laut.de-Kritik

"Es geht nur darum, vom Rastafari zu erzählen".

Review von

"Es entstand ein vollkommen neuer Stil jamaikanischer Musik. Er hatte einen anderen Charakter, einen anderen Sound … Ich kann es nur als internationalen Reggae beschreiben. Er beinhaltete Elemente internationaler populärer Musik: Rock, Soul, Blues und Funk. Diese Elemente vereinfachten den Durchbruch auf dem internationalen Markt", schreibt der Dub-Poet Linton Kwesi Johnson über "Catch A Fire" von The Wailers.

Wie diese Dokumentation vermittelt, betrat Bob Marley mit seinen Wegbegleitern Bunny Wailer und Peter Tosh 1972 Neuland. In der Karibik gehörten sie bereits zu den beliebtesten Bands, in Europa und den USA waren sie dagegen noch so gut wie unbekannt. Vom Willen getrieben, ihre Musik weltweit zum Erfolg zu führen, unterschrieben sie einen Vertrag bei Island Records, dessen Boss Chris Blackwell die Produktion übernahm.

Die rasch in Jamaika aufgenommenen Stücke mussten sich in London unter der Führung Marleys und Blackwells einem Make-Up unterziehen: Hier eine Hammond-Orgel, dort eine Slide-Gitarre, dazu angereicherte Background-Vocals und weitere sortierte Eingriffe. Das Ziel war, den in England eher als Billig-Pop verschmähten Reggae auch unter dem Rock-Publikum zu verbreiten. Ein Unterfangen, das nur zögerlich Früchte trug: Trotz heutzutage allgemein bekannter Stücke wie "Stir It Up" und "Slave Driver", verkaufte sich das Album im ersten Jahr nur 14.000 mal.

Die ernüchternde Zahl überrascht ebenso wie der Mangel an Kritik bezüglich der Überarbeitung der Originalaufnahmen. Eigentlich eine Todsünde, wie Paul McCartneys jahrzehntelange Stänkerei gegen Phil Spector beweist. In diesem Fall äußert sich aber niemand negativ darüber. Im Gegenteil: Die Beteiligten schwärmen ausnahmslos von der Kraft des Albums.

Das liegt an seinem Schwerpunkt, der weniger in instrumentellen Details als im Konzept liegt. "Die Musik schlägt dir ins Gesicht, aber du verspürst keinen Schmerz", erklärt etwa Bunny Wailer. "Das gilt auch für die Botschaft. Sie gibt dir eine Vision, dein Leben und deine Überzeugungen von Grund auf zu ändern". Oder, wie Bob Marley es ausdrückte: "Manche Leute suchen immer noch nach der Wahrheit. Reggae-Musik kann sie zu Jesus bringen. Es geht nur darum, vom Rastafari zu erzählen".

Neben Kommentaren von Blackwell und anderen in London beteiligten Musikern besticht diese Dokumentation vor allem durch viele Aufnahmen aus Jamaika. Bunny Wailer kommt als einziges noch lebendes Gründungsmitglied am meisten zu Wort; zusätzlich begleitet er sich mit Akustikgitarre zu schönen Versionen von "Slave Driver" und "Concrete Jungle". Marley und Tosh sind in alten Aufnahmen gegenwärtig, Erinnerungen packen auch ihre Ehefrauen aus. Kommentare gibt es zusätzlich von Studiomusikern aus Kingston und (angeblichen) Freunden, die eher durch die Dichte ihrer Rauchwolken und den Mangel an Zähnen beeindrucken, als durch das, was sie zu sagen haben.

Für den Fan, der das alles schon kennt, dürften mehrere unveröffentlichte Aufnahmen am interessantesten sein. Eine verstaubte Schwarzweiß-Kamera zeigt die Wailers bei der Arbeit im Studio, Konzertausschnitte dokumentieren die ersten Auftritte der Band in London. In dieser Hinsicht kommt das Beste zum Schluss: Eine Aufzeichnung aus dem Publikum von "Get Up, Stand Up" von 1973. Genau genommen stammt das Lied nicht aus "Catch A Fire", sondern aus dem Nachfolgealbum "Burning"; an der Leidenschaft der Beteiligten ändert sich jedoch nichts.

Die auf dieser DVD enthaltene Dokumentation ist nicht nur informationsreich, sondern auch unterhaltsam und gut gemacht. Schade nur, dass sie schon nach 60 Minuten zu Ende ist. Zwar bietet sie zusätzlich eine ausführliche Diskografie und Untertitel in mehreren Sprachen. Die Tonspur des Albums hätte aber problemlos auch noch darauf gepasst und das Paket gut vervollständigt.

Trackliste

Catch A Fire

  1. 1. Slave Driver
  2. 2. In London
  3. 3. Stir It Up
  4. 4. Slave Driver
  5. 5. Rock It Baby
  6. 6. Stop That Train
  7. 7. High Tide Low Tide
  8. 8. Original 'Catch A Fire' Session
  9. 9. Kinky Reggae
  10. 10. Concrete Jungle
  11. 11. Midnight Ravers
  12. 12. Rave Tour Video

Diskographie

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