laut.de-Kritik
Ein Requiem für den Diskurspop.
Review von Kay SchierEs herbstet von Tag zu Tag strenger. Barbara Morgenstern bringt ein neues Album raus. Die Spex ist zum Jahresende tot. Zufall? Wohl kaum, dafür passt das alles zu gut zusammen. Als Nachgeborener kann ich leider nicht nachvollziehen, zu welch diskursiven Höhen sich der olle Diederichsen und seine Cis-Normativen Spießgesellen in den alten Tagen aufgeschwungen haben sollen, und die meiste Musik, die das Blatt in den 90ern, seinen Hochzeiten, gepusht hat, finde ich eher lahm bis beschissen. Dennoch meint man, nach allem, was man hört und liest, zu ahnen, wonach die Spex, wenn es um das Land der Muttersprache ging, gesucht hat: Nach genuin deutscher Popkultur mit wenn möglich intellektuellem Einschlag, beziehungsweise genuin deutscher Popmusik mit einem Anspruch, der sich hypotaktischen Amokläufen eines Dietmar Dath als würdig erweist.
"Unschuld und Verwüstung" ist so ein Album, zu dem man vorm geistigen Auge den Spex-Text wie ein Star-Wars-Intro von unten nach oben scrollen sieht, einen wie aus den alten Tagen, der 22 Wörter verwendet, wo fünf genügt hätten: Dieses Album ist verdammt großartig. Allerdings kitzelt es in seiner Intelligenz auch zu sehr an den Synapsen, als dass man das so stehen lassen könnte.
Barbara Morgenstern, geboren 1971 in Hagen, einem ziemlich großen Arbeitsamt mit etwas Stadt drumherum, hatte in den 90ern sicherlich mal eins der Hefte in der Hand. Man kann "Unschuld und Verwüstung" zweckentfremdet als Requiem auf die Grande Dame des hiesigen Musikjournalismus hören, umweht doch ein spürbarer Hauch von Midlife Crisis und Apokalypse die warmen Kompositionen. "Ist die Welt nun wie sie war vorbei / Michael Stipe sang das bereits / vor ewiger Zeit", beginnt Morgenstern das Album. Es ist eins für drinnen, mit einer Decke auf den Knien, Irish Coffee in der Pfote. Corinna und Roxáne hören es zum Jahrestag in ihrer schönen Wohnung in Friedrichshain, die Hände ineinander und die Füße auf einen Stapel alter Spex-Ausgaben gelegt. "Die Young – dafür ist es zu spät" singt Barbara Morgenstern, und sie wissen, dass es so ist, das gibt ihnen zu denken. Aber sie fühlen sich gar nicht unwohl dabei, denn sie sind älter, aber nicht alt geworden, ruhiger, aber nicht spießig, nicht mehr jeden Donnerstag bis Dienstag im Club, trotzdem oder gerade deswegen immer noch ziemlich cool. Zum Abendessen gibt es Rotbarschfilet, dazu einen guten Chardonnay, und weil ihnen das selbst etwas zu streng ist, rauchen sie danach einen monströsen Spliff und sind so high wie damals.
Barbara Morgensterns Sound experimentell zu nennen, wäre nicht ganz richtig, denn Experiment impliziert einen ungewissen Ausgang, während Morgenstern ganz genau weiß, was sie da tut. Er ist hörbar gereift, ohne muffig zu riechen. Vielfältig musikalisch gebildet und bewandert, ob in Jazz, Pop oder elektronischer Musik, hat sie bereits im Club wie auf der Theaterbühne gewirkt und nimmt sich aus ihrem Fundus, was sie braucht, und fügt es zu etwas Neuem zusammen.
Auf eine selbstbewusste und -verständliche Weise ist Morgensterns Musik unberührt von Strophe-Refrain-Strophe-Zwängen. Das kommt durchaus vor, wenn ihr danach ist, wie die "Karriereleiter" zeigt. Das Gros der Songs pfeift aber darauf, kommt in oft stattlicher Länge von bis zu knapp acht Minuten daher, nimmt sich Zeit, um auf- und wieder ab- und wieder aufzublühen. Die Platte pulsiert, vibriert und wummert wohlig, warme Soundscapes wie in "Brainfuck" beglücken das Hirn in raffinierter Weise. Obwohl es in seiner Instrumentierung mit etwa Klavier, Orgeln, Synthesizern, Saxophon, Chören, Streichern kammermusikalisch anmutet, ist es hörbar geprägt von Morgensterns Streifzügen durch die elektronische Musik.
Ambientmäßig hat sie verinnerlicht, wo im Hintergrund sanft der Hammer klöppelt, und von Techno und House hat Morgenstern gelernt, was es davon zu lernen gibt (Bass, Timing, Drama). Wenn Corinna und Roxáne jeden zweiten Sonntag im Monat zur Afterhour einladen und nach dem Soundtrack dazu suchen, machen sie mit "Unschuld und Verwüstung" garantiert nichts falsch, dafür sorgt auch die punktgenaue Produktion. Bass ist da, über die entsprechende Anlage beziehungsweise Kopfhörer beginnt dann die lohnende Reise in die kristallklar herausproduzierten Details.
Mit "Hands Dance" huldigt sie diesem Einfluss ganz unverblümt im Vierviertel-Bumm-Bumm, subtiler schlägt sich das etwa in "Angel's Whisper" oder "Poose" nieder: Die hohe Kunst des Hinzufügens und wieder Wegnehmens, ideengeschichtlich (obacht, Diedrich!) zurückzuführen auf den unzerstörbaren "Bass raus Bass rein"-Trick, exerziert sie hier mustergültig. Einerseits fühlt sich die Musik wegen des Klaviers im Zentrum und der Wirkung der Breaks nach Pop an, andererseits ist Frau Morgenstern aber auch mit der Dissonanz auf Du, wie etwa diese herrlich schiefe Tonfolge belegt, die der Chor in "Angel's Whisper" beisteuert. Das gibt der Musik einen progressiven Touch, ohne akademisch zu wirken.
Dafür sind auch die Melodien, die sie singt, schlicht zu schön, sei es im Opener "Michael Stipe" oder dem auf den kompositorischen Kern reduzierten "Unschuld und Verwüstung". Allerdings halten die Texte nicht durchweg das hohe Niveau der Musik dazu. Manchmal rutscht sie lyrisch in einen Diskurs-Pop-Duktus ab: "Leistungsdruck und globales Messen / ihr steht unter Druck / wirst dich durchsetzen müssen" ist hier nur ein Beispiel an Sprache, die zu plakativ, zu direkt und unlyrisch bleibt, um wirklich zu berühren.
Das bleibt aber der einzige Makel an einer wunderschönen Platte. Sie demonstriert, was abseits der Charts für verdammt gute Musik in Deutschland gemacht wird, von Menschen wie Barbara Morgenstern, die im Theater genau so zu Hause sind wie auf dem Dancefloor, den Kammermusiksnob ebenso für sich einnehmen wie Frank, den etwas hängengebliebenen Kumpel von Corinna und Roxáne, der mit Anfang Vierzig immer noch im Berghain rumhängt, eine alte Spex in der Manteltasche. Kaufen, erwerben, erfahren sie "Unschuld und Verwüstung"!
1 Kommentar mit einer Antwort
Wurde der Kampfbegriff "Diskurspop" eigentlich von der Spex erfunden?
Meines Wissens schon. So einen Scheiß denkt sich doch sonst kein Mensch aus.