laut.de-Kritik
Mit Steven Wilson im Doom-Himmel.
Review von Michael SchuhSucht man nach pointierten Lebensweisheiten über Respekt, Moral und Integrität aus der Sicht eines Rock'n'Rollers, wird man in aller Regel bei Motörhead-Sänger Lemmy fündig. Doch auch Punkrock-Instanz und Hardcore-Dichter Henry Rollins wartet dank langjähriger Spoken Word-, Kolumnen- und Podcast-Erfahrung mit einem ansehnlichen Zitateschatz auf. Über die Lebensleistung der Band um Ozzy Osbourne existiert sein treffendes Bonmot: "Vertraue nur dir selbst und den ersten sechs Black Sabbath-Alben."
Der Mann spricht aus Erfahrung: Egal, welchen YouTube-Ausschnitt man sich von Rollins-Auftritten anschaut, es findet sich darin immer eine Black Sabbath-Eloge, von der Fanboy-Geschichte seines Trips mit Ozzy in dessen Privatjet bis zum lebensverändernden Moment seiner Teenagerzeit dank des Stücks "Iron Man". Das sechste Album "Sabotage" fiel qualitativ zwar schon leicht ab, vermutlich beeinträchtigt von Label-Querelen und Gerichtsterminen mit alten Managern. Das ändert aber nichts am Ewigkeitsanspruch des Rollins-Zitats: Der Album-Run von "Black Sabbath" bis "Sabbath Bloody Sabbath" in unfassbaren vier Jahren bleibt beispiellos und legendär.
50 Jahre später ist der Einfluss dieser fünf Alben allgegenwärtig und die Sehnsucht jüngerer Generationen nach Mythen und Bonustracks größer denn je. Beides bedient die vorliegende Super Deluxe Edition auf vier CDs beziehungsweise fünf LPs in großzügigem Ausmaß, der auch den hohen Preis absolut rechtfertigt. Die Wahl fiel auf das Album "Vol. 4", das 1972 nach drei brettharten Scheiben, die die Welt des Heavy Metals aus den Angeln hoben, eine neue Vielfalt in den Sabbath-Sound einführt. Das neue, wenig spektakuläre Album-Remaster ergänzen 17 bisher unveröffentlichte Studio-Outtakes, abgemischt von Sound-Nerd Steven Wilson, sowie - endlich - ein komplettes und ebenfalls neu gemischtes Konzert der '73er Tour, aufgenommen in verschiedenen Städten in Großbritannien.
Dass vier Rock-Wüstlinge und verkappte Teufelsanbeter plötzlich eine Klavierballade ("Changes") veröffentlichen, erregte seinerzeit Unmut im Fanlager, so dass die Band sich in Interviews zu Rechtfertigungen genötigt sah: "Wir sind nicht softer geworden, wir sind immer noch heavy, sehr heavy, nur die Richtung hat sich geändert. Alles ist ... ausgearbeiteter", erklärt Ozzy 1972 etwas unbeholfen dem Magazin Circus, wie man im 40-seitigen Booklet nachlesen kann. Das Hardcover-Buch im LP-Format ist ein einziges Schmuckstück: randvoll mit Anekdoten und großartigen Hasselblad-Bandshots sowie monochromen Coveralternativen und Konzertposterabbildungen. Warum dann als Poster-Beilage ausgerechnet ein langweiliges Negativfoto jener Zeit ausgewählt wurde, bleibt schleierhaft. Witzig ist allein der Werbeslogan: "Ice-hot till hell freezes over on Warners."
Unzufrieden mit der hastigen Produktion des Vorgängers "Master Of Reality", gleichzeitig stolz auf dessen weltweiten Erfolg, beschließen Black Sabbath, sich weniger vorschreiben zu lassen. Warum nicht statt schon wieder nur zwei Wochen einfach sechs oder gleich acht Wochen Studiozeit buchen, den bisherigen Produzenten rauswerfen und stattdessen unter der Sonne Kaliforniens mit Blick auf die Hills aufnehmen? Das Setting der Aufnahmen zu "Vol. 4" verbildlicht den neuen Superstar-Status. Nur ein Detail fehlt noch. Was genau mit jungen Musikern aus eher ärmlichen Verhältnissen passiert, die, plötzlich finanziell üppig ausgestattet, im Los Angeles der 70er Jahre ausgesetzt werden, all das kennt man heute aus unerschöpflichen Rock-Mythen - maßgeblich mitgeschrieben von dieser Band bei den Aufnahmen zu diesem Album.
Gitarrist Tony Iommi formulierte es später so: "In L.A. ging es um Drogen, Drogen, Drogen und Musik. Es war eine tolle Zeit." Drummer Bill Ward erinnert sich womöglich an mehr: "Ich kann nicht über alle Dinge reden, die wir damals gemacht haben, ich habe Enkelkinder." Bassist Geezer Butler hat damit weniger Probleme: "Die Aufnahmekosten beliefen sich auf insgesamt 60.000 Dollar, die Rechnungen für das Kokain auf 75.000." Die Band schlägt der Plattenfirma sogar den Albumtitel "Snowblind" vor, was sofort abgelehnt wird. So bleibt der gleichnamige Song mit dem unerbittlichen Ward-Groove die Hommage an eine achtwöchige Absturz-Safari, "Scarface" mit Musik.
Somit zählt "Vol. 4" neben "Be Here Now" (Oasis) und Bowies "Station To Station" zu den bekanntesten Koks-Alben der Rockgeschichte, allerdings auch zu den besten. Das vierte Album birgt eine bislang nicht gekannte Dynamik. Hinter all der Brutalität kommen tatsächlich Emotionen und Poesie zum Vorschein. Eine Killersingle fehlt zwar, dafür gibt es Songs über wahre Liebe (zu Drogen) und erloschene Liebe (nicht zu Drogen).
Der bluesige Einstieg mit "Wheels Of Confusion" leitet über in einen bekannten Ein-Akkord-Groove, bei dem Ozzy gleich mit einer ungewohnt ausgeschmückten Gesangsmelodie beeindruckt. Auf früheren Platten begnügte er sich ja meist damit, das Leadriff mitzusingen. Das vertraute "Tomorrow's Dream" kommt einer herkömmlichen Single noch am nächsten, "Supernaut" zeigt einen übersprudelnden Iommi, seine präzise knallenden Riffs auch hier wieder durchdacht genug, um nicht in Hardrock-Plattitüden abzudriften, oder - eine nicht minder zu unterschätzende Hürde - sich selbst zu kopieren. Bill Ward glänzt obendrein mit einem Topsolo. Der Lohn: Es war John Bonhams Lieblingssong.
Die Überraschungen der Platte sind das erwähnte "Changes", ein Spontaneinfall Iommis, nachdem er in einem Studiosaal ein Klavier entdeckt, sowie das kontemplative Akustikgitarren-Instrumental "Laguna Sunrise", benannt nach den Eindrücken am nahegelegenen Strand. Demgegenüber steht am Ende der nach alter Manier grollende Killerriff-Bumerang "Under The Sun", der mit sattem Main-Riff, Druckwellen und Tempowechsel die verspieltere Variante der späteren Stoner-Rock-Bewegung vorwegnimmt. Ein astreiner Klassiker also, dem hier die verdiente Anerkennung im 5-LP-Format zuteil wird.
Steven Wilson dürfte Tränen verdrückt haben, dass er nach den Prog-Heroen King Crimson nun auch für einen Sabbath-Klassiker ans Pult gerufen wurde, wenn auch 'nur' für die Soundauffrischung wiedergefundener Studio-Outtakes. Wie viele Songschnipsel er zur Auswahl hatte, ist nicht bekannt, aber seine sechs neuen Studiomixes bieten einige neue Facetten: Das Mellotron in "Changes" sticht noch deutlicher hervor, in "Wheels Of Confusion / The Straightener" weicht Ozzys Gesang merklich vom Original ab, und "Supernaut" klingt wie eine räudige Liveversion ohne Publikum. "Laguna Sunrise" macht dann erstmals Studiogespräche öffentlich: Iommi witzelt mit dem Toningenieur, nachdem er den Take abbricht und einen neuen beginnt. Danach legt Wilson mit dem instrumentalen "Under The Sun" das Augenmerk auf das Rock-Rückgrat von Sabbath: Butler, Iommi und Ward doomen sich um den Verstand.
Gut, die vier Alternative Takes von "Wheels Of Confusion" legt man vermutlich genau einmal auf. Bemerkenswert bleibt dennoch Ozzys damals auch in höheren Lagen noch sattelfestes Organ. Verständlich, dass der vor Selbstvertrauen strotzende Sänger hier vor fast jedem Song hysterisch "Bollocks" ins Mikro kreischt. Wilson bringt das verschollene Material durchaus zum Glänzen, gerade die sechs Studio-Mixes kann man sich gerne auch mal anstelle des Originalalbums reinziehen.
Überfällig auch eine setlistgetreue Live-Scheibe aus jener wichtigen Phase ihrer Karriere. Das schon zum damaligen Zeitpunkt geplante Livealbum verschwand aus nicht mehr ganz klaren Gründen wieder in der Schublade. Trotz Deep Purples "Made In Japan" wurden Livealben in der ersten Hälfte der 70er Jahre eher als Stiefkinder von Studioalben angesehen. Und trotz gewachsener Entscheidungshoheit nickten Sabbath damals immer noch brav Covervorschläge ab, etwa das heute ikonische Cover, das seltsamerweise nur Ozzy und dann auch noch mit Peace-Zeichengeste zeigt.
Wie man nun hört, liefert die Band 1972 in London und Manchester mit zwölf Klassikern ihrer vier Studioalben ordentlich ab. Einige Songs tauchten bereits 1980 auf dem von Ex-Manager Patrick Meehan ohne Einwilligung der Band veröffentlichten "Live At Last"-Album auf, allerdings in schlechterer Qualität und falscher Songreihenfolge. Der Neuauflage mangelt es natürlich am modernen Klangvolumen der Abschiedsvorstellung "The End (Live In Birmingham)" von 2017, ist als Zeitzeugnis aber unverzichtbar. Die Band spielte damals noch in bestuhlten Theatersälen, weshalb Ozzy die Zuschauer an einer Stelle auch bittet aufzustehen, und zwar ausgerechnet vor "War Pigs". Obwohl die komplette Tournee ausverkauft war, wollten sich manche Besucher ihr Konzerterlebnis nicht von schmerzenden Füßen beeinträchtigen lassen. Ozzy ist dennoch selig: "We love you", krächzt er unentwegt. Eine Liebe, die zahllose Fans angesichts dieser Fanboy-Veröffentlichung erwidern werden.
4 Kommentare mit 13 Antworten
Bin gespannt! Gerade auch, ob Wilson der Richtige für den Job ist. Er steht ja eher für einen kühlen, klinischen Sound, Sabbath mehr für bekiffte Hippierockriffs mit düsterem, warmen Garagencharme. Kann mir aber vorstellen, daß er der Band nicht seinen eigenen Sound überstülpen wird.
Es gibt keinen besseren...hör Dir Blackwater Park von Opeth an und verneige Dich vor dem Können von SW!
das ist 100% wahr.
Ich steh total auf Steven Wilson. Also bevor er einen auf Richard Clayderman für Dads machte, welche ganz laut SW aufdrehen, wenn der Sohnemann heimkommt, um zu zeigen, wie cool man noch ist.
Aber Opeth ist auch völlig anders als Sabbath. Zu Opeth passte damals Wilsons kühler Sound sehr gut. Ich habe aber noch keine seiner Remasters von King Crimson und anderen gehört. Ihm traue ich schon zu, daß er auch "wärmere" Produktionen beherrscht.
Verstehe gar nicht recht, warum du seinen Produktionsstil als kühl erachtest. Was klingt denn dagegen d.E. warm? Ein Beispiel parat?
Dieser Kommentar wurde vor 3 Jahren durch den Autor entfernt.
Dann bleiben wir doch gleich bei Opeth. "In Cauda Venenum" klingt viel "wärmer" als z.B. "In Absentia". Klar, was "warm" ist, ist alles andere als präzise unter Produzenten. Aber es bedeutet z.B. volle Tiefmitten in den Melodieinstrumenten, etwas mehr "Brei" statt präzisem, chirurgischem Herausschälen einzelner Spuren.
Sabbaths Charme ist ja gerade, daß sie meistens klangen, als würden sie in einem Raum zusammen spielen. Das bedeutet Bleeding und Überschneidungen, und daß alles etwas "zusammenpappender" klingt.
Sind nur ein paar meiner persönlichen Definitionen. Für mich steht Wilson als Produzent eher für modernen, stark getrennten, distanziert-kühlen Sound.
Klar, es geht um Geld. Die Band hat ihren Abschied bekannt gegeben und da kommen die Deluxe, Superedit und sonstwas Versionen. So meine erste Vermutung bei der Ankündigung. Aber OK, Steven hat neu abgemischt- da kann man durchaus mal reinhören. Bei dem Streaminganbieter meiner Wahl ist das möglich; und ich war überrascht vom Sound. Wow. Das Schlaugzeug sehr klar, die Gitarren sauber im Sound, der Gesang klarer- insgesamt ein tolles Klangbild. Nicht falsch verstehen, ich mochte Vol. 4 immer schon. Insgesamt nach Bloody meine Nr. 2 von Sabb. Es war für mich das doomigste und damit auch vom Sound dunkelste Album von Sabbath. Diese Edition ist neu, anders und hörenswert. Gelungen.
Ich wünschte, ich könnte die Begeisterung nachvollziehen. Ozzys Kermit-Gesang konnte ich noch nie ausstehen. Der Autor hats auch gut getroffen, es wird ja auch meist nur das Riff "mitgesungen" - nicht mein Ding - ich mag nur die beiden Alben mit Dio.
Auf eine Art ist es unbegreiflich wie man sowas über Ozzy behaupten kann aber verdammt nochmal JA Heaven & Hell ist teuflisch geil und DIO einer der bester Metalsänger!
es wird ja auch meist nur das Riff "mitgesungen"- ja, man kann da auch sagen: wenigstens das.
Nichts desto es ist halt deren Stil und auf Alben mit guten Songs funktioniert das auch.
Den ganzen Zauselmatten muss ja jetzt das Geld auf andere Weise aus den versifften Hosentaschen gezogen werden, wenn abgestandenes Plastikbecherbier auf WACKÖÖÖÖÖN ausfällt/ausgefallen ist.
Ich glaube ja, dass Craze manchmal heftig neidisch ist auf die Wackenzottel, die sich sonst den Wind auf die Plautze scheinen und die Sonne durchs Haar wehen lassen, während er in seiner modrigen Lehmhöhle versauert.
Man kann abgestandenes Platikbecherbier auch zu Hause haben. Ich hab immer welches auf'm Nachttisch. Just saying
Gleep, du hast Irgendwas mit "braun" vergessen einzuflechten, für den original Meuri-Swag.
@Schwinig: Ich würde sagen es wundert mich, wäre aber gelogen.
Christian ist nur neidisch, weil er morgens 2h im Bad benötigt, um sich die Gelfrisur zu basteln.