laut.de-Kritik
"What is this shit?"
Review von Giuliano BenassiDen Frust der Bob Dylan-Jünger fasste der prominente Musikkritiker und Aficionado Greil Marcus bei seiner Besprechung von "Self Portrait" prägend zusammen: "What is this shit? schrieb er im Juni 1970 im Rolling Stone. Falls der Betroffene die Zeilen damals gelesen haben sollte, dürfte er sich gefreut haben, denn genau das war seine Absicht gewesen: Musikalische Rauchbomben zu werfen, um so endlich Ruhe vor all denjenigen zu haben, die ihn als Messias, Retter der Welt, Stimme einer Generation und dergleichen anhimmelten.
Nachdem er einen Motorradunfall genutzt hatte, um 1966 eine Zeitlang von der Bildfläche zu verschwinden, veröffentlichte Dylan eine Reihe von Alben, die betont anspruchslos wirken sollten: 1968 "John Wesley Harding" (immerhin mit dem grandiosen "All Along The Watchtower"), 1969 das countryeske "Nashville Skyline" (in Zusammenarbeit mit Johnny Cash, der für seine Liner Notes einen Grammy erhielt), 1970 in Abstand von nur vier Monaten erst eine Doppel-LP mit dem ironischen Titel "Self Portrait" und dann "New Morning".
Eine ganze Menge, eigentlich, doch recht wenig im Vergleich zu dem, was Dylan zwischen 1962 und 1966 aufgenommen hatte. "Ich machte ein Doppelalbum, bei dem ich einfach alles, was mir einfiel, gegen die Wand warf. Was kleben blieb, veröffentlichte ich. Später sammelte ich das auf, was heruntergefallen war, und veröffentlichte es auch", schrieb Dylan zum Output von 1970 in seinen "Chronicles, Volume 1".
Das vorliegende Werk versammelt, wie schon die "Bootleg"-Ausgaben zuvor, alternative Aufnahmen und Stücke, die es letztendlich nicht in die Endauswahl schafften, hauptsächlich von diesen zwei Werken. Da Dylan nicht besonders inspiriert war, fällt auch diese Sammlung weniger spektakulär aus als andere aus der Serie. Was aber nicht bedeutet, dass es sich nicht lohnen würde, reinzuhören.
"Went To See The Gypsy", ein Auszug aus "New Morning", kommt mit zwei Gitarren und einem stimmlich angeschlagenen Dylan noch etwas ungehobelt daher, doch auf der Murder Ballad "Little Sadie" klingt er gleich viel besser. Wie allgemein bei den Traditionals, an denen es hier nicht mangelt, so das zarte und bisher unveröffentlichte "Little Saro", ein englisches Stück aus dem 18. Jahrhundert. "Alberta #3" swingt gemütlich vor sich hin und erinnert an Neil Young, die Klavierballade "Spanish Is The Loving Tongue" dagegen an Randy Newman.
"Only A Hobo" ist in einer anderen Version bereits auf "The Bootleg Series Vol. 1-3" erschienen, wie auch "House Carpenter". "Minstrel Boy" liefert ein Zeugnis der legendären "Basement Tapes" ab, die dem Klang nach gelegentlich feucht-fröhlich abgelaufen sein müssen. "Railroad Bill" hätte mit Ziehharmonika, zwei Akustikgitarren und einem Klavier auch vier oder fünf Jahre früher entstanden sein können, "All The Tired Horses" kommt mit dem weiblichen Hintergrundgesang und wenigen Noten auf der Gitarre aus.
Die Arrangements auf der zweiten CD sind ausgearbeiteter, die Stücke insgesamt weniger einprägsam, aber auch hier fehlen nicht ein paar Überraschungen. So "Working On A Guru" und "Time Passes Slowly", die Dylan mit George Harrison aufnahm. Das erste Stück soll sich Dylan während der Session aus dem Arm geschüttelt haben, das zweite erinnert zu stark an "A Little Help From My Friends" in der Version Joe Cockers. "If Not For You" bleibt auch in dieser Demo-Version eines von Dylans besseren Liedern, wie auch "Wallflowers", das ebenfalls schon auf "The Bootleg Series Vol. 1-3" zu hören war.
Auf "Wigwam" oder die penetranten "Days Of '49" und "Bring Me A Little Water Now" hätte man auch verzichten können. "I'll Be Your Baby Tonight" und "Highway 61 Revisited" zeigen, dass Dylan mit der Band auf der Isle of Wight 1969 seinen Spaß hatte. "Sign On The Windows" experimentiert wenig erfolgreich mit orchestralen Klängen, wie "Belle Isle" beweist, das auf "Self Portrait" viel zu überladen wirkte und hier ohne Streicherbegleitung wesentlich besser klingt.
Wie immer ist die Verpackung ein wesentlicher Bestandteil des "Bootleg"-Produkts. Neben den Sammlerausgaben aus vier CDs oder auf Vinyl überzeugt auch die Arme-Leute-Version dank zweier liebevoll gestalteter Silberlinge und einem dicken Booklet. Den wichtigsten Aufsatz durfte ausgerechnet Greil Marcus schreiben, der zwar seinen berühmten Spruch zitiert, sich 43 Jahre später aber versöhnlich zeigt.
Zumal Dylans Plan letztendlich doch nicht aufging. "Self Portrait" und "New Morning" erreichten in den USA die Top Ten der Charts, in Großbritannien gelangten beide gar an die Spitze. In den folgenden Jahren tauchte Dylan also wieder unter, versuchte sich als Schauspieler und Soundtrack-Komponist. Wieder verfehlte er das Ziel. Dass eine solch simple und schale Nummer wie "Knockin' On Heaven's Door" 1973 zu einer seiner berühmtesten und erfolgreichsten wurde, dürfte aus seiner Sicht wieder die Ironie jenes Schicksals sein, mit dem er lange gehadert hat.
6 Kommentare mit 4 Antworten
Ich hab nie verstanden was so legedär an Bob Dylan ist. Konnte ich nie viel mit anfangen.Hab ich irgendetwas nicht verstanden ?
@MEGAMANMILENIUM:
Vermutlich die Texte ...?
Gruß
Skywise
@Skywise : so sieht's aus !
Wahrscheinlich kann megmanmilenium auch nichts mit Leonard Cohen anfangen...
Oh, wenn's an den Texten liegt, ist das eine Erklärung dafür, dass ich auch nichts mit Dylan anfangen kann. In der Musik spielt der lyrische Aspekt für mich eher eine untergeordnete Rolle.
Und Leonard Cohen hat den Spock gespielt. Muss man wissen, nech?
Hat Spock nicht sogar tatsächlich mal Musik gemacht? Oder verwechsle ich da was?
Ich meine schon. Wenn auch nicht so ernst zu nehmend, wie sein Kollege Shatner. Übrigens passend zum Thread:
http://www.youtube.com/watch?v=_0hTtsqiFCc
Mensch, das mit Shatner ist ja spannend!
Hab' mir jetzt gerade mal zwei Sachen von dem angehört, da bin ich echt baff.
Nicht ernst zu nehmen? Also bitte ... brandaktuell, seiner Zeit geradezu um Jahrzehnte voraus ...
http://www.youtube.com/watch?v=ZQ_duzQzS1I
Gruß
Skywise
@Morpho:
Ich war richtig enttäuscht, als ich gelesen habe, daß er jetzt doch nicht den Freddie Mercury gibt ...
Gruß
Skywise
Ja ja, dieser Sacha Baron Nimoy.