25. Februar 2021

"Vielleicht sind wir jetzt in unseren Horny Thirties"

Interview geführt von

Wie belebend eine Pause sein kann, beweisen die belgischen Indie-Rocker von Balthazar mit ihrem zweiten Album innerhalb von zwei Jahren.

Die neue Platte "Sand" geht den Weg weiter, den "Fever" 2019 eingeschlagen hat, klingt aber dennoch frisch, auch weil Balthazar ihre ursprünglichen Pläne wegen der Pandemie über den Haufen werfen musste. Eigentlich wollten sie die Stücke größtenteils live einspielen, dann sollte man plötzlich zuhause bleiben. Die Songs wurden dementsprechend überarbeitet. Konkret heißt das: mehr Synthies und E-Drums, die Grooves passender, um im Schlafzimmer alleine zu tanzen. Maarten Devoldere, neben Jinte Deprez einer der beiden Frontmänner und Songwriter, erzählt im Zoom-Interview von Songwriting im Lockdown, von der Ruhelosigkeit der Band und vom Altern.

Hallo, schön dich kennenzulernen!

Ja, wie geht's dir?

Mir geht's gut und dir?

Gut, ich mache mir noch schnell einen Kaffee, gib' mir eine Minute ... Alles klar, sorry.

Kein Problem ... Also, wie ist das Leben eines Musikers gerade?

Nun ... na ja ... ziemlich langweilig. Aber das sorgt dafür, dass wir um so aufgeregter sind, das Album zu releasen. Am Anfang des Lockdowns im März war es irgendwie spannend, weil etwas Neues passierte, aber wir haben damals auch das Album gemacht und hatten viel zu tun. Im Februar haben wir unsere Europa-Tour beendet, also konnten wir eine kleine Auszeit gut gebrauchen. Aber jetzt sind wir ziemlich gelangweilt.

Habt ihr denn irgendwelche Streaming-Konzerte geplant?

Ja, am Wochenende filmen wir was zum Streamen.

Wird das dann das erste Mal sein, dass ihr die Songs richtig spielt? Also mit der ganzen Band?

Ja, wir haben letzte Woche geprobt und es war quasi das erste Mal, dass wir die Songs zusammen gespielt haben. Das war ziemlich cool. Eigentlich war der Plan, das Album ziemlich komplett live einzuspielen. Wir hatten die Songs geschrieben, aber dann konnten wir unser Haus nicht verlassen. Also haben wir den Plan umgeworfen und haben angefangen, es elektronischer zu machen und haben mit Drum-Samples und Synthesizern und so Zeug gearbeitet.

Und seid ihr damit zufrieden?

Ja! Wir sind super glücklich mit dem Ergebnis. Als wir aufgenommen haben, da war das eine gute Sache. Es ist unser fünftes Album und das Coronavirus hat uns herausgefordert, was anderes zu machen. Und ich glaube es ist deutlich spannender geworden, als wenn wir es einfach live eingespielt hätten. Es ist cool, weil wir es so auf eine produziertere Art strukturiert haben und die Songs jetzt zum ersten Mal zusammen spielen und hören, wie sie so klingen.

Habt ihr denn tatsächlich getrennt voneinander gearbeitet?

Ja, besonders in der ersten Stufe der Produktion. Da haben wir von zuhause gearbeitet und uns Ideen und Songs hin und her geschickt. Aber irgendwie sind wir das sowieso gewöhnt. Als wir dann zum Mischen zusammenkamen, da war es Sommer und dann merkt man, dass es durchaus hilft, sich zu treffen, weil es da einige Missverständnisse gab. Ich denke jeder weiß, dass diese Zoom-Meetings ... okay sind, aber es fehlt diese Finesse in der Kommunikation.

Kannst du mich mal durch den Schreibprozess eines Balthazar-Song führen? Vermutlich startest du mit einer Gitarre und deiner Stimme, oder?

Das hängt davon ab. Manchmal ... nein, meistens beginnt es mit einem Groove. Ich programmiere einen Groove und dann fange ich an, darüber zu jammen, mit einer Gitarre und singend. So entstehen viele Ideen, bis sich irgendwas von selbst ergibt. Vielleicht ein guter Chorus oder eine gute Strophe oder so. Dann schicke ich es eventuell an Jinte, der macht sein Zeug damit und schickt es zurück. Ich glaube es ist wichtig, einen Groove zu haben, der einen zum Schreiben inspiriert. Weil ich, wenn ich einfach so anfange, dazu tendiere, immer dasselbe zu schreiben. Also ist gut mit einem Groove zu Beginn, vielleicht einem Tempo, das man vorher noch nicht benutzt hat. Dann kommen die Lyrics ... Wir schreiben viel zu viele Songs, so 40 für jedes Album, denke ich. Davon wählen wir zehn oder elf, und für die schreiben wir dann die Lyrics. Weil wir zu faul sind, sie für alle 40 zu schreiben. Das ist der letzte Part des Prozesses.

Also summt ihr beim Schreiben nur was dazu?

Ja, da haben wir so Joghurt-Lyrics, das ist so eine Art Murmeln. So ein Fake-Englisch. Aber von dieser Sprache ist immer was in der Demo, wo du denkst: Ja, darum geht es in dem Song und dann schreiben wir den Rest.

Wenn die Platte dann fertig ist, gibt es da noch eine klare Trennung von Jinte-Songs und Maarten-Songs oder klingen die alle einfach nur nach Balthazar?

Wir versuchen, dass sie alle nach Balthazar klingen. Musikalisch beginnt immer einer von uns beiden mit einer Idee, aber wenn die Songs auf der Platte sind, ist es ein joint effort. Bei den Lyrics halten wir es getrennt, weil wir sehr persönlich schreiben. Es wäre ein bisschen komisch, einen Break Up-Song zu schreiben, und Jinte durchlebt das gerade gar nicht, wenn er dann in das Schreiben involviert wäre. Dieses Mal waren einige der Songs überhaupt nicht elektronisch, die klangen nach den 70ern oder "I Want You", das ist ein Rock-Song, da haben wir gedacht: Das passt nicht auf's Album, zu dem Konzept, dann versucht man, das mehr zu konzeptualisieren, sodass es mehr zu einem Sound wird.

"Selbst wenn ein Song scheiß viele Streams hat, werde ich ihn nicht mehr mögen."

Ihr habt die Lyrics also im Lockdown geschrieben?

Das meiste.

Weil sich da dieses große Thema der Zeit und Geduld durch das Album zieht. Hat das was damit zu tun, dass wir alle darauf warten, dass der Scheiß vorbei ist?

Nein, es ist irgendwie ironisch, das jetzt zu lesen. Aber nein, das sind eigentlich alles Lovesongs, die handeln von unserer Ruhelosigkeit als Künstler und generell im Leben, wie man Vertrauen in seine Zukunft legt. Und diese Idee, dass mein nächster Song mein bester Song sein wird und die nächste Freundin die beste Freundin. Darum geht es in "Losers" zum Beispiel. Und eben diese Ruhelosigkeit, dieses Nicht-warten-wollen ... Das hatten wir schon immer und deswegen touren wir so viel. Ich habe zwei Alben mit Warhaus veröffentlicht, dann gab es ein kurze Pause, aber der Zug muss in Bewegung bleiben (lacht). Dann ist plötzlich Lockdown und ja, es ist spannend. Der Arbeitstitel des Albums, bevor es "Sand" hieß, war "Waiting Room". Und ja, es ist als wäre der gesamte Lockdown ein großes Wartezimmer.

Ja, ich wollte auch über das Cover reden. Das passt auch zu diesem Thema, die Person, die wartet ...

Und dick wird.

Genau. Wie habt ihr das gewählt? Wo habt ihr das her?

Wir haben das im Internet entdeckt und ... Das erste Mal als ich's gesehen habe, habe ich darüber gelacht. Erst fand' ich's witzig, so wie jeder, denke ich. Dann war ich irgendwie fasziniert davon und habe mich gefragt: Ist das ein Typ in einem Anzug, ist das ein komischer Fetisch oder so? (lacht) Jinte hatte die selbe Reaktion und dann dachten wir: Das passt zu diesem Thema, dass man sehr ruhelos ist und dann warten muss, etwa in einem Wartezimmer, dann fühlt mich sich seiner selbst sehr bewusst und ... wie heißt das ... awkward. Und ja, das Bild repräsentiert das und wir fanden es sehr komisch. Dann haben wir im Internet recherchiert und rausgefunden, dass es eine Skulptur einer niederländischen Künstlerin ist, Margriet van Breevoort. Also haben wir sie um Erlaubnis gebeten und sie meinte: Ja, cool, nehmt das.

Ich habe das Gefühl, dass die Musik dieses Mal etwas ruhiger und entspannender ist, verglichen mit "Fever". Würdest du dem zustimmen? War das ein bewusste Entscheidung?

Ähm ... Ja ... Ich muss nachdenken, was auf "Fever" war. Ich glaube es ist groovier, als "Fever". Es hat was sehr Tanzbares, aber auch was sehr Intimes, vielleicht ist es das, was du meinst. Wir singen nicht sehr laut, es ist eher Tanz-in-deinem-Schlafzimmer-Musik

Dafür ist es auch perfekt. Wenn ich an "Fever" denke, denke ich an den Titeltrack oder "Entertainment", die sind sehr rockig und es ist nicht so, dass ich das auf "Sand" vermisse. "You Won't Come Around" zum Beispiel ist sehr beruhigend, ziemlich gut, um alleine zuhause zu tanzen.

Ja, vielleicht werden wir einfach älter (lacht). Ich habe angefangen, zu meditieren, vielleicht liegt es daran. Wir verlieren unsere Schärfe.

Wie läuft das Meditieren für dich?

Ich fühle mich gesegnet, dass ich damit vor dem Lockdown angefangen habe, sonst hätte ich das mit meiner Ruhelosigkeit nicht überlebt (lacht).

Du hast schon über "Losers" gesprochen. Als ich mir die Lyrics dazu angeguckt habe, dachte ich direkt, dass es vielleicht darum geht, sich selbst als Musiker anzuzweifeln. Dass man gerade kein Vertrauen in sich hat und dann trotzdem einen guten Song schreibt, vor allem bei der Line: "How much it feels like we are losers on the verge of something great?"

Ich denke, es ist demütig und sehr prätentiös gleichzeitig. Wir sind noch nicht da angekommen, aber eines Tages wird die Welt von unserem Talent begeistert sein (lacht). Das ist irgendwie eine doofe Idee ...

Ist die Welt denn noch nicht begeistert von euch?

Na ja, in der zweiten Strophe rede ich darüber, dass ich will, dass das Universum mich liebt und mache mich ein wenig über den Narzissmus des Künstlers lustig. Es ist nie genug, weißt du? Du fängst damit an, um die Mädchen in deiner Schule zu beeindrucken und dann habe ich das Ganze etwas übertrieben dargestellt. Man kommt da nie an, also geht es mehr um die Reise, als um das Ziel, denke ich.

Wie misst du denn als Musiker deinen Erfolg? Guckst du auf die Streaming-Zahlen?

Als erstes würde ich sagen ... Oh, das ist sehr klischeehaft ... Wir wollen das nächste Album so machen, dass wir es für unser bestes halten. Klar, das sind immer wir an einem bestimmten Abschnitt in unserem Leben, aber wenn wir es nicht für das beste halten würden, würden wir es nicht veröffentlichen. Das sagt wahrscheinlich jede Band. Und dann ... Ich würde lügen, wenn ... na ja, wir hatten das erste Mal eine Million monatliche Hörer bei Spotify und der Fakt, dass ich das weiß, hängt wahrscheinlich damit zusammen, dass ich davon nicht losgelöst bin. Es ist wohltuend zu wissen, dass dein Publikum wächst, das kann ich nicht abstreiten.

Verändert das auch, wie sehr ihr die Songs selber mögt? Sagen wir, der Track, den du am liebsten magst, bekommt die wenigsten Streams oder andersrum. Verändert das dein Bild?

Nein. Nein, nicht im geringsten. Nein, weil - und das klingt jetzt arrogant - ich kann mich sehr schämen für ältere Stücke. Natürlich mag das Publikum manchmal einen deiner alten Songs und er bedeutet ihnen viel und wir spielen sie und legen da Herzblut rein. Aber wenn ich die aufgenommene Version höre, dann denke ich mir: Oh, ich will mich unter einen Tisch verkriechen (lacht). Es ist so, wie ein altes Foto von sich anzuschauen und zu denken: Was habe ich da nur mit meinen Haaren gemacht? Also selbst wenn ein Song scheiß viele Streams hat, werde ich ihn nicht mehr mögen.

"Wir sind weit entfernt von einem Burnout."

Einer meiner Lieblingssongs auf "Sand" ist "Hourglass", ganz großartig finde ich die Hook mit dem Chor. Auch hier musste ich beim Text irgendwie direkt an euch als Band denken, weil es da einmal heißt: "We've been taking some time apart to see what's inside". Hab ich da die richtige Verbindung hergestellt?

(Lacht) Das ist echt witzig. Immer wenn ich Interviews gebe, interpretiert der Interviewer das so, als würden wir Lovesongs aneinander schreiben. Aber nein, da geht es auch um Ruhelosigkeit ... Wobei, vielleicht ... Ja, er kann auch von der Band handeln (lacht). Das ist okay. Aber es geht um Ruhelosigkeit, das kann in der Liebe sein oder in der Karriere. Nach Kicks zu suchen, generell. Tatsächlich war der Part mit "I do not wanna wait" schon in der Demo, bei diesem Gibberish. Es klang gut und da dachten wir: Okay, wir müssen einen Text dazu schreiben. Dann war klar, wir schreiben einen Song über Ungeduld, weißt du?

Ich habe ein Interview mit Jinte gelesen, wo er auch gesagt hat, dass die Interviewer eure Songs immer so auslegen, als wären sie über die Band. Ist das manchmal frustrierend? Oder ist es okay für dich, wenn die Texte so unterschiedlich ausgelegt werden?

Nein, das ist okay. Dafür ist Musik da. Ich verstehe das als Kompliment. Wir schreiben manchmal sehr persönliche Stücke und die würden nicht connecten, wenn man das darin lesen müsste, weil die Leute ja nicht wissen, was uns passiert ist. So kann jeder seine Geschichte darin lesen. Und ja, ich liebe es die Interpretationen anderer Leute zu hören.

Hast du das Gefühl, ihr habt euch durch die Jahre mehr in Richtung Pop begeben?

Wir reden so darüber, dass wir unseren Edge verloren haben. So wie der LCD Soundsystem-Song. ("Losing My Edge", Anm. d. Red.) Ich glaube unser Werk wird erwachsener und gleichzeitig weniger prätentiös. Als wir jünger waren, hatten wir so viel zu beweisen ... Ich glaube unsere Musik ist jetzt nahbarer, was aber nicht heißt, dass wir sie kommerzialisieren.

Ich habe neulich vor einer Freundin erzählt, dass ich Balthazar interviewe und sie im Spaß gefragt, ob sie gerne etwas von euch wissen will. Ihre Frage fand ich dann ziemlich gut: Wie schaffen sie es, diese Songs zu schreiben, die so sexy klingen? Ist das intendiert?

Ja ... Die sind groovy und das ist intendiert. Und ... (lacht) Es ist hart, das zu erklären. Vielleicht sind wir einfach in unseren Horny Thirties. Ich glaube es hat was damit zu tun, dass wir in unseren Zwanzigern sehr ernst bei allem waren und melodramatisch und poetisch. Und je älter man wird, desto mehr sieht man den Spaß im Leben, Sex und Spaß, weißt du? Vielleicht ist das der Grund.

Ich habe heute morgen noch die Kurz-Doku über dich gesehen, "I'm Not Him" (über die Aufnahmen zum Warhaus-Album "We Fucked A Flame Into Being", Anm. d. Red.). Hast du mal überlegt, wieder so aufzunehmen? Das sieht aus wie der Traum junger Musiker*innen. So unabhängig zu leben, in einem so kleinen Raum aufzunehmen, rauchen, Wein trinken. Oder ist diese Phase vorbei?

Ja, das war damals cool. Es war sowas wie eine Flucht, um das Album fertig zukriegen. Ich weiß nicht, ob ich das nochmal machen würde. Es war da cool, aber ich denke ich würde was anderes finde. Weil es ... nicht sonderlich praktisch war (lacht). Vielleicht sah es in der Doku so aus, aber ... Ich habe ziemlich viel geflucht auf dem Boot.

Es gibt da auch eine Szene, wo du gegen die Kamera läufst und dich ein bisschen aufregst. Ich habe mir gedacht, obwohll es so perfekt aussieht, dass es wahrscheinlich auch ziemlich anstrengend war.

Ja, war es. Aber es hat Spaß gemacht, aber ich war so viel jünger (lacht). Ich liebe meinen Komfort jetzt.

Als ihr damals Bandpause gemacht habt, haben viele Magazine das so ausgelegt, dass ihr Burnout vom touren habt. Ist es jetzt auch ganz angenehm, dass das in naher Zukunft eigentlich nicht passieren kann?

Nein, es war damals gar nicht so sehr Burnout vom touren, weil ich direkt wieder mit Warhaus auf Tour gegangen bin. Es war so, dass das Balthazar-Ding zu vorhersehbar wurde. Das hatten wir jetzt nicht, weil wir die Pause hatten und dann so viel Spaß mit "Fever" und das ist der Grund, warum wir direkt ein weiteres Album machen wollten und damit auf Tour. Also gerade können wir es kaum erwarten, zu touren. Wir sind weit entfernt von einem Burnout.

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