laut.de-Kritik
Wohin des Weges, Caspian?
Review von Manuel BergerWie knüpft man an ein Album wie "Dust And Disquiet" an? So richtig scheinen Caspian das selbst nicht zu wissen. 2015 legten die Amerikaner ihr unumstrittenes Meisterwerk vor. Nach der anschließenden Tour wurde es ziemlich ruhig um sie. Auf "On Circles" knüpfen sie teilweise an die klangfarbenreiche Ausdeutung instrumentalen Post Rocks des Vorgängers an, schlagen mit vergleichsweise kompakten Vocal-Tracks gänzlich neue Pfade ein, verlieren sich bisweilen aber auch in allzu ausgetretenen.
Wie sie in "Wildblood" leichte Klavierakkorde, Saxophon und verfremdete Gitarrensounds zu einem dichten Klangteppich weben und schließlich Distortion-Riffs explodieren, erinnert zunächst stark an die Kompositionsweise zu "Dust And Disqiet" – mit dem entscheidenden Unterschied, dass hier nichts nach Trauer, Schmerz und Dunkelheit klingt, sondern bei blauem Himmel die Sonne scheint.
Diese lebhafte, beinah ausgelassene Stimmung zieht sich durch das gesamte Album und gipfelt in der Euphorie des Achtminüters "Ishmael". Genretypisch nehmen sich Caspian hier viel Zeit, um den Song aufzubauen. Minutenlang erklingen nur kratziges Cello (gespielt von Jo Quail) und Lagerfeuergitarre, auf deren Melodienbasis sich irgendwann E-Gitarre und Percussion einklinken und die Aufwärtsspirale zum unvermeidbaren Tremolo-Höhepunkt beginnen. Am Ende herrscht Idylle. Ein Stück wie aus dem Post Rock-Lehrbuch, dank des folkigen Kerns dennoch eigenständig.
So überzeugend gelingen leider nicht alle Songs. Bei "Wildblood" steuert man auf ein unbekanntes Ziel zu, die Musik streckt und bäumt sich auf, um es zu erreichen ... und gibt irgendwann erschöpft auf. Es fehlen die packenden Momente. "Flowers Of Light" stagniert auf einem einzigen Pattern, das Caspian über fünf Minuten hinweg in verschiedenen Schwierigkeitsgraden und dynamischen Aggregatzuständen durchspielen. Vermutlich gefiel der Band ihr rhythmischer Kniff im 7/4-Takt und die zum Albumtitel passende Kreisbewegung ein bisschen zu gut. Im kontinuierlichem An- und wieder Abschwellen des Tracks fehlt der erlösende Befreiungsschlag.
"Division Blues" droht ein ähnliches Schicksal. Ein paar großartige Ideen verenden im Lauf der sieben Minuten. Doch kurz vor Schluss reißen sie das Ruder doch noch herum, und der Song erblüht in shoegaziger Pracht. Noch wesentlich besser machen es Caspian bei "Collapser", wo sie angenehm schnell auf den Punkt kommen. Wofür sie eben noch fast sieben Minuten brauchten, kondensieren sie hier auf zwei und investieren anschließend weitere zwei, um die vorgestellte Motivik aufzubrechen und zu erweitern. Das tun sie unter anderem mit einem fies in der Magengrube rührenden Bassbreak. Geht doch.
Die für die Evolution der Band vielleicht wichtigsten Tracks sind "Nostalgist" und "Circles On Circles". Hielten Caspian den Einsatz von Gesang auf "Dust And Disquiet" noch so rudimentär wie möglich ("Run Dry"), präsentieren sie nun zum ersten Mal ausgereifte Vocal-Nummern – und das ohne eigene Trademarks zu vergessen. "Nostalgist" erinnert melodisch leicht an den epischen Titeltrack des Vorgängeralbums, ist jedoch kompakter komponiert und atmosphärisch völlig anders aufgebaut. Mit Kyle Durfey von Pianos Become The Teeth am Mikrofon steht der Track in einer Singer/Songwriter-Tradition, gen Ende driften Caspian immer mehr gen (neuere) Anathema ab. Das friedvolle Abschiedslied "Circles On Circles" singt Gitarrist Philip Jamieson selbst, vor unaufgeregter Akustikbegleitung und sphärischen Synthscapes. Ein Kleinod, gerade dank Will Yips dynamischer Produktion – und vielleicht der Ausweg aus der Sackgasse, in die sich Caspian auf "On Circles" manchmal manövrieren.
4 Kommentare mit 10 Antworten
Kein Plan, wie viel Zeit ihr einem Album gebt, bevor ihr schreibt ... Und ich versteh ja auch, dass ihr zeitnah Kritiken bringen müsst.. Aber derartige Alben kann man einfach nicht nach 3-6-9 maligem Hören bewerten. Noch heute entdecke ich auf Waking Season neue Elemente, die mich packen. Auf etlichen Alben, besonders im Bereich Post Rock. Und, ja, alles subjektiv und so, aber manchmal funktioniert Musikjournalismus einfach nicht. Und, ja, die Kritik ist nicht unbedingt negativ, wird dem Album aber absolut nicht gerecht.
"Aber derartige Alben kann man einfach nicht nach 3-6-9 maligem Hören bewerten."
Warum nicht? Weil Bewertungen frühstens zulässig sind, sobald du jedes noch so winzige Detail in der Musik entdeckt hast? Einen Song hören ist doch keine Liste, die man abhakt.
Das Album lag dem Rezensenten schon seit einigen Wochen vor ... nur mal so ...
Rezension ist wirklich unter aller Sau, da sie nicht 1/5 ist.
Schwinger, naja in der Rezension von Pet Shop Boys steht zum Beispiel, dass sich nach mehrmaligem Hören der Eindruck des Autors geändert hat.
...was rein gar nichts mit meinem Argument zu tun hat.
"aber manchmal funktioniert Musikjournalismus einfach nicht"
Musikjournalismus funktioniert nie, das liegt aber in der Natur der Sache.
1. man begnet so Pfeifen wie dir o. mir, unerträgliche Nörgelköppe die einem nicht nur mit Bewunderung begegnen
2. meist hört der Musikjournalist sein eigenes Versagen, egal welches Instrument er mal gespielt hat
3. die meisten Journalisten und das hat jetzt nichts mit Musik zutun, halten sich für ganz große Künstler, sind es aber meistens nicht
4. wie überall im Journalismus oft unterbezahlt und bei Fließbandarbeit nunmal kein tolles Ergebniss
Gruß Speedi
Etwas radikal, ziemlich forsch ... Mag ich. Ich dachte, ich halte meine eigene - vielleicht etwas übertriebene - Verachtung für Musikkritik als Ganzes etwas im Zaum. Wenn schon subjektiv, dann bitte komplett Gonzo. So geht's einfach nich'.
Die ganz, ganz großen Journalisten führen Interviews im Flixbus mit ??? Wer zum Teufel war das noch mal?
bertholdht wollersheimer, bekannt aus zukünftigen todesanzeigen
Garri, wie bewertest du eigtl deine Zusammenarbeit mit Stephan? Also mal so aus der Retrospektive. Würdest Du das heute wieder machen, oder würde der Geruch nach Pinselreiniger dich abschrecken?
Schwinger - Jepp. So ungefähr. MannIN - Du Vogel bist sowieso raus.
Mmh? 2/3 der Rezi klingen eher nach 3 Sterne, vielleicht sogar nur 2. Und im letzten Drittel lese ich den vierten Stern auch nur so halbherzig heraus. Mal durchgehört, und ja tatsächlich 3/5.
Obwohl ich für diese "lebhafte, beinahe ausgelassene Stimmung" eigentlich überhaupt nicht empfänglich bin zur Zeit (auch unabhängig von Corona), entfaltet dieses Album dann doch seine Wirkung.. Es hat die Caspian-Trademarks (Kenner wissen, was ich meine), und es ist letztlich überhaupt nicht so programmatisch-enthusiastisch und exzessiv repetitiv wie es gemacht wird bzw. wofür ich es anfangs hielt, ganz und gar nicht.. es ist, mit all seinen inhärenten Spannungen, am Ende einfach: Hoffnungsvoll, ohne die unauflösbar scheinenden Konflikte zu lösen.