laut.de-Biographie
Beenie Man
Obwohl in der Dancehallkultur der Competition-Gedanke nahezu ebenso tief verwurzelt ist wie im Hip Hop, erhebt sich kein Sturm der Entrüstung, als sich Beenie Man selbst zum King of Dancehall krönt: "Ich habe jede Hürde eingerissen und jeden Rekord gebrochen." Diese Feststellung muss offenbar auch die Konkurrenz anerkennen: Schließlich zählt Beenie zu den Pionieren, die dem Dancehall weltweit Tür und Tor öffnen.
Beenie Man live, damit können viele seiner Kollegen nicht mithalten. Ihn für unter 90 Minuten zu buchen wäre Vergeudung. Denn anderthalb Stunden lang springt der Dancehall-Star, wie von der Tarantel gestochen, ganz locker non-stop über die Bühne, wenn er mal losgelegt hat. Eine Show wirkt wie ein Track, maximal drei. Es gibt keine Pausen, Zeit ist kostbar, der Output des Toasters unermüdlich. Beiträge zu Riddims, Featuring-Auftritte, Duette, Mixtapes, Compilations und Collections, Wiederveröffentlichungen, reguläre neue Alben, Beenie Man als Selector – so muss der Fan im digitalen Zeitalter mit einer Flut von Neuheiten rechnen, doch das wenigste setzt sich lange fest.
Melodien sind zweitrangig bei Beenie Man, der wie eine Sprechmaschine alles nieder-sing-rappt. Zu seinen 'Signature'-Songs zählt "Maestro", Titelsong eines kommerziell sehr erfolgreichen Albums, "One Bagga Man" und "Music A De Beat" mit einem lang gezogenen tiefen "Beeeeee-at!".
Auffallend viele Songs handeln von "Girls", doch Beenie Man weiß wohl auch, was eine einzelne und eine erwachsene Frau "braucht". Sagt er in "Woman Needs". Zu den Frauen, die (sich) mit ihm duettieren, gehören Janet Jackson, Lady Saw und D'Angel, die mit ihm gar einen Song namens "Beenie Man" macht. Einen Song über sich selbst hat auch nicht jeder. Und ausgerechnet von D'Angel - das sorgt für Unmut bei einem anderen Herrn...
Beenie Man wird als Anthony Moses Davis im August 1973 in Kingston, Jamaika geboren. Schon als er in die Schule kommt, ist ihm klar, dass er DJ werden will, wenn er erst groß ist: "Mein Onkel besaß eine DJ-Anlage. Als ich anfing, selbst aufzulegen, war ich noch nicht mal sechs."
Mit dem Großwerden dauert es dann auch gar nicht lange: Mit acht Jahren nimmt er am landesweiten "Tastee Talent"-Wettbewerb teil. Er gewinnt den ersten Preis und knüpft dadurch Kontakte zu Produzent Junjo Lawes, mit dem er seine Debüt-Single "Too Fancy" aufnimmt.
1983 erscheint Beenie Mans Album "The Invincible Beenie Man, The Incredible Ten Year Old Deejay Wonder" (Der Unbesiegbare Beenie Man, das unglaubliche zehnjährige DJ-Wunder), doch schon ab dem darauf folgenden Jahr widmet sich der Junge, von gelegentlichen Singles abgesehen, wieder voll und ganz der Schule. Die Karriere des Kinderstars scheint beendet. Auch sein erstes Album nach dieser Pause, "Cool Cool Rider" von 1993, verebbt weitgehend unbeachtet. Erst 2004, als Beenie Man längst zu Weltruhm gelangt ist, wird es in einer Neuauflage wieder ans Licht gezerrt.
Anfang der 90er startet Beenie als Vokalist allerdings richtig durch. Nach einigen ziemlich erfolgreichen Songs mit seinem jüngeren Bruder Little Kirk legt er sich wegen eines angeblich gestohlenen Slogans mit Kollegen Bounty Killer an. Es entbrennt ein jahrelang schwelender Streit. Als Beenie Man bei einer Show zur Feier eines Besuchs Nelson Mandelas in aller Öffentlichkeit ausgebuht wird, verlässt er Kingston für fast ein Jahr. Der Konflikt zwischen ihm und Bounty Killer liegt somit für eine Weile auf Eis.
Diese Pause scheint den beiden ganz gut zu bekommen: Nach Beenies Rückkehr im Jahr darauf versöhnen sie sich und veröffentlichen das Split-Album "Guns Out". Doch die traute Eintracht erweist sich als nicht von Dauer: Schon Ende der 90er liegen sich die beiden Streithähne wieder munter in den Haaren. Die Tatsache, dass Beenie Man 2006 D'Angel, Sängerin Model und Ex-Liebste ausgerechnet von Bounty Killer, ehelicht, dürfte dem Verhältnis auch nicht eben gut getan haben.
Nach "Guns Out" arbeitet Beenie zusammen mit Sly & Robbie an einem Remake des Bob Marley-Klassikers "No Woman No Cry". Heraus kommt neben der Version "No Mama No Cry" ein zum Rastafari-Glauben bekehrter Beenie Man. In den folgenden Jahren veröffentlicht er viele Songs, deren Texte von den Missständen in Jamaika erzählen, aber auch religiöse Themen behandeln. Er bringt mehrere Alben auf den Markt, die vor allem in den jamaikanischen Charts sehr hoch einsteigen.
Der Durchbruch in Großbritannien gelingt 1997 mit dem Tune "Dancehall Queen". Die nächste Single "Who Am I" aus dem Album "Many Moods Of Moses" platziert sich sogar in den britischen Top Ten. "Moses" bringt Beenie Man die erste Grammy-Nominierung ein. Weitere sollen folgen.
Die beiden auf VP Records erschienenen Alben "The Doctor" und "Y2K" von 1999 lenken die Aufmerksamkeit von Virgin Records auf den Jamaikaner. Ein Jahr später wird er in den USA unter Vertrag genommen. Der Dancehall-Weltherrschaft steht jetzt nichts mehr im Wege. Sein erster Virgin-Release "Art & Life" verschafft Beenie dann auch den begehrten Grammy. Die Hit-Single des Albums, "Girls Dem Sugar", featuret R'n'B-Sängerin Mya. Die Produktion obliegt den Neptunes. In Folge arbeitet Beenie Man mit Größen wie Wyclef Jean, Janet Jackson und zahllosen anderen zusammen.
2006 dreht Beenie Man zum wiederholten Male richtig auf. Das Mixtape "It's Ah! Beenie" vereint Tracks, die auf Riddim Music entstanden sind. Mit "Hmm Hmm" nimmt die Zusammenstellung die erste Single des anstehenden neuen Albums vorweg. "Undisputed" folgt auf dem Fuße. Produzenten-Beteiligung von Scott Storch, Don Carleon, der bereits für Sizzla und Elephant Man tätig war, und Tony Kelly (Sean Paul, Wayne Wonder) lassen mit Recht beste Beat-Qualitäten vermuten. Die Gästeliste liest sich auch nicht übel: Hier finden sich neben Gattin D'Angel Akon, Brooke Valentine, Reggaeton-Superhero Voltio und die großartige Lady Saw.
Ganz ohne Widrigkeiten läuft es jedoch auch für Beenie Man nicht ab: Wie bei leider zahlreichen Dancehall-Acts, strotzen auch seine Lyrics vor Schwulenhass und Intoleranz. Zumindest wenn man sie Eins zu Eins aus dem Patois übersetzt. Manche Konzertveranstalter wollen das relativieren, doch auch manche Interviewaussagen und Bühnenansagen des Musikers tragen nicht zur Glaubwürdigkeit bei, sondern verschlimmbessern seine Lage.
Sein Traum von einem "neuen Jamaika, wo sämtliche Schwulen hingerichtet werden", findet glücklicherweise nicht überall Beifall. Besonders in Europa und Nordamerika klatscht Beenie Man für derartige Ansichten eine Protest-Woge ins Gesicht. Immer wieder müssen Shows abgesagt werden. Mit den Jahren mäßigt er sich zwar ein wenig. Auf eine Entschuldigung für oben angeführten Blödsinn wartet die Schwulen- und Lesbengemeinde allerdings bis heute vergebens.
Dafür rechtfertigt sich der Songtexter, er habe mit dem Wort "gays" eigentlich Pädophile gemeint, ihm habe nur das passende Wort hierfür in seinem Wortschatz nicht vorgelegen. Umstritten ist seine Unterzeichnung des Reggae Compassionate Act, einem Dokument, in welchem sich Dancehall-Sänger von ihren vorherigen Aussagen distanzieren und diese selbst als gefährlich brandmarken. Um in die EU einreisen zu dürfen, unterzeichnet Beenie Man das Papier, distanziert sich aber mündlich wieder davon. Das Bundesinnenministerium unter Wolfgang Schäuble lässt den Jamaikaner auf Druck der Grünen-Fraktion und des Menschenrechtsausschusses zur Abweisung ausschreiben - sprich: Kommt er mit einem Flugzeug innerhalb der Schengen-Zone an, muss er gleich wieder den Rückflug antreten. Unter diesen Umständen bucht ihn keiner mehr. Beenie Man unterzeichnet ein zweites Dokument, den "Reggae Compassionate Act II".
Es dauert aber Jahre, bis oberflächlich wieder alles in Ordnung ist. Vergleicht man in Deutschland zum Beispiel im Mai 2018 beim Ruhr Reggae Summer Dortmund Beenie Man mit dem unmittelbar vor ihm auftretenden Miwata, dann fällt natürlich ein Unterschied der Mentalitäten auf. Beenie Man steht für Dynamit und einen satten Band-Sound mit allem Drum und Dran und dafür, alles um sich herum zu vergessen. Für deutsche Interpreten und auch für jüngere Jamaikaner in Miwatas Generation hat Dancehall auch live oft mit Laptop-Zuspielungen, Melancholie, Nachdenklichkeit und Tristesse zu tun - nichts davon spürt man bei Beenie Mans Shows.
Die energiegeladene Ikone lässt derweil lange mit neuem Material auf sich warten. Erst im Spätsommer 2023 rückt ein Album nach, digital und self-released, "Simma". Der Albumtitel referiert auf einen alten Hit Beenie Mans, seine Signature Hookline "Sim-simma, who got the keys to my Bimma / Who am I?, wobei der 'Bimma' für Fabrikate der Bayerischen Motorenwerke steht und der Hit beweist, dass teure Autos schon in den '90ern ein Kernthema jamaikanischen Dancehalls waren.
Neben der Beenie-feindlich geführten Slackness-Debatte, dem Niedergang der jamaikanischen Musikindustrie (wo sich mittlerweile kein einziges Presswerk mehr befindet) und den Corona-Lockdowns erklärt sich die lange Wartezeit auf das Album auch damit, dass der Künstler seine Mutter verlor und in der Trauerphase nichts veröffentlichen konnte und wollte.
Dafür umfasst das Comeback-Werk (wobei er live nie wirklich weg war) satte 19 Tracks. An der Produktion beteiligen sich unter anderen Shaggys Kumpel und Hit-Spürnase Tony Kelly und Sean Pauls Beat-Schmiede Dutty Rock. "Simma" erscheint wenige Tage nach dem 50. Geburtstag des Dancehallers.
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