laut.de-Kritik

Zwischen Melancholie und Ironie.

Review von

Der kanadische Musiker hat eine ganz eigene Art, Alben zu schreiben: Er überlegt sich eine Situation, die als eine Art Anker fungiert, um die sich die Songs drehen. "The Party" (2016) beschäftigte sich mit den Besuchern einer solchen. In "The Neon Skyline" (2020) ließ Andy Shauf eine zu Ende gegangene Beziehung in einer alkoholgetränkten Kneipennacht Revue passieren. Ein schwieriges Thema, das ihn an seine Grenzen brachte.

Als er feststeckte, schrieb er Lieder über eine Frau namens Judy, und kehrte letztlich wieder an den imaginären Tresen zurück: Judy stellt besagte Verflossene dar. Doch die Songs erzählten eine andere Geschichte, eine Art Spin-Off, die Shauf nun auf "Wilds" veröffentlicht. Im Prinzip handelt es sich um ein Prequel, in dem der Erzähler und Judy noch zusammen sind, die Beziehung aber erste Risse zeigt.

"Es sind Ideen, wie sie gerade kamen, so etwas wie Skizzen. Die Arrangements sind knapp und nicht wirklich ausgeschmückt. Eher zweckmäßig", betont der Kanadier. Ganz ohne Schmuck kommt das Album aber nicht aus, denn Shauf ist Autor, Multi-Instrumentalist und Arrangeur in Personalunion - seine Platten nimmt er im eigenen Studio in Toronto auf und feilt an ihnen, bis sie genau passen.

Der letzte Schliff mag diesmal vielleicht tatsächlich fehlen, dennoch kommen neben Gitarren, Bass und Schlagzeug auch mehrere Gesangsspuren zum Einsatz. Man verfolgt gerne, was dem zum Scheitern verurteiltem Paar alles widerfährt. In "Thirteen Hours" auf "The Neon Skyline" wurde Judy von einem Taxi angefahren und landete im Krankenhaus. Nun ist es der Erzähler, der in "Jaywalker" unter die Räder kommt - und Judy könnte am Steuer des Unfallwagens gesessen haben.

In "Spanish On The Beach" stellt sich der Erzähler vor, ihr einen Heiratsantrag zu machen, doch verpasst er den richtigen Augenblick. "Boarded the plane and everything changed", so der Anfang vom Ende in den letzten Zeilen des Songs.

Letztlich handelt es sich um Sketche, die verschiedene mögliche Verläufe durchspielen, "Two sides of a coin go spinning round / Wondering which side's gonna hit the ground", heißt es passend in "Wicked And Wild". So ist es Judy, die in "Believe Me" den Heiratsantrag macht, den der Erzähler aber ablehnt, woraufhin sie auf Nimmerwiedersehen verschwindet. Ihre Wege kreuzen sich ein letztes Mal ("Jeremy's Wedding"), doch sie zeigt ihm die kalte Schulter.

Wie gewohnt bietet Shauf auf "Wilds" unaufgeregte kleine Songwriting-Perlen. Keine Melodien, die sich festsetzen, keine Soli, die nach Aufmerksamkeit schreien, selbst die Stimme lässt sich auf Anhieb nicht sicher zuordnen. Am meisten bleibt die Stimmung hängen, melancholisch, aber nicht depressiv, ernst, aber mit einer gewissen Ironie. Etwa 50 Tracks habe Andy für "The Neon Skyline" geschrieben, berichtet das Label. 20 sind bisher erschienen. Ob sich der Rest für einen weiteren Spin-Off eignet?

Trackliste

  1. 1. Judy (Wilds)
  2. 2. Spanish On The Beach
  3. 3. Jaywalker
  4. 4. Call
  5. 5. Television Blue
  6. 6. Green Glass
  7. 7. Wicked and Wild
  8. 8. Believe Me
  9. 9. Jeremy’s Wedding (Wilds)

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