laut.de-Kritik
Wenn es passt und niemanden stört, sind wir so crazy!
Review von Sven KabelitzWillkommen beim Antje Schomaker-Saufspiel. Jedes Mal, wenn sie das Wort "Herz" benutzt, kippen wir einen Kurzen. Da sie es in über der Hälfte ihrer Songs anwendet, könnte dies ein lustiger Abend werden. Bei der Steigerungsform "Löwenherz" ("Gotham City") gibt es gleich zwei.
Aber Antje Schomaker ist nicht nur ein Herzensmensch. Sie raucht und säuft, während "wir", "du" und "ich" nach der großen Liebe suchen. Zudem findet die Sängerin, die im Vorprogramm von Bosse, Gloria und Johannes Oerding auf der Bühne stand, einen nicht unerheblichen Teil ihrer Inspiration bei Tomte, Kettcar, Wir sind Helden, dem deutschen Indie-Pop-Rock der frühen 2000ern. Sie wird zum Bindeglied der einst hochgejubelten Acts und deren weichgespülter Epigonen, die sich Songpoeten schimpfen.
"Das Leben ist kein Tomte-Song / Vergiss die Poesie", singt sie in "Für Einen Funken Euphorie", während alles um sie herum nach "Hinter All Diesen Fenster" klingt. "Du Löst Dich Auf" geht noch einen Schritt weiter. Wenn man sagt, das Stück orientiert sich in Melodie, Arrangement und Dynamik an "Du Erkennst Mich Nicht Wieder" vom Wir Sind Helden-Album "Die Reklamation", drückt man es nett aus.
Leider erreichen Schomakers Texte nicht die Tiefe und Wortgewandtheit einer Judith Holofernes, sondern meistens eher die all jener Oerdings und Forsters dort draußen. Geschichten hat sie keine zu erzählen. Stattdessen folgt ein "Marmeladenglasmoment" ("Glanz Und Gloria") dem nächsten. Sie "tanzt auf den Tischen" ("Bis Mich Jemand Findet") "weil es perfekt ist wie wir sind" ("Glanz Und Gloria"). "Wir sind zu allem bereit / Am richtigen Ort / Zur richtigen Zeit ("Aller Guten Dinge"). Wenn es passt und wir niemanden stören, sind wir so crazy. Die FDP-Variante einer Revolution.
"Und immer ist irgendwo Berlin", verkündet sie im Titelstück, dieser nachgebauten Coldplay-Hymne "Von Helden Und Halunken". Warum das jetzt so ist, das lässt der weitere Text offen oder versteckt die Antwort unter "La la la lass mich gehen". Aber wenn man unsere Hauptstadt nennt, werden sich schon genug Menschen angesprochen fühlen.
In den unaufgeregten Augenblicken ihres Debüts findet Antje Schomakers angenehm schlaftrunkene Stimme ihr Zuhause. Ein Song wie "Mein Herz Braucht Eine Pause" mit seiner nächtlichen Atmosphäre und seinem leichten Jazz-Touch zeigt der Sängerin einen interessanten Weg auf. Bis ihr wieder ihre eigenen Worte in die Quere kommen: "Ich kann nicht aufhören zu fliegen / Keine Beine auf dem Boden / Den Kopf in den Wolken / Die Kontrolle verloren." Wenn Schomaker ihrer possierlichen Musik in Zukunft nur etwas mehr Ecken und Kanten zugesteht und an ihren Texten arbeitet, ihnen vielleicht sogar eine Geschichte gönnt, könnte nach "Von Helden Und Halunken" noch durchaus mehr gehen. "Indianerehrenwort" ("Glanz Und Gloria").
2 Kommentare mit 2 Antworten
Klingt nach der nächsten Evolutionsstufe von Julia Engelmann...Marmeladenglasmoment, dafuq?
@Django77:
Ne, bestimmt nicht.
Also, ich kenne zwar das Album noch nicht, aber Antje Schomakers Texte sind mir auf dem aktuellen Samuel-Harfst-Album (nein, da brauchen wir nicht drüber zu reden ...) begegnet und ein paar Videos kenn' ich von ihr auch. Die Texte sind bei weitem nicht so bemüht wie bei Julia Engelmann, einem durchaus zugänglich, basieren aber halt auf intensivgelutschten Sprachbildern und den handelsüblichen Ausprägungen von Liebesfreud und Liebesleid. Ich könnt' auch sagen: sie läßt künstlerische Eigenständigkeit vermissen und bringt in Sachen Text und Interpretation genau das Potential mit, um einem gepflegt mit der Mainstreamwelle am Arsch vorbeigetragen zu werden, ohne daß man es mitkriegt.
Ich glaube aber, daß sie es besser, meint: widerborstiger könnte, wenn sie es drauf anlegen würde.
Gruß
Skywise
Der Begriff "Marmeladenglasmoment" ist wirklich schauerlich.
War die nicht mal zu Gast bei den Rocket Beans? So bei NDA? Wenn sie das ist, ist sie ganz sympathisch gewesen, aber die Musik war zum einschlafen...