29. Januar 2007

"Im Kopf total abgefuckt!"

Interview geführt von

Berlin, -3°C, die Frisur hält. Es ist zwar nicht überliefert, ob auch Amy Winehouse zu Dreiwetter Taft greift, ihre auftoupierte Monstertolle legt jedoch den Eindruck nahe.Amy bricht über Berlin herein! So könnte die Meldung lauten, die den Besuch der Dame in der Bundesdeutschen Hauptstadt ankündigt. Zwei Tage lang sollte das Dicke B im Zeichen der jungen, ungestümen und partywütigen Chanteuse stehen. Der exklusive Gig in der Kalkscheune war bestens besucht. Hipsters, Flipsters, Labelmenschen und Pressefuzzis gaben sich letzte Woche ein Stelldichein, um einen genaueren Blick auf die Skandalnudel aus Großbritannien zu werfen, die sich anschickt, zum weiblichen Gegenpart Pete Dohertys zu mutieren. Eines hat sie dem Kate Moss-Gespielen jedoch voraus, und zwar Talent.

Der angekündigte Support spielte letztendlich doch nicht, hätte es jedoch ohnehin schwer gehabt, da ja alle nur wegen des britischen Frolleinwunders den Weg in die Scheune des Kalkes fanden. Kurz nach zehn Uhr Ortszeit betrat Amy Winehouse ohne großes Tamtam in Jeans und schwarzem Spaghetti-Trägershirt samt Spitzenbesatz die Bühne. So weit, so attraktiv. Was den Leibesumfang ihrer Souligkeit anbelangt: Eventuell sollte ihr jemand mal erklären, dass ein Kampfgewicht von 35 Kilo nicht so sexy rüberkommt, wie es vielleicht kolportiert wird. Was auf der Bühne noch relativ in Ordnung aussieht, erscheint beim Interview-Termin alles andere als gesund.

Naturgesetze außer Kraft

Wenn es nach der Faustformel 'großer Resonanzkörper = mehr Stimmvolumen' geht, setzt Amy Winehouse scheinbar die Naturgesetze außer Kraft. Ihrem Organ kann man nicht an den Karren fahren, höchstens dem Sound in der Kalkscheune, der doch etwas zahnlos klang. Das halbe Hemd am Mikrofon macht seine Sache aber ausnehmend gut und verabschiedet sich nach - leider nur - einer knappen Stunde mit zaghaftem Winkewinke von ihrem Berliner Publikum. Dass es sie beim hochhackigen Stiletto-Abgang von der Bühne nicht bäuchlings auf die Schnauze gelegt hat, verdankte sie wohl dem bereit stehenden Helfer, der sie sicheren Schrittes Backstage begleitete.

Die Resonanz war jedenfalls fast schon euphorisch. Auch wenn das neue Album "Back To Black" offiziell in Deutschland erst noch erscheint, so schienen dem Publikum die Songs ihres zweiten Longplayers nicht unbekannt gewesen zu sein.

Etwas ungewöhnlich, wenn auch nicht ganz überraschend, tauchte Amy nach dem gelungenen Konzert noch auf der Aftershow-Party auf. Dort hielt sie sich bis fünf Uhr in der Früh an dem einen oder anderen Drink fest. Die Konsequenz? Man muss nicht einmal bis drei zählen können, um zu erraten, dass Amy beim Interviews am folgenden Tag durch den sprichwörtlichen Wind war. Ihre auftoupierte Megatolle stand zwar, aber der äußere Eindruck war desaströs. Ok, jetzt versteht man zumindest ein wenig, weshalb die britische Yellowpress des öfteren von einer derangierten Amy Winehouse berichtet.

Der bemitleidenswerte Eindruck verstärkte sich noch, als sie den Mund aufmachte und ihrer Managerin mit heiserer Stimme etwas zukrächzte, das wohl keiner der Umstehenden - außer der Angesprochenen selbst - verstand. Das kann ja heiter werden. Dann mal flugs ab zum Interview. Ja, was soll man sagen ... Die Gute hatte sich am Abend zuvor nicht nur ordentlich einen hinter die Tolle gegossen, sondern fängt sich bei dieser Gelegenheit auch gleich noch einen Infekt ein. Eigentlich steht alles fürs Interview bereit, aber Amy muss ihrem Lover in verzweifeltem Tonfall per Handy noch auf die Mailbox quatschen.

Ein Haufen Blödsinn

Herrlich! Eine verkaterte, erkältete und liebeskranke Sängerin beim Interview. Was will man mehr? Manch einer bedankt sich für so eine Arschkarte. Dem Autor dieser Zeilen fällt es jedoch schwer, wirklich beleidigt zu sein. Sogar ihre auf dem Silbertablett vor sich her getragene Einsilbigkeit überrascht jetzt nicht wirklich. Zeilen wie die aus "Just Friends" muten deshalb geradezu propethisch an: "It's never safe for us, not even in the evening 'cause I've been drinking".

Zumindest scheint sie keine Probleme damit zuhaben, ihr Chaos-Inneres nach außen zu kehren und die Öffentlichkeit an ihrem Lebensstil teilhaben zu lassen: "Ich schreibe Songs, wenn ich im Kopf total abgefuckt bin, sonst würde ich komplett verrückt werden. Ich denke nicht darüber nach, dass sich das Millionen Leute anhören." Im Vergleich zu ihren Soul- und R'n'B-Kolleginnen macht die 23-Jährige einen eher verschrobenen Eindruck, will dies aber nicht als bewussten Gegenentwurf zu keimfreien Hochglanz-Stars wie Mariah Carey und Co. verstanden wissen. "Nichts von dem, was ich mache, ist durchdacht oder vorher geplant. Das ist ja auch der Grund, warum ich so einen Haufen Blödsinn anstelle. Ich bin einfach die, die ich bin, weißt du? Ich kümmer mich nicht allzu sehr darum, berühmt oder erfolgreich zu sein. Es ist schön, dass die Öffentlichkeit meine Musik so sehr mag wie ich selbst."

Zumindest weiß die Gute bei aller Feierei, dass es auch Termine gibt, die dem Fortkommen ihrer Karriere dienlich sind. Auf die Frage, ob sie denn wisse, was sie am 14. Februar so treibt, kommt wie aus der Pistole geschossen: "Da bin ich bei den Brit Awards." Chancen auf den Preis rechnet sie sich indes kaum aus, auch wenn sie gleich in zwei Kategorien nominiert ist. Die Konkurrenz scheint mit Jamelia, Corinne Bailey Rae Nerina Pallot, und nicht zuletzt Lily Allen bei den Damen übermächtig. Bei den Nominierten für das Album des Jahres sieht es noch dusterer aus, denn Muse, Arctic Monkeys, Snow Patrol und wiederum Lily Allen kloppen sich um die begehrte Trophäe.

Aber Amy kann sich über einen Punktsieg in Sachen öffentlicher Aufmerksamkeit erfreuen, der ausnahmsweise nicht mit Skandälchen zusammen hängt: Die britische Indie-Bravo, der NME, stellt jedes Jahr eine Cool-List von Musikern zusammen. 2006 schmuggelte Winehouse sich in die Top 50-Liste: "Ich habe mich gerade noch so reingequetscht." Somit ist sie - was in UK noch wichtiger ist als hierzulande - auch offiziell mit Indie-Credibility geadelt. Zusammen mit Pete Doherty könnte sie in dieser Hinsicht noch höhere Sphären erklimmen. "Er hat mich vor drei Jahren gefragt, ob wir zusammen was aufnehmen wollen. Wir haben uns jüngst erst gesehen. Ja, es wäre nett, wenn das klappen würde."

Auch wenn Amy bei einem gemeinsamen TV-Interview mit Fettes Brot das Angebot eines Remixes recht barsch abwies, so steht in Sachen Kollabo dennoch etwas auf der Habenseite. Von Amys Track "You Know I'm No Good" existiert bereits eine vielumjubelte Version von Wu-Tangs Ghostface Killah. Die beiden haben sich jedoch nicht persönlich kennen gelernt, der Kontakt kam über den gemeinsamen Produzenten Mark Ronson zustande. "Mark hat schon viel mit Ghostface Killer gearbeitet, über ihn kam das zustande."

An dieser Stelle steht normalerweise "Danke für das Gespräch". Aber das spare ich mir heute mal.

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