laut.de-Kritik

Die Skiptaste setzt Spinnweben an.

Review von

Noch nicht einmal 30 Jahre alt und als Musiker bereits eine graue Eminenz und fast schone eine Ikone. Geht das überhaupt? Aber natürlich!

Der Israeli Amit Erez ist gegenwärtig im staubigen Wüstensand des gesamten Nahen Ostens das Maß aller künstlerischen Dinge. Der Begriff Tausendsassa ist fast schon eine Untertreibung. Mit seiner Band Eatliz lebt er seine Gitarrenobsessionen aus Prog-Metal, Indie- und Waverock aus. Solo erklimmt der Tel Aviver qualitativ lässig den Gipfel der Folkszene. Nebenbei entwickelte er sich zu einem angesehenen Photokünstler mit Promifans wie z.B. Spike Lee.

Wie aus einem Guss präsentiert er nun ein sanftes – mitunter elegisch anmutendes – Singer/Songwriter-Album der Extraklasse. Es ist fast schon unheimlich, mit welcher Geschwindigkeit der passionierte Gitarrero sich künstlerisch entwickelt. Für die aktuelle Platte stellt er seine Leidenschaft weitgehend hinten an. Natürlich ist das geliebte Saiteninstrument stets vorhanden. Eine größere und führende Rolle erhalten jedoch besonders das Klavier sowie Streicher und ein Cello.

Von der ersten bis zur letzten Sekunde verströmt die Scheibe eine warme lagerfeuerartige Wärme, die den Hörer behutsam aber fordernd in ihren Bann zieht. Bis hin zur bewusst dramaturgisch angelegten Track-Reihenfolge findet alles seinen Platz im Gesamtkunstwerk. Die Skiptaste setzt Spinnweben an.

Dennoch funktioniert jedes einzelne Lied auch als eigenständige Perle. "Coming Down" glänzt als sensibel gehauchte Bestandsaufnahme einer verpfuschten Beziehung. Unwiderstehlich, wie er die ältesten Gefühle der Welt mit lässig poetischen Worten auch zum literarischen Erlebnis macht: "You will rise. But I will be lying here. You will find, that I never disappear." "Animal Heart" hingegen ist ein echter Hitsong für den nahenden Frühling; ähnlich flockig wie anno 2008 der Überraschungserfolg der Landsmännin Yael Naim, "New Soul".

In "Whales Dance For Me" spült ein drängendes Piano die Wellen an den Strand. Schwermut und Verspieltheit reichen einander die Hände. Erez' lyrisches Niveau erreicht gar unerwartete Cohen-Qualitäten. " Stormed by the soldiers I ran to the sea. Now that I'm under, I long to be master of the ocean. While the whales dance for me … and the whales dance for me."

Verletzlichkeit und Hoffnung transportiert er in "Pretty Things" mit einem seidenen Piano/Gitarren Arrangement; so zerbrechlich schön wie silbrig schimmerndes Mondlicht am östlichen Rand des Tel Aviver Mittelmeeres. Und dennoch: So ganz mag der Schöngeist seine Rockwurzeln nicht verleugnen. Dafür hat er sich das Titelstück vorbehalten. Vollkommen unvorbereitet trifft den Lauschenden inmitten eines schwelgerischen Klavierthemas die volle Noise-Breitseite. Sie kulminiert in einem hitzigen Strudel eines klingenden Feuerwerks.

Mit diesem ganz großen Wurf beweist der Israeli eindrucksvoll, dass es auch möglich ist, ein Folk-Konzept zu realisieren, das sich ganz selbstverständlich und bewusst nicht aus den derzeit gängigen Schubladen wie Antifolk, Americana, Alternative Folk oder der krachledernen Metal-Variante herleitet. Amit Erez spielt seine Lieder nicht nur, er zelebriert jeden Moment. Wer bereits dachte, Summer Conquered By Rain sei textlich und musikalisch kaum zu steigern, wird hier in punkto Ausgefeiltheit eines Besseren belehrt. Der Nachname Eretz bedeutet im Hebräischen so viel wie das Land. Spätestens mit diesem Album sollten keinerlei Landesgrenzen mehr Hindernis für diese Musik sein.

Trackliste

  1. 1. Pretty Things
  2. 2. Animal Heart
  3. 3. Whales Dance For Me
  4. 4. The Water Received
  5. 5. Holy Things
  6. 6. Coming Down
  7. 7. Secret Cards
  8. 8. Love Again
  9. 9. Last Night When I Tried To Sleep...
  10. 10. Papercuts

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