laut.de-Kritik

Exzellentes Spätwerk der letzten großen Hollywood-Diva.

Review von

"Kiss the world away", fordert Barbra Streisand ihren Liebhaber in "Alone In The World" auf. Diese Maxime gilt auch für den Hörer: denn für die Dauer eines Albums darf die schäbige Welt draußen vor der Türe bleiben.

Selbst Künstler mit unzweifelhaftem Ikonen-Status haben ihre eigenen Idole. Barbra Streisands "What Matters Most" ist deshalb nicht einfach ein weiteres Studio-Album, sondern fungiert als Hommage ans Texter- und Komponisten-Ehepaar Alan und Marilyn Bergman, das besonders für die Lyrics vieler Evergreens der klassischen amerikanischen Populärmusik verantwortlich zeichnet.

Die eigentlichen Songs enstammen dem Fundus von Koryphäen wie John Williams ("Star Wars"), Jerry Goldsmith ("Chinatown"), Dave Grusin ("The Faboulus Baker Boys") oder Michel Legrand ("The Thomas Crown Affair").

Am Anfang ist da nur die Stimme. Barbra pur, mit großer Intensität, gleichermaßen streichelnd und lockend; klar und bestimmt. Gänsehaut-Alarm! Erst nach einer Minute gesellen sich vorsichtig Streicher hinzu. Zurückhaltend setzt eine Harfe im Hintergrund Akzente. Das klingt in der Vorgehensweise minimalistisch, aber mit ganz großem Ergebnis für "Windmills In Your Mind“: nur der eigentliche Song mit seinen Lyrics steht im Vordergrund.

"Something New In My Life" bringt ihren heutigen Stil bestens auf den Punkt. Die Zeiten schmetternden Hollywood-Bombastes sind vorbei. Inzwischen gilt es, die Essenz des jeweiligen Titels auszuloten und auszukosten. Dennoch halten die Arrangements große Orchester-Höhepunkte bereit: Meisterstücke in Sachen Dramaturgie und Interpretation!

Streisand ist ein Künstlerin, die nichts mehr beweisen muss und mit sich im Reinen ist. Diese Relaxtheit klingt unter anderem im warm leuchtenden "Solitary Moon" durch, wenn ihre Stimme unter einem edel schimmernden Easy Listening-Mond umhertanzt, mit Streichern, Piano-Tupfern und einem eleganten Saxophon als Partner.

Frankie-Boy hätte seine helle Freude an der Version seines Hits "Nice' N' Easy". Hier ringt sie der zeitlosen Nummer eine Menge neuer Elemente ab. Den ursprünglich flott inszenierten Tanzclub-Feger transformiert Barbra zu einer Engtanz-Verführung. "So Many Stars" lässt wohlig Carlos Jobim/Sergio Mendez-Samba-Seligkeit vorüberwehen. Für die Dauer von In "The Face" dreht Barbra vergnügt und beschwingt ihre Runden in einem fein ausgestatten Swing-Ballsaal.

Viele Elemente und Song-Augenblicke bergen zwar hohes Kitsch-Potential. Doch immer, wenn es zu viel wird, wandelt sich ein solcher Moment in unantastbares künstlerisches Gold.

Die dem Alter geschuldete stärker hervortretende Rauheit der Stimme verfügt über große Tiefe und Eindringlichkeit, und verleiht ihrem Vortrag neue Variationsmöglichkeiten. Der als Markenzeichen geschätzte glasklare Sopran bei hohen Passagen indes ist noch immer auffindbar und fasziniert besonders dann, wenn Barbra in Song-Höhepunkten förmlich explodiert.

"What Matters Most" fasziniert als weiteres, exzellentes Spätwerk der vielleicht letzten großen Diva des klassischen Hollywood-Entertainment. Vielleicht strahlte sie noch niemals so hell wie heute.

Trackliste

  1. 1. The Windmills Of Your Mind
  2. 2. Something New In My Life
  3. 3. Solitary Moon
  4. 4. Nice 'N' Easy
  5. 5. Alone In The World
  6. 6. So Many Stars
  7. 7. The Same Hello, The Same Goodbye
  8. 8. That Face
  9. 9. I'll Never Say Goodbye
  10. 10. What Matters Most

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