19. November 2013

"Hetfield hat nie rumgezickt"

Interview geführt von

Wenn eine Band einen 'Auszeit'-Button auf die Proberaumtür klebt, dann hört man in der Regel nichts mehr von den Verantwortlichen. Apocalyptica haben aber offenbar eine spezielle Auffassung von Begriffen wie Pause, Break oder eben "Auszeit".

Statt sich während der selbstauferlegten Ruhephase in den wohlverdienten Urlaub zu verabschieden, zogen es die Mannen um Mastermind Eicca Hoppinen vor, dass mitunter pompöseste Projekt der bisherigen Bandgeschichte in Form zu gießen. Die Rede ist von "Wagner Reloaded" – einem mit Tanz, Schauspiel und reichlich musikalischem Tamtam garnierten Livespektakel zu Ehren des 200. Geburtstags von Richard Wagner. Das Ganze wurde im Mai 2013 in Leipzig uraufgeführt. Seit Mitte November können sich Fans der Metal-Cellisten das Ergebnis auch zuhause anhören. Wir sprachen mit Eicca Hoppinen über Fans der ersten Stunde und große Emotionen.

Hi Eicca, was heißt 'Auszeit' auf Finnisch?

Eicca: Aikalisä, warum?

Nur so. Ich hätte jetzt eigentlich erwartet, dass du erst mal nachschlagen müsstest.

Ah, verstehe (lacht).

Mir kam ja der Gedanke, dass ihr das mit Absicht verbreitet habt, nur um wirklich fokussiert und in Ruhe am Wagner-Projekt arbeiten zu können. Ist da was dran?

(lacht) Nein, eigentlich lief alles ziemlich chaotisch ab.

Inwiefern?

Nun, ich wurde ja bereits vor drei Jahren das erste Mal davon in Kenntnis gesetzt. Damals kam der Regisseur Gregor Seyffert auf mich zu und fragte mich, ob ich nicht Lust hätte, den Soundtrack dafür zu schreiben. Da war ich natürlich sofort Feuer und Flamme. Irgendwie kam es dann aber zu logistischen und organisatorischen Problemen, so lag das Ganze erst mal auf Eis. Erst im vergangenen Jahr bekundete das MDR-Sinfonieorchester Interesse. Da kam der Stein wieder ins Rollen.

Und dann war die 'Auszeit' auch schon wieder Geschichte.

Genau. Ich meine, jeder der mich kennt, weiß, dass ich mir so etwas nicht durch die Lappen gehen lasse. Außerdem konnte ich zum Großteil zuhause arbeiten, da es ja primär ums Komponieren ging. Insofern passte das alles schon wunderbar zusammen.

Hattest du keine Bedenken, dass das Projekt innerhalb der unüberschaubaren Masse von Wagner-Gedenkinszenierungen untergehen könnte?

Eigentlich nicht. Natürlich wusste ich, dass unser Projekt nicht das einzige sein würde, aber letztlich haben wir ja etwas Besonderes geschaffen. Alle anderen Projekte haben Wagners Musik und seine Geschichte kopiert und einfach nur neu aufbereitet. Wir hingegen haben etwas über ihn geschaffen und nichts einfach nur nachgespielt. Unser Projekt befasst sich nicht nur mit Wagners Kompositionen, sondern auch verstärkt um den Menschen Richard Wagner, seinen Charakter und die teils doch ziemlich fragwürdigen Ansichten, die er vertrat.

"Ich verstehe, dass einige Fans nörgeln"

Du meinst seine antisemitische Ader?

Ja, genau. Das wollten wir auch nicht außen vor lassen.

An was hast du dich musikalisch orientiert? Hattest du eine Art Drehbuch zur Verfügung?

Ich hatte nur die Bilder von Gregor. Die dienten mir zur Inspiration.

Klingt um einiges spannender, als das bloße Nachspielen von Wagner-Stücken. Lag darin der Reiz?

Ja, absolut. Ich konnte mich musikalisch total ausleben. Es war in etwa so, als würde ich einen Soundtrack für einen Film schreiben, der eigentlich gar nicht existiert. Je intensiver die Bildvorlagen waren, desto kompakter wurde auch die Musik. Das war unheimlich aufregend für mich. Ich meine, ich habe in der Richtung ja schon viel gemacht, aber so frei arbeiten zu können, war schon toll.

Welchen Stellenwert hat dieses Projekt, wenn du es mit all deinen vorherigen Arbeiten vergleichst?

Oh, einen sehr hohen, wenn nicht sogar den höchsten. Es war mit Sicherheit die größte künstlerische Herausforderung bisher. Und das Schöne: Es hat sich ausgezahlt. Ich bin wirklich stolz auf das, was wir geschaffen haben.

Du hast damit wahrscheinlich nicht nur dir ein großes Geschenk gemacht, sondern auch vielen Apocalyptica-Fans, die primär eure alten Sachen verehren – die Werke, bei denen ihr noch eine lupenreine Instrumental-Band wart.

Ja, das denke ich auch. So haben wir praktisch zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen können (lacht).

Kannst du auch nachvollziehen, dass es Leute gibt, die euch eure Entwicklung ein bisschen krumm nehmen?

Natürlich. Ich meine, ich könnte mich jetzt auch hinstellen und sagen, dass es das gute Recht einer Band ist, dass sie sich entwickelt und verändert. Das ist es natürlich auch. Dennoch kann ich auch all die Fans verstehen, die uns ein bisschen anders kennengelernt haben und sich wieder nach eben diesen Zeiten zurück sehnen. Mir geht es manchmal ja ähnlich, wenn ich eine Band toll finde, und die sich plötzlich in einen Richtung verändert, mit der ich nicht mehr konform gehe. Das ist doch völlig normal.

Umso schöner ist es jetzt für mich zu sehen, wie sich die Mails von alten Fans bei mir stapeln, die sich über das Wagner-Ergebnis freuen. Diese Menschen haben uns schließlich zu der Band gemacht, die wir heute sind. Wir werden auch weiterhin versuchen, Altes mit Neuem in Einklang zu bringen. Das ist mir und der Band sehr wichtig. Nichtsdestotrotz blicken wir auch nach vorne und wollen sehen, was noch alles möglich ist.

"Das ist eine gemeine Frage!"

Wo wir gerade über eure Entwicklung sprechen: Als ihr mit den Metallica-Coversongs um die Ecke kamt, habt ihr einen ziemlich dicken Stein ins Rollen gebracht. Danach kam Metallicas "S&M"-Album, das "Classic Meets Rock"-Projekt wanderte durch große Hallen, und sogar eine Band wie Kiss stand plötzlich zusammen mit einem kompletten Orchester auf der Bühne. Wie fühlst du dich eigentlich dabei, wenn du all die Nachfolge-Projekte betrachtest?

Das ist natürlich ein tolles Gefühl. Wobei ich denke, dass wir damals nur einen kleinen Anreiz gegeben haben.

So bescheiden?

Natürlich ist es cool, wenn man von James Hetfield und Lars Ulrich zur Seite genommen und einem gesagt wird, dass es "S&M" ohne uns wahrscheinlich nie gegeben hätte. Das werde ich bestimmt auch noch meinen Enkeln erzählen. Aber letztlich hat jedes Nachfolgeprojekt sein eigenes Leben entwickelt.

Gabs denn irgendein nachfolgendes Projekt, das du dem Klassik-Rock-Genre gerne erspart hättest?

Puh, das ist eine gemeine Frage (lacht). Ich denke schon, dass sich die eine oder andere Band eher alles von draußen hätte anschauen sollen, anstatt den Schlüssel umzudrehen und selbst aktiv zu werden. Aber ich werde jetzt definitiv keine Namen nennen, denn wer weiß, mit wem wir in der Zukunft noch alles die Bühne teilen werden (lacht).

Ich denke, ganz egal, was ihr in Zukunft noch anstellen werdet, der Bandname Apocalyptica wird auf ewig mit dem von Metallica verknüpft sein. Wie war es denn für euch, als euch Hetfield und Co.anlässlich der Anniversary-Shows 2011 in die Staaten einluden?

Wenn ich irgendwann mal eine Auflistung der größten Momente meiner Musiker-Laufbahn verfassen werde, stehen diese Augenblicke sicherlich ganz oben auf der Liste. Da ging zwar technisch so einiges schief, aber emotional war das Ganze nicht mehr zu toppen. Seit ich denken kann bin ich Metallica-Fan. Diese Erinnerungen sind wirklich unbezahlbar.

Vor allem auch, weil ich weiß, wie unwohl sich James eigentlich fühlt, wenn er ohne Gitarre performen muss. Das musste er bei unserem Gastspiel ja teilweise. Umso intensiver ist das alles für mich; denn er hat zu keiner Zeit rumgezickt oder sich wie ein Rockstar aufgeführt. Er hat es einfach durchgezogen und letztlich sogar auch genossen. Das hat er mir danach zumindest ins Ohr geflüstert. Und ich werde einen Teufel tun und einen James Hetfield als Lügner zu bezeichnen.

Abschließend würde mich noch interessieren, ob ihr jemals mit dem Gedanken gespielt habt, eine komplett neue musikalische Richtung einzuschlagen?

Mit den Celli?

Ja.

Ich glaube, eine Techno- oder Trance-Version von Apocalyptica würde mich noch reizen. Pumpende Beats im Hintergrund und unsere Cellos dazu. Das wärs doch, oder?

Man soll ja offen für alles sein.

Eben (lacht).

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