laut.de-Kritik

Um Welten zu groß für nur eine Schublade.

Review von

Veröffentlichungspolitik treibt manchmal seltsame Blüten. Eine halbe Ewigkeit, nachdem eine Platte anderswo erschienen ist, bekommt sie hierzulande dann auch einen offiziellen Releasetermin. Verstehe das, wer will. Gelegentlich hat das merkwürdig zeitversetzte Vorgehen aber doch sein Gutes: Wäre "Venice" bereits vor Monaten, als das Album in den USA herauskam, auf meinem Tisch gelandet, leicht möglich, dass Anderson .Paak irgendwo unterhalb meines Radars entlang geschwirrt wäre.

Das kann ihm nach seiner wahrhaftig beeindruckenden Präsenz auf Dr. Dres "Compton" nun nicht mehr passieren. Der Mann mit der neckischen Interpunktion im Namen verdient jedes Fitzelchen des Rummels um seine Person, die ihm diese Feature-Auftritte bescheren. In Zeiten, in denen glattgebügelte Effekt-Stimmen den R'n'B dominieren und schier ersticken, wirkt ein Sänger mit Ecken, Kanten, Persönlichkeit und Charisma beinahe wie eine messianische Lichtgestalt.

Wobei "Venice" unter "R'n'B" einzuordnen der Platte Unrecht täte. Ähnliches Unrecht ließe man Anderson .Paak angedeihen, heißt man ihn schlicht einen "Sänger". In beiden steckt so viel mehr - aber irgendwo muss man ja anfangen. Warum also nicht bei R'n'B? Den hat .Paak nämlich ganz sicher im Blut. Hip Hop und Funk aber auch.

Zwischen hörspielartigen Ein- und Überleitungen mit Stimmengewirr, Gelächter, dem Rauschen der Brandung und karibisch anmutenden Tunes, die im Hintergrund aus einem Radio dudeln, entfaltet sich ein Klangsammelsurium, dem die Collage im Coverartwork alle Ehre macht. Wenngleich der Sound zum Glück nicht ansatzweise so schauderhaft ausfällt wie die Farbgestaltung.

Der grummelnde Bass, den "Waves" schon andeutet, drückt in "Milk And Honey" von unten gegen das Zwerchfell. In seinem Fahrwasser folgen in den folgenden Tracks tickende Hi-Hats, Synthieclaps und -melodien, wabernde Chillout-Sounds, schwelgerische Streicher und Klingglöckchen. "Might Be" fährt Chöre aus alten Soul-Nummern, "Put You On" zudem eine Portion Drum'n'Bass auf.

Handgemachte, organisch instrumentierte Tracks wie "Miss Right" treffen auf Trap, satte Grooves, synthielastiges Geflackere, Disco (ja, Disco!), Neo-Soul, homöopathische Dosen Industrial, einen bassig pumpenden Clubtrack wie "Luh You" oder den nicht minder dancefloor-tauglichen Beat von "Off The Ground".

Auf dem Papier mag das nach schrecklich wahllosem Tohuwabohu tönen. Tatsächlich erscheint die musikalische Bandbreite von "Venice" nicht nur in sich völlig stimmig. Sie stellt angesichts des in alle Richtung ausufernden, überbordenden Talents des Mannes, der alles zusammenhält, im Grunde die nackte Notwendigkeit dar. In nur eine Schublade passte Anderson .Paak einfach nicht hinein.

Präsentiert er sich eben noch als R'n'B-Crooner, lässt er im nächsten Moment den lässig flowenden Rapper von der Leine. An den sollte man sich auch nicht unbedingt gewöhnen: Spätestens im Chorus von "Miss Right" übernimmt die Rockröhre. Gesang und Rap lösen sich gelegentlich ab, gehen viel häufiger aber nahtlos ineinander über.

Zudem brilliert (etwa in "Milk And Honey") auf "Venice" ein begabter Geschichtenerzähler und (dafür liefert wiederum "Miss Right" den Beleg) ein Produzent mit Gespür für knackigen Rhythmus. Das schulte .Paak vermutlich am Instrument seiner Wahl, dem Schlagzeug.

Zwar strahlt Anderson .Paak auf Albumlänge nicht ganz so exorbitant wie seine Stippvisiten in "Compton". Im gegebenen turbulenten, farbenprächtigen Umfeld setzt die Stimme eben keinen ähnlich deutlichen Kontrast. Trotzdem gestattet "Venice" auf die in "Right There" aufgeworfene Frage nur eine vernünftige Antwort: "Ain't you tired of me yet?" Hölle, nein!

Trackliste

  1. 1. Waves
  2. 2. Milk And Honey
  3. 3. The City
  4. 4. Might Be
  5. 5. Miss Right
  6. 6. Put You On
  7. 7. Already ft. Sir
  8. 8. Dogtown
  9. 9. Miss That Whip
  10. 10. Get Em Up
  11. 11. Paint
  12. 12. Drugs
  13. 13. Mike Doralude
  14. 14. Luh You
  15. 15. Right There
  16. 16. Off The Ground

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