laut.de-Kritik

Dieses Album bleibt für immer unvorhersehbar.

Review von

Zwanzig Jahre ist das Release von MF DOOMs Buffet-Anagramm-Album "MM..FOOD" nun her. Ein bisschen steht das Album mit dem seltsamen Essens-Thema vielleicht doch im Schatten des im selben Jahr erschienenen "Madvillainy" - aber unter DOOM-Fans muss man sich keine Sorgen machen, dass dieses Projekt zu wenig Liebe bekommen würde. Es genießt unantastbaren, kaltstahligen Klassiker-Status. Es ist lustig, denn DOOM ist wie kein zweiter Untergrund-MC über die Jahre nur weiter und weiter mythisiert und gefeiert worden. Für viele Rapfans der Generation heute und für Genre-fremde "ich-höre-alles"-Typen steht er BoomBap-mäßig problemlos neben (möglicherweise gar über) Wu-Tang und Nas.

Der Grund dafür ist einfach: "MM..FOOD" ist möglicherweise das beste Album des möglicherweise besten Rappers aller Zeiten. Punkt. Das sagt nicht, dass es das beste Rap-Album aller Zeiten ist, aber es ist definitiv eins, das Hörer*innen dieses Genres für immer in seinen Bann schlagen wird. Einerseits, weil es so weird und enigmatisch ist. Und doch, weil es sich für das, was es ist, so augenblicklich erschließt. Man braucht keinen historischen und Genre-spezifischen Kontext. Dieses Album knipst an und man taucht in die Welt eines Superhirns ein, das mit Joint auf dem Sofa und Gumbo auf dem Tisch vor der Glotze eingeschlafen ist. Die aufflackernden Food-Nap-Träume sind so trippy, wie Hip Hop es sein kann, und gleichzeitig so handwerklich genial, wie irgendjemand je gerappt hat.

Ihr braucht diese Review jetzt nicht, um euch erzählen zu lassen, wie geil DOOM rappt. Ihr wisst es hoffentlich schon. Open Mike Eagle hat es damals im Interview mit Vox schon perfekt formuliert: Der Flow dieses Mannes ist so windig und lebendig, dass er irgendwann in die eigene Psyche einsickert. Wie er mit Erwartungshaltung spielt, wie seine Delivery und sein staubtrockener Humor dir immer einen bis drei Schritte voraus sind. Das Album macht, dass man auch beim zehnten Mal noch das Textblatt zücken möchte - und auch wirklich beim zehnten Mal auf jedem Track noch eine kleine Verbindungslinie mehr in diesen wortverspielten Fadensonnen entdeckt, die aufs erste Hören wie locker aus der Hinterhand geschüttelter Trashtalk rüberkommen.

Es ist ja schon das Mysterium für sich: Einerseits hat DOOM diese Energie und die Stimme, als wäre er dieser dicke Onkel, der unter einer aufsteigenden Graswolke aus seiner Single-Wohnung zum Familienfest aufersteht, um die ganze Wurst vom Grill zu fressen. Und doch rappt er dann cool wie Miles Davis und elegant wie die Prima Ballerina im Tondue.

Und das ist nicht nur das Punchline-Ding, auch wenn man natürlich trotzdem drei Mal pro Verse "OHH!" schreiend aufspringen möchte (z.B.: "What up? To all rappers: shut up with your shutting up / And keep a shirt on, at least a button-up / Yuck, is they rhymers or strippin' males? / Out-of-work jerks since they shut down Chippendales"). Wenn er auf "Deep Fried Frenz" seine Igeligkeit und seine Schwierigkeiten, Leuten zu vertrauen darstellt oder auf "Kon Karne" seinem verstorbenen Bruder nachtrauert, dann sind da durchaus schöne, poetische und introspektive Gedanken zwischen dem Klamauk. Aber vor allem unterscheidet ihn von anderen Technikern wie einem Big L oder insbesondere einem Eminem, wie leichtfüßig und diegetisch der doppelte und dreifache Boden unter seinen Bars gezimmert ist. Die Genialität muss so erfrischend wenig auf sich aufmerksam machen - das Virtuoseste an DOOM schmiegt sich gelassen zwischen die Zeilen dieses schrägen Typen, der einfach durch drei Welten an Slang sein Game kickt.

"MM..FOOD" ist überdies das DOOM-igste DOOM-Album. Wahrscheinlich hat das damit zu tun, das es abseits einzelner Ausnahmen komplett vom Chefschurken selbst produziert wurde. Alle seine Alben haben diesen Hang zum Worldbuilding, aber kein anderes Album trielt so eigenwirksam durch eine Welt, die gar nicht nötig findet, sich groß zu erklären. Wie jeder Beat durch eine Handvoll Samples und Interludes schlafwandelt: Kämpft BoomBap manchmal mit dem Vorurteil, da würde ein Loop statisch und teilnahmslos nebenherdudeln, ist dieses Tape die Antithese. Jeder Track ist ein pulsierendes, zuckendes, schnappendes Etwas, genau so wie sein Macher bereit, jeden Moment die Erwartungen der Hörerschaft zu überlisten. Gepaart mit den teils endlosen Skits, im Mittelteil auch gerne mal vier Tracks back to back instrumental durchgealbert, entsteht so ein wirklicher Treibsand von einem Album-Flow.

Was tut er? Was tut er als Nächstes? Das Album bleibt für immer unvorhersehbar. Wenn jemand sagt, dass "MM..FOOD" von MF DOOM möglicherweise das beste Rapalbum aller Zeiten sein könnte, würde ich mich dem zumindest nicht in den Weg stellen. Das einzig wirkliche Argument dagegen wäre wohl, dass es ein Album ist, das trotz breiter Liebe nicht so einflussreich wie andere war. Klar, über die letzten zwanzig Jahre haben Rapper wie Earl Sweatshirt, MIKE oder Mike Eagle ihre Notizen genommen, aber die Arbeit von DOOM bleibt relativ unemulierbar. Das hat vermutlich auch damit zu tun, dass es weniger ein krasser, aus dem Nichts kommender innovativer Schub war, sondern eher das Ende einer langen Mutations-Kette. Zumindest ich habe mir immer gedacht, dass Alben wie dieses so etwas wie die letzte Evolutionsstufe der Wu-Tangs ist. RZA-Samplechops und nerdy Pop-Kultur-Mikrokosmen, in einer Wolke Weedsmoke zum Himmel implodiert. DOOM gipfelt den MC als BoomBap-Mystiker, bevor 50 und Em, Crunk und Trap in den 2000ern das Game komplett neu starten werden.

Und am Ende stehen dann Tracks mit unwiderstehlichen Grooves wie "Rapp Snitch Knishes" oder "Vomitspit". Es ist alles gar nicht so kompliziert. "MM..FOOD" ist ein absoluter Klassiker, weil es ein Album ist, das zu hören man nie müde werden wird. Hört man auf die Lyrics, hört man auf die Beats, achtet man auf Konzept? Achtet man auf die Samples? Die Punchlines? Das Ding ist eine Welt für sich, handwerklich absolut Peak und quasi nicht totzuhören.

Da lohnt es sich selbstverständlich, das Tape zum zwanzigsten Geburtstag noch einmal hochleben zu lassen. Die Edition kommt übrigens liebenswert verpackt mit Extra-Remixes von Madlib, Ant und Jake One und dazu einem auf Beats gelayerten Interview mit DOOM. Das ist jetzt nicht essentielle Pflichtlektüre, aber irgendwie doch ganz cool zu hören. Auch, wenn ich jetzt seit ein paar Jahren DOOM höre, ist mir bisher einfach nicht gedämmert, dass der je Interviews gegeben haben könnte. In diesem Sinne: Schön, die Gelegenheit zu haben, diesen Meilenstein noch einmal so auf die Seite zu holen und Long Live the Villain!

Trackliste

  1. 1. Beef Rapp
  2. 2. Hoe Cakes
  3. 3. Potholderz (feat. Count Bass D)
  4. 4. One Beer
  5. 5. Deep Fried Frenz
  6. 6. Poo-Putt Platter
  7. 7. Fillet-O-Rapper
  8. 8. Gumbo
  9. 9. Fig Leaf Bi-Carbonate
  10. 10. Kon Karne
  11. 11. Guinnessez (feat. Stahhr, 4ize)
  12. 12. Kon Queso
  13. 13. Rapp Snitch Knishes (feat. Mr. Fantastik)
  14. 14. Vomitspit
  15. 15. Kookies
  16. 16. One Beer - Madlib
  17. 17. Hoe Cakes - Ant Remix
  18. 18. Hoe Cakes - Jake One Remix
  19. 19. Hoe Cakes - Beatboxapella
  20. 20. The Evolution From Zex Love X to MF DOOM
  21. 21. Being Embraced by a Diverse Fanbase
  22. 22. Conquering Writer's Block
  23. 23. Doing Production vs. Working with Producers
  24. 24. The Making of MM..FOOD
  25. 25. MM..FOOD Favorites
  26. 26. The Future with Metalface Records, Gas Drawls & Rhymesayers)

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