laut.de-Biographie
Barbra Streisand
"Viele Rocksänger haben eine Begabung, die mir leider fehlt, sie schreiben sich ihr eigenes Repertoire." So ehrlich stapeln die wenigsten Superstars tief. Diese Bescheidenheit bildet zusammen mit ihrer dramatischen Authentizität das Fundament für die Karriere des "hässlichen Entleins".
Am 24. April 1942 kommt Barbara Joan Streisand in Brooklyn, New York, zur Welt. Ihr Vater, ein jüdischer Lehrer, stirbt 15 Monate nach ihrer Geburt. Nach einer Kindheit und Jugend ohne weitere gravierende Zwischenfälle versucht Barbra in den New Yorker Nachtclubs als Sängerin Fuß zu fassen. Nebenher arbeitet sie als Putz- und Toilettenfrau, Platzanweiserin und Telefonistin. Nachdem sie einen kleinen Gesangswettbewerb gewinnt, bekommt sie Engagements in namhafteren Clubs, etwa dem "Bon Air" oder dem "Blue Angel".
Mit 19 Jahren ergreift sie die Chance ihres Lebens und debutiert in der Off-Broadway-Revue "Another Evening With Harry Stones". Zwei Jahre später heimst sie den Kritikerpreis als beste Musical-Darstellerin für ihre Rolle der Miss Marmelstein in "I Can Get It For You Wholesale" ein. Im selben Jahr (1963) veröffentlicht sie auch ihren Longplayer "The Barbra Streisand Album", der sofort mit zwei Grammys geehrt wird. Ein Jahr später triumphiert sie mit dem Musical "Funny Girl", das weitere drei Jahre später als Leinwandversion in die Kinos kommt, und ihre einen Golden Globe als beste Hauptdarstellerin einbringt.
Jetzt ist die Karriere von Frau Streisand nicht mehr zu bremsen. Sie veröffentlicht eine Schallplatte nach der anderen, wobei fast jede den Erfolg der vorherigen toppt. Ihre Kinoengagements enden in hochgelobten Musicaladaptionen und Komödien wie "Hello Dolly" (1969) oder "Is' Was, Doc?" (1972).
Die Schnittstelle zwischen Film und Musik, also Musicals und Soundtracks, waren immer das verbindende Glied und Streisands eigentliche Leidenschaft. So hatte Streisand Anfang der 70er noch nie von Randy Newman gehört, aber als ihr Produzent ihn ihr vorstellte, wusste sie sofort, wer dessen Onkels waren: bekannte Filmkomponisten.
Besonders als ab 1972 die Komödie "Is' Was, Doc?!" für international klingelnde Kassen sorgt, geraten zwischen all den Filmerfolgen diverse Aufnahmen in Vergessenheit, die parallel in Streisands Musiklaufbahn entstehen und für Veröffentlichungen aussortiert werden.
Spätestens seit der Gründung ihrer eigenen "Barwood Film"-Firma, erobert sie auch ernstere Stoffe und betätigt sich als Produzentin, Regisseurin und Hauptdarstellerin in Personalunion. Zu ihren Filmpartnern gehören Gene Kelly, Ryan O'Neal, Robert Redford, Sydney Poitier, Kris Kristofferson, Nick Nolte und all die anderen Hochdekorierten.
1983 wird ihr Regiedebut "Yentl" für fünf Oscars nominiert, wobei einer für den besten Soundtrack auch vergeben wird, während ihre Regieführung mit einem Golden Globe ausgezeichnet wird. Ähnlich ergeht es den Produktionen "Nuts ... Durchgedreht" (1987) und "Herr der Gezeiten" (1991).
Dass ihr die Rolle der Regisseurin besonders und von allem am meisten gefällt, erläutert sie später in einem Gespräch mit CNN-Moderator Piers Morgan: "Regieführung ist so interessant, weil sie eigene Alltagsbeobachtungen, persönliches Wissen, Gefühle, umfasst; all das, was man absorbiert hat, und Kontrolle über die eigene Arbeit verleiht. Dann lenkt man die Kontrolle auf die persönlichen Vorlieben." Ihre musikalische Leistung offenbart sich dagegen eher im veredeln vorhandenen Materials.
"Ich hab ja nur mit Singen angefangen, weil ich anfangs keine Schauspiel-Engagements bekam", gesteht die Schauspielerin, die eben auch gut singen kann, in besagtem CNN-Talk. Ihre Dramatik, ihre Phrasierung und ihr Soul verwandeln die Songs der hochgeschätzten Kolleginnen und Kollegen (John Lennon, Paul Simon, Donna Summer, Bee Gees ... ) in herzzerreißende Broadway-Arien. Für ihr musikalisches Schaffen erhält sie zusätzlich zu den acht goldenen und fünf Platinsingles imposante 47 Gold-, 28 Platin- und 13 Multiplatinauszeichnungen für ihre Alben.
Das eingangs erwähnte Problem mit dem eigenen Repertoire hat sie in der Zwischenzeit auch gelöst. Das selbst komponierte "Evergreen" aus dem Film "A Star Is Born" (1976) beschert ihr einen Oscar. Seither ist Barbra Streisand die erste weibliche Komponistin, die diese Auszeichnung jemals erhielt.
Auch mit 65 Jahren ist Streisand noch ein Publikumsmagnet. Im Juli 2007 will sie ein einziges Konzert geben - das erste seit 13 Jahren. Das ist innerhalb von 20 Minuten ausverkauft, die Fans zahlen Rekordpreise. Das billigste Ticket kostet 100 Pfund (ca. 145 Euro), das teuerste 500 Pfund. Im Internet opfert ein besonders eingefleischter Fan gar 2.500 Pfund, um die Diva einmal live sehen zu können. Daraufhin beschließt die Streisand, ein weiteres Konzert in London zu geben und auch noch eine Mini-Europa-Tournee anzuhängen.
Das Forbes-Magazin listet sie 2008 auf Platz zwei der 'bestverdienenden weiblichen Musikerinnen der Welt'. Für die Produktion des 2009 erscheinenden Albums "Love Is The Answer" zeichnet Diana Krall verantwortlich. In unregelmäßigen Abständen gibt die Streisand Konzerte, tritt in TV-Shows auf und engagiert sich für verschiedene humanitäre Projekte. 2012 erscheint mit "Release Me" eine Sammlung bisher unveröffentlichter Studioaufnahmen aus den vergangernen fünfzig Jahren.
Für das 2014 erscheinende "Partners" bittet die Streisand eine Reihe von Sängern unterschiedlichster Coleur zum Duett, darunter u. a. Billy Joel, Babyface und Stevie Wonder. Das Album enthält eine Reihe von Evergreens wie "It Had To Be You" und Neueinspielungen eigener früherer Hits ("People", "What Kind Of Fool").
Mit "Partners" erreicht sie zum 33. Mal die Top Ten der Billboard Charts und zieht so mit Kollege Frank Sinatra gleich, was den Chartserfolg angeht. Für ihr 2016 erscheinendes Album "Encore: Movie Partners Sing Broadway" lädt sie ausschließlich Hollywood-Kollegen zum Duett. Darunter finden sich u. a. Daisy Ridley ("Star Wars"), Hugh Jackman ("Wolverine"), Antonio Banderas ("Interview Mit Einem Vampir") und Chris Pine ("Star Trek").
Längst ist Barbra Streisand ihre eigene Legende, und gilt für viele als die letzte große American Songbook-Diva. Die Nummer "Barbra Streisand" von Duck Sauce bringt den Namen auch einer jüngeren Generation wieder nahe.
Die Fortsetzung der Recycling-Platte "Release Me" mit "Release Me 2" lässt 2021 nicht nur eine neunjährige Lücke zwischen den beiden Teilen klaffen. Sie springt auch allzu offensichtlich auf den von Barry Gibb gestarteten Zug auf, mal seinen Archivstaub weg zu polieren. Das relevanteste Stück von "Release Me 2" ist eine Nummer von Barbara und Barry aus früheren Zusammenarbeiten. Ein roter Faden ist in der Song-Sammlung 2021 nur vage erkennbar. Highlights bietet sie ein paar, aber zu wenige für eine komplette LP.
Dabei hat Streisand es eigentlich nicht nötig, ihren Namen in den Social Media-Algorithmen aufzuwirbeln oder der Chronistenpflicht zu dienen. Es geht ihr eher darum, aus dem eigenen Werk nichts unvollendet zu lassen und sich selbst zu erinnern. Irritierend ist dabei, dass die 'neuen' alten Aufnahmen mitunter eine gute alte Zeit beschwören, die so wirklich golden wohl nicht war, Stichwort Vietnamkrieg. So wirkt die Aufnahme "Right As The Rain" aus einem Musical von '62, das schon während des Zweiten Weltkriegs geschrieben wurde, 2021 weit hergeholt und ergibt als unkommentierter verspäteter Release eher wenig Sinn.
Und beim Kramen im Privatarchiv kommt noch mehr ans Licht. Die ersten Magnetband-Spulen mit Aufnahmen von Barbra haben längst Patina angesetzt, sie stammen vom 4., 5. und 6. November 1962 und entstanden vor Publikum im New Yorker Stadtteil Greenwich Village. Das 'Bon Soir' war ein klitzekleiner Club, Streisand ein neuer Geheimtipp im Business der Nachtlokale, der zweite Abend bereits überfüllt. "Es sprach sich herum, dass wir im Bon Soir spielten", erinnert sich Barbra, und ihr fällt beim Abhören der alten Bänder folgender Moment auf: An jenem zweiten Abend brannte beim zweiten Song die Sicherung des Mikrofons durch. Es machte sie nervös, dass ein Fotograf sie während der Reparatur-Bemühungen ablichtete, sie bat ihn das zu lassen.
Seinerzeit waren Live-Alben ein sehr übliches Format, das konzipierte Studioalbum gab es umgekehrt recht selten. Die damals frisch gebackene Entertainerin hatte ihren ersten Plattenvertrag unterzeichnet, man plante ihr Debüt mit jenen Aufnahmen, verwarf die Idee aber zugunsten technisch cleaner Studio-Takes. Am 4. November 2022 erscheint Streisands Debüt kurioser Weise dann doch: "Live At The Bon Soir". 60 Jahre später ist die Sängerin immer noch beim selben Label - ein wahnsinnig seltener Fall im stressigen Showbiz.
Unterdessen hat sie mit Statements in Richtung Trump unter dem ironischen Albumtitel "Walls" längst bewiesen, dass sie den Zeitgeist in den USA genauestens beobachtet und am Puls der Zeit bleibt. Insbesondere findet sie Gewaltenteilung und die Unabhängigkeit des Supreme Court wichtig. "Ich bin auch gegen Lobbyismus, besonders dann wenn Gift über genetisch modifizierte Lebensmittel in unsere Nahrung gelangt", sagt sie bei der CNN, und beklagt, wenn Politik den Klimawandel verneine. Sie könne sich nicht einmal vorstellen, privat mit einem Republikaner liiert zu sein - außer die sexuelle Anziehung sei sehr stark und man spreche nicht über Politik. Umgekehrt lässt die Schauspielerin ihre über 700.000 Twitter-Follower gerne an ihrer politischen Meinung teilhaben.
Streisands Retrospektive ihres analogen Schaffens steht ein mediensoziologischer Fachausdruck gegenüber, der auf ihren Umgang mit dem Internet zurückgeht: der "Streisand-Effekt". Im Jahr 2003 hatte die Künstlerin einen Fotografen und eine Internetseite verklagt, weil sie ein Bild von ihrem Haus im Zusammenhang mit einem Umweltprojekt aus Versehen publik machten. Streisand verlor den Prozess und erreichte das Gegenteil dessen, was sie beabsichtigt hatte: Im Netz ging das Foto von ihrem Haus explosionsartig viral, nachdem ihr Kampf gegen die Publikation und ihr Wunsch, das Bild zu verbieten, publik wurden. Solcherart Eigentore beim Löschversuch von Multimedia-Daten nennt man bis heute "Streisand-Effekt".
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