laut.de-Kritik
Endlich guter deutschsprachiger Dancehall.
Review von Jan Ehrhardt"Ich hab' Bock diesem Dancehall-Ding meinen Stempel aufzudrücken. Deshalb machen RAF und ich jetzt auch ein gemeinsames Album", sagte Bonez MC vor knapp einem halben Jahr in einem Interview. Der Head-of-187 und RAF Camora zusammen auf einer Platte, das bedeutet bereits allein der Namen wegen geballte Kompetenz. Kurz vor dem Interview hatte sich die Kollabo auf Camoras Album "Ghøst" mit dem Song "Geschichte" zwar bereits angedeutet - die Geschwindigkeit, mit der das Projekt anschließend aber realisiert wurde, ist trotz des bekannten Arbeitseifers der beiden durchaus beachtlich: Früh stehen Titel und Artwork fest, es wird produziert und getextet. Einem ersten Snippet folgt der gemeinsame Auftritt auf dem Splash!-Festival. Und nur eine knappe Woche später begeistert die Vorab-Single "Palmen Aus Plastik" Hip Hop-Heads und Dancehall-Massives gleichermaßen. Der Song wird zur Hymne des Sommers 2016.
Kurzerhand wird die 'Ghøst-Tour' Camoras in eine 'Palmen Aus Plastik-Tour' umgewandelt, "inklusive RAF Camora Ghøst Show Set", wie es in der Ankündigung so schön heißt. Die Plastikpalmen schlagen den Geist, könnte man also meinen. Sei's drum.
Das Release jedenfalls hält, was es verspricht: Bonez und RAF ballern in gewohnter Manier über präzise ausproduzierte Beats, für die zu einem erheblichen Teil Camora selbst verantwortlich ist. Der Fokus auf jamaikanischem Dancehall ist dabei eindeutig. Und dass mit Tommy Lee Sparta ein ganz heißer Name der Szene als Featuregast gewonnen werden konnte, der zudem mit seinen Parts auf "Evil" alles, aber auch wirklich alles zersägt, setzt dem ganzen noch die Krone auf.
"Wir sind nicht Teil einer Geschichte / wollen sie selber schreiben / denn es wird nie wieder das selbe sein." Tatsächlich gelingt den beiden mit weiten Teilen der Platte Geschichtsträchtiges: Nie flowten deutschsprachige Artists auf Dancehall-Riddims so gut. Nie waren die Produktionen auf einer deutschsprachigen Dancehall-Platte so on point. Sicher, Hip Hop kommt auf "Palmen Aus Plastik" nicht zu kurz, etwa bei "Attackieren" mit einem gut aufgelegten Hanybal oder "Cabriolet". Das erwarten nicht nur die Fans, die man mit einer reinen Dancehall-Platte vielleicht etwas vor den Kopf gestoßen hätte. Nein, das verlangt sicher auch das eigene Standing als Künstler.
Aber auch wenn die beiden ihre größten Erfolge bisher im Hip Hop feierten, sind die Verbindungen zur karibischen Musik doch gegeben. Camora verarbeitet Reggae und Dancehall auf fast jedem seiner Alben. Insbesondere sein Alter Ego RAF 3.0 und die aktuelle LP "Ghøst" zeichnen sich durch den Bezug zur Offbeat-Musik aus. Auch Bonez flexxte auf "Ebbe & Flut" oder "High Und Hungrig 2" gekonnt auf digitale Riddims. Privat, das ist mittlerweile zahlreichen Interviews zu entnehmen, setzen die beiden sowieso auf den jamaikanischen Musikkosmos. Die Einflüsse von Masicka, Tommy Lee Sparta oder Mavado sind deutlich zu hören.
Da verwundert es also nicht, dass die LP neben Clubbangern ("Mörder", "Skimaske", "Killa"), Ganja-Tunes ("Vaporizer") und Hymnen ("Ohne Mein Team") auch durchaus deepe Titel ("Erblindet") aufzuweisen hat. Und es glänzen dabei nicht nur die 187-Homies Gzuz und Maxwell als Featuregäste, auch D-Flame und Shooting Star Trettmann begeistern durchweg. Letzterer steuert gemeinsam mit seinen Haus- und Hofproduzenten KitschKrieg nicht nur Beat und Hook von "Daneben" bei, sondern sorgt mit "Vaporizer" zudem für den größten Ohrwurm der Platte.
Auf "Palmen Aus Plastik" münzen RAF Camora und Bonez MC also ihre Inspirationen kurzerhand in eigene, auf den europäischen Markt zugeschnittene Musik um. Das Produkt ist ein deutschsprachiger Dancehall, wie er angesichts der weltweiten musikalischen Entwicklungen im Jahr 2016 auch sein sollte. Allen 'Ausverkauf-Rufen' nach Major Lazer oder Sean Paul-Veröffentlichungen zum Trotz. Dancehall ist massentauglich und wird diesen Weg zukünftig auch gehen. Zumindest für Deutschland scheinen die beiden nun den Grundstein dafür gelegt zu haben.
Damit wir uns nicht falsch verstehen: Ich möchte weder D-Flame (der schon immer auch Hip Hop war), Seeed (die schon immer mehr als nur Dancehall waren), Benji, Nosliw, Kimoe, Dr. Ring-Ding, Mono & Nikitaman noch Nattyflo ihre Pionierleistungen in diesem Genre absprechen. Und sicher ist "Palmen Aus Plastik" auch kein reines Dancehall-Album - Hip Hop und Reggae tauchen gleichermaßen auf. Aber wenn ich beispielsweise an die Zeiten der "Dancehallfieber"-Sampler zurückdenke und Mistah Bomsh das beste war, was die Musik zu bieten hatte, bin ich doch verdammt froh, dass Bonez MC und RAF Camora dieses Album gemacht haben. Denn davon profitieren nicht nur deren Fans, sondern vielleicht auch eine ganze Szene.
23 Kommentare mit 31 Antworten
So tief steck ich im Dancehall nicht drin, aber die Platte ballert erstaunlich frisch nach vorne und hat keine Ausfälle. Wird den restlichen Sommer durchlaufen.
Hype is real
Hab mir im Vorfeld garnichts davon angehört, hat mich da irgendwie nicht interessiert. Aber gefällt mir richtig gut, hätte nur noch ein bisschen früher im Sommer kommen sollen!
Raf und Bonez sind das perfekte Duo: Gesucht und gefunden, würde ich mal sagen.
Scheinbar glauben hier einige, Dancehall wäre ausschließlich das, was Culcha Candela machen Raf und Bonez beweisen definitiv, dass mehr dahinter steckt.
Die Produktionen sind zudem Bombe.
Beste Tracks:
Palmen aus Plastik
Mörder
Ohne mein Team
Vaporizer ist so ein Biest