laut.de-Kritik
Vom Drainer-CEO zum Elfen-Hohepriester und zurück.
Review von Yannik GölzBereits seine ganze Karriere über war Bladee eine widersprüchliche Figur. Der Kerl kann wie ein verwirrter Stoner-Kumpel wirken, der im Halbschlaf von einem verstrahlten Gedanken zum nächsten stolpert. Oder aber wie ein Kultführer, der live aus dem Nirwana auf Beats sendet. Und je mehr der Drain Gang-CEO sich von Yung Leans Cloud-Rap-Nebenmann zum androgynen Elfenpriester entwickelte, ging er nicht von einem Pol zum anderen, sondern sorgte nur dafür, dass beide Pole konstant gleichzeitig stattfinden. "Spiderr" ist Bladee in so kryptisch, dass es fast schon wieder klar ist. Alle Elemente aus "Crest", "The Fool" und "333" finden langsam zu einem kohärenten Universum zusammen. Was als Rap angefangen hat, ist in einer gleitenden Bewegung zu hynpagogischem Electro-Pop geworden.
Entsprechend klingt das komplett von Whitearmour produzierte Album: Die Mischung aus den Überresten der alten, schwedischen Sad Boys-Rap-Produktion hat sich auf einen Minimalbestand an kristallinen Synths und Echos reduziert. Stattdessen gibt es Songs mit elektronischem Unterbau. "Nothingg" setzt mit Wondha Mountain, dem spirituellen Führer der Drain Gang, regelrecht auf Dancehall-Drums. Songs wie "I Am Slowly But Surely Losing Hope" und "Dresden Er" sind durchaus eingängig, auch, wenn man die poppigen Elemente manchmal ein bisschen hinter einer sehr ungewöhnlichen Fassade finden muss.
Trotzdem bleibt der Sound homogen und kompakt, und trotzdem gibt es niemanden, der im Moment so wie die Drainer klingt. Sie haben ihre ganz eigene Form von klanglicher Psychedelik perfektioniert, denn je mehr die Vocals hallig und verschwommen klingen, desto schärfer und im Staccato klingen die Synth-Mandalas, die eisig und kristallin in ätherischen Loops pulsieren. Klingt wie ein Lush-Laden in einem Eistempel. Als würde man die Arktis mit einer Duftkerze schmelzen wollen. Und genau, wie die Klangwelt eine ganz eigene ist, differenziert Bladee auch zunehmend seine textliche Welt aus.
Direkt am Anfang auf "Understatement" moniert er, dass Leute ihn zwar idolisieren, ihm gleichzeitig aber nicht einmal genau zuhören. Und es mag verständlich sein, dass man Bladees meist etwas monoton dargebotene Singsang-Verses ein bisschen für esoterisches, aber vibendes Stoner-Gewäsch abtut. Aber doch entdeckt man so etwas wie ein roter Faden, immer wieder kehrt er zu seinen Zahlen zurück, zur dreifachen drei, zur neun, die Drain Gang-Neun - minus eins; und er verknüpft dies mit Bildern, Bildern aus Dante, Tarot oder hier ganz besonders: mit Bildern aus judeo-christlichem Mythos.
Kollegin Sibel Tayçimen arbeitete an einer literaturwissenschaftlichen Analyse und ging diesen Spuren auf den Grund: Die Zahlen führen in Richtung jüdischer Kabbala, der auf "Uriel Outro" angerufene Erzengel Uriel ist der Engel der Wahrheit und Weisheit, und auf dem Cover ist Bladee als lehmerner Golem abgebildet – inklusive dem Wort "Emet" auf der Stirn, das traditionellerweise mit 'Wahrheit' übersetzt wird.
Und es leuchtet ein, denn Songs wie "Hahah", "I Am Slowly But Surely Losing Hope" oder "She's Always Dancing" sprechen wiederholt von Wahrheit und Schöpfung – wie man sie aus der Linse eines Künstlers oder einer Künstlerin auch besprechen würde. Die Referenzen ans Hebräische kommen mal im Subtext vor, dann wieder ganz direkt in einer Hook. Nun könnte man natürlich einhaken und sagen: Na gut, dann flicht sich eben ein Referenzteppich in das Album ein, aber was hilft der, wenn man die Hälfte eh nicht rafft, und er zwischen diese wunderliche Mischung aus völlig verkifften halb-gerappten Scheißbars verloren geht?
Man sollte Bladee auf jeden Fall nicht mit einem verkopften Konzept-Musiker verwechseln. Aber die eine Sache, die er musikalisch wirklich gut kann, ist sich kollagenhaft in Fantasien zu wälzen. Er referenziert Glaubenssysteme nicht aus Glauben, sondern aus ästhetischem Interesse – und klaubt sich aus Religion, Esoterik und Hip Hop alle möglichen Rituale zusammen, die in ihm eine Reaktion auslösen. Sein murmelndes, undurchdringbares Netz an springenden und unausgegorenen Gedanken über Wahrheit, Kunst, Hater und weiß Gott was noch wird dem Chaos in seinem Kopf gerecht – und das Album emuliert ebenso die Stimmungsschwankungen ihres instabilen, aber hinter der abwesenden Fassade zu großer Euphorie und großer Trauer fähigen Protagonisten.
So formuliert er es auch auf dem wohl besten Song, "Hahah": Erst wiederholt Bladee bis zur Ekstase "I'm crazy", am Ende des Songs "I'm doing great". Beides kann gleichzeitig zutreffen. Irgendwie hat es etwas Befreiendes, wie diese Songs in ihrer ganz eigenen Frequenz und in ihrem ganz eigenen Tempo die Wirren eines hin- und hergerissenen Lebens nicht entwirren, aber zumindest in all ihrer erschlagenden Vielheit aufzeichnen. Die letzten Songs, "She's Always Dancing" und "Uriel Outro", haben fast etwas Hymnenhaftes, ähnlich einem religiösen Loblied: Das Album endet so in Euphorie. So schwer es sein kann, Bladees seltsamen Kosmos im Kopf zusammenzufügen, umso mehr berührt es, wenn sich in seiner verkopften, kleinen Sagenwelt ein Raum für völlig neu gespürte Euphorie öffnet.
2 Kommentare mit 6 Antworten
0/5 von mir. Von Depri-Kids für Depri-Kids, die das Leben nicht mehr raffen - aber wer soll ihnen das verdenken in diesen Zeiten.
Dann aber trotzdem lieber den Eskapismus der 80er, die New Romantics haben sich wenigstens noch die Mühe gemacht, schöne Melodien zu schreiben und waren unterscheidbar.
diese musik ist nicht für leute wie dich bestimmt
Das liegt in dem Fall daran, dass ich glücklicherweise kein Depri-Kid bin. Bin aber trotzdem offen für "traurige" Musik im weitesten Sinne. Aber langweilig sollte es halt nicht sein. Vielleicht ist der Unterschied, dass denen, die wirklich Depri sind, das dann auch egal ist.
Womit Du am Ende Recht hast - es aber nichts daran ändert, dass ich persönlich der Musik nichts abgewinnen kann.
Hast du überhaupt reingehört? Bladee mag vieles sein aber ganz bestimmt nicht langweilig. Experimenteller und eigenständiger kann ein Sound nicht klingen. Und als depri würde ich seine Musik auch nicht bezeichnen. Klar hat das ganze eine gewisse Melancholie in sich aber depri ist dass echt nicht.
Natürlich habe ich reingehört und mir damit meine Meinung gebildet. Ein Gegenbeispiel von "Depri-Musik", die ich nicht langweilig, zumindest weit innovativer finde wäre "Glitch Princess" von Yeule. Aber Geschmäcker sind verschieden, und wenn dich Bladee abholt, dann passt das schon.
Alter Boomer hier, der nur noch bei Laut vorbeiguckt, um sich zwischenzeitlich von Herrn Gölz weiter desillusionieren zu lassen hinsichtlich neuer Errungenschaften, wie man mit einem fraglos vorhandenen Intellekt, der auf post-postmodernen Nihilismus trifft, noch dem banalsten von irgendeiner schlecht programmierten KI zusammengecopypasteten Trap-Standardkram eine Relevanz vortäuschende Rezension spendieren kann. Im besten Fall sind das wilde Meisterwerke postfaktischer Fabulierkunst.
In diesem Fall fiel beim Probehören die erwartete Diskrepanz zwischen Rezi und Musik aber sehr milde aus. Das ist doch musikalisch gar nicht so furchtbar weit weg vom Synthpop der 80er? Da gibt es echte Hooks mit funktionierenden Harmonien, groovige Passagen und Ansätze von Songwriting, das über sich auf einem Grundton beziehende kurze Loops mit maximal zwei Halbtönen Spannweite hinausgeht.
Und das kommt von jemanden, der sich echt fragt, wie die Shazam-Algorithmen eigentlich 99,9 % aller Drake-Tracks und seiner ca. 12 Milliarden Epigonen an lustlosem One-Note-Geseier auseinanderhalten können.
Bitte beleidige die New Romantics mit diesem Vergleich nicht.
Jepp. Ist wirklich öde.
Freue mich auch darauf, wenn der Low-Fi-Minimalismus endlich mal aufhört, der in aller Regel einfach null Gefühle transportiert. Auf diesen Beats kannste ne Hymne über geilen Sex oder eine Ballade über den Tod der Mutter rappen, und es macht keinen Unterschied. Langeweile, gespielte Unbetroffenheit von allem, Metaspulen von Ironie sind vielleicht gar nichts anderes als langweilig. Nur so ne Idee.