleich eine märchenhafte Atmosphäre oder den Eindruck eines Western-Hörspiels erweckt.
Nur im zarten "Outside Your Door" vernimmt man mal ein paar gesungene Zeilen zu den Synth-Loops. Der Künstler entfaltet sich gerne auf monumental voll geladenen Stücken vom Kaliber um die sechseinhalb, sieben Minuten. Im wässrig-elegischen Slow-Mo "Last To Know" (einem Eigen-Cover, Original: 1992), in der Klavierballade "Sensitive Boys" und im wohl besten Track der Platte, "Thought I'd Let You Know" macht er von diesen großen Brummern regen Gebrauch.
"Thought I'd Let You Know" dreht nach einem flächigen Intro und dann nach einer mit Nachdruck pulsierenden Sequenz, zu einem Drone-geschwängerten Semi-Instrumental auf, in dem die Amplifier für den Mittelteil das Regiment übernehmen. Die Gespenster des Maschinenparks sind los. Und irgendwann jault Alejandro mit leicht zittriger Stimme dazwischen. Es ist das Pathos-Zittern bei emotionaler Ergriffenheit.
Die letzten anderthalb Minuten klingen wie das Zusausen eines Meteoriten auf eine Kirchenorgel, in eiernder Flugbahn. Doch kurz vor Schluss wird der Steinschlag abgewendet, der Meteorit verblasst im Fade-Out. Entspanntes Kinderlachen entwarnt.
"MC Overload" aus Alejandros Migrations-Konzeptalbum "The Crossing" (2018) ist schließlich eine Art Theater-Monolog und Unplugged Freejazz-Blues mit Echo-Effekten, mit Verzweiflung, Depression und Beben in der Stimme. Ganz anders als in der knallharten Version vor sechs Jahren, aber in beiden Fällen finster. Symbolisch endet das Album in "Wave" düster und ratlos in Knister-Samples.
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