laut.de-Kritik
Schmilzt Gletscher und lässt auch sonst niemanden kalt.
Review von Matthias MantheVor zwei Jahren debütierten die Caesars mit der Compilation "39 Minutes Of Bliss" auf europäischem Festland - und rissen mich trotz Retro-Abneigung ohne Vorwarnung mit. Die vier schwedischen Könige der Catchyness verweigerten frech jeden Diskurs über Eklektizismus und pflanzten ein Dutzend gnadenlos gut und stubenrein produzierter Garagenrock-Nummern zwischen Hammondorgel und Psychedelic-Eskapaden ins Langzeitgedächtnis. Die verruchte Auskopplung "Jerk It Out" entwickelte in der Indiedisco Saugkraft wie das Pfund Mett in der Sonne und avancierte zu einem der Szenesommerhits.
Im Jahr 2005 feiert dieser Übersong nicht nur in Apples iPod-Werbung, sondern auch auf dem richtungsweisenden Nachfolger ein Revival. Ein Sympathiepunkt Abzug vorweg also fürs Kommerzdenken. Ansonsten aber erfreuen die zwölf weiteren Tracks auf "Paper Tigers", die poliert und nur wenig garagig daherkommen, dafür umso brillanter strahlen und definitiv nicht namensgebend für die Platte sind. Natürlich servieren die Caesars erneut in den Sixties verankerten, pompösen Retrorock, stellen jedoch auch eine andere, nachdenklichere Seite vor. Wenn das Debüt die stürmische, vor Liebe besoffene Sommerplatte war, gehört die Trennungsplatte "Paper Tigers" im Kalender irgendwo zwischen Erntedank und Neujahr verortet.
Frontmann César Vidals pathetischen ersten Worte "I need some new blood" sind deswegen aber nicht gleich dem Konsum zu vieler Bram Stoker-Streifen geschuldet. Den Lockenkopf beschäftigt das Gefühl des Stillstands. Allerlei antiquitierte Orgeln aus dem Musikmuseum (Farfisa, Philicorda) künden auf der Platte vom Ende des Alten und dem Neubeginn. Überhaupt wirken die Caesars vielerorts reflektierter und gereift. Die Feststellung, dass nicht der Fall, sondern der Aufprall auf dem Boden schmerzt, hätte auf "39 Minutes Of Bliss" noch keinen Platz gefunden. Eine Parallele zum Vorgänger zeigt sich aber in den dicht produzierten, teilweise pompösen Songs.
Beziehung kaputt, ernüchtert am Boden liegend - so sieht die Bestandsaufnahme "My Heart Is Breaking Down" aus. Der Vorgänger warf der Ex noch ein wütendes Nimmerwiedersehen nach, jetzt dominieren verregnete Trauer ("May The Rain") und Sehnsucht nach Veränderung ("Paper Tigers", "We Got To Leave"). Mit Handclaps, Tamburin und Heliumstimmen machen sie sich auf: "We'll make a brand new start, we gotta get away, before we fall apart".
Im kalt funkelnden "Winter Song" verfrachten die Caesars den Hörer kurzerhand in eine verschneite Berghütte und setzen ihn einer lawinenartigen Reizflut aus: Die Melange aus Mellotron und Glockenspiel, langsam-dramatischen Streichern und stumpfen Schrammelgitarren, Trommeln und Halleffekt auf Vidals Stimme schmilzt Gletscher und lässt auch sonst niemanden kalt. Das positivere "Your Time Is Near" verwöhnt mit zuckrigem Glockenspiel und entfleuchenden Feedback-Gitarren.
Der Zähmung zum Papiertiger blieb bei den Caesars erfolglos. Wer sollte auch ein ernsthaftes Interesse daran haben? Bietet ihr Album doch hervorragendes eigenständiges Songwriting, eine noch eingespieltere Band und Songs, die im Dienst des Gesamtkonzepts stehen. Das Ergebnis klingt harmonisch und mitreißend, womit sich die Caesars den Lorbeerkranz endgültig verdient haben.
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