laut.de-Kritik
Zäsur im Schaffen der transatlantischen Prog-Band.
Review von Yan VogelAm Abend des 20. November 2021 erreicht die Prog-Welt die traurige Nachricht, dass Big Big Train-Sänger David Longdon an den Folgen eines Unfalls verstorben ist. Greg Spawton dazu: "Wir sind absolut fassungslos über den Verlust von David. Es ist unsagbar grausam, dass eine Laune des Schicksals in den frühen Morgenstunden ihn und seine Lieben um eine glückliche gemeinsame Zukunft und all die Möglichkeiten, sowohl persönlich als auch musikalisch, die ihn im nächsten Jahr und darüber hinaus erwarteten, gebracht hat."
"Welcome To The Planet" erscheint nun auf Wunsch von Longdons Partnerin und gibt Zeugnis von der Schaffenskraft des Kollektivs. Auf den ersten Eindruck hört man ein unfertiges Album, das mit jedem weiteren Hördurchlauf Schicht um Schicht der überbordenden Kreativität freilegt und eine Zäsur im Schaffen des transatlantischen Prog-Express markiert.
Mit Blick auf Titel und Artwork funktioniert "Welcome To The Planet" als Ergänzung zum Vorgänger. Zudem findet der aufmerksame Hörer textliche und musikalische Querverweise zu "Common Ground" wie im behutsam aufgebauten Mini-Epos "Lanterna". Gleichzeitig ist "Welcome To The Planet" songorientierter und nie zu gewollt proggig. Jedes Lied hat seinen eigenen Charakter und spiegelt eine Stilistik wieder. Ein Fünfzehnminüter wie das grenzsprengende "Atlantic Cable" findet sich auf "Welcome To The Planet" nicht.
"Oak And Stones" ist eine angeswingte Piano-Ballade mit coolen Harmonieschlenkern und treffend gesetzten Backings. Die Coda lässt die Intensität förmlich bersten. Neu-Keyboarderin Carly Bryant gab die Stichworte für den abschließenden Titeltrack. Eine weitere Ballade voller bezaubernder Momente jedoch mit dystopischer lyrischer Schlagrichtung.
Bryant übernimmt die Vocals in dieser mit Bläsern gespickten sphärischen Nummer und gibt Einblick in ein Zwiegespräch, ob man Kinder möchte oder nicht. Zum Ende dreht die Gruppe an der Temposchraube und spendiert eine Country-Einlage, bevor das Bläser-Ensemble als Klammer den Schlusspart ausleuchtet. Die Schlussakkorde hallen noch lange nach.
Mit "Made From Sunshine" gelingt den vielköpfigen Klangkosmopoliten ein melodisch-markanter Einstieg, der dem Ohrwurm des Vorgängers "The Strangest Times" ähnelt. Es spricht für die Spontaneität des Tracks, dass Gitarrist Dave Foster ihn in kurzer Zeit zu Papier gebracht hat. Eine wild aufspielende Violine dominiert das tänzerische "The Connection Plan".
Zwei Instrumentals finden sich auf der Platte mit je unterschiedlicher Justierung: Klang und Intensität finden sich auf "A Room With No Ceiling", während "Bats In The Belfry" Rhythmus und Virtuosität fokussiert. Letzter Track stammt von Nick D'Virgilio und gibt ihm Raum, seine Schlagzeug-Skills zu platzieren. Abgerundet wird der Track von einer Dick Dale-artigen Gitarren-Einlage von Rikard Sjöblom.
"Proper Jack Froster" ist ein Song über die ambivalenten Kindheitserinnerungen von Bassist Gregory Spawton, der ein Faible für die Retrospektive hat. Der kleine Greg erfreute sich in seiner Kindheit an einem Spielzeug-Set namens Big Big Train.
Trotz vieler Line Up-Wechsel formierten sich um Greg Spawton als Kern musikalisch versierte Mannschaften die den Geist des Prog weitertragen. So traurig der Abschied von Longdon auch nachwirkt, so begrüßenswert wäre eine Weiterführung von Big Big Train.
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