laut.de-Kritik

Die ätherische Psychedelik inspirierte Bands über alle Genregrenzen hinweg.

Review von

Im Anfang war der Punk, genauer gesagt, der Post-Punk, den die Cocteau Twins als Startrampe für eines der außerweltlichsten Bandprojekte überhaupt nutzten. 1982 veröffentlichte die Gruppe, bei der es sich keineswegs um Zwillinge handelt, das rohe Debütalbum "Garland".

Zu diesem Zeitpunkt bestand das Trio noch aus der mit einer Elfenstimme ausgestatteten Sängerin Elizabeth Frazer, dem Multiinstrumentalisten Robin Guthrie, die beiden hatten nach relativ kurzer Zeit eine Liaison, und dem Bassisten Will Heggie. Dieser verabschiedete sich 1983, seine Rolle übernahm Simon Raymonde. In dieser Konstellation entstand der psychedelische Sound mit teils fantasierten, teils konkreten Gesangszeilen, der die Cocteau Twins zu Inspirationsquellen für Künstler*innen über alle Genregrenzen hinweg avancieren ließ.

Die naturalistische, hauntologische Elektronik Boards Of Canadas, der sanfte, verwaschene Shoegaze von Slowdive und Konsorten, der spätere Alternative Rock, die legère Romantik von The Cure – sie alle wurden zu beträchtlichem Maße von der schottischen Band befruchtet.

"Heaven Or Las Vegas" markiert in der Diskographie der Cocteau Twins ein besonderes Werk: Mit diesem Album überführten Frazer und Kumpanen die Psychedelik, die teils experimentellen Klangwände, über denen Frazers glockenklarer und doch schwer fassbarer Gesang thronte, in bislang ungekannte Pop-Konformität. Die Band klang plötzlich klar und konkret wie nie, ohne ihre spirituellen, ätherischen Qualitäten einzubüßen.

Ein eindrucksvolles Beispiel dafür ist bereits der Opener "Cherry-coloured Funk", wie so oft mit Referenzen an die Natur versehen. Mal ist in den Songtiteln von Kirschen, mal von Wölfen, mal von Füchsen im Mittsommer die Rede. Das musikalische Grundgerüst könnte genau so gut von Slowdive stammen, die 1990, im Erscheinungsjahr von "Heaven Or Las Vegas", erst beginnen, Fahrt aufzunehmen. Frazers Gesang ist verhältnismäßig klar, das Songwriting konventioneller als auf allen vorherigen Langspielern. Hier entsteht Avantgarde-Radio-Pop mit künstlerischer Exzellenz.

"Pitch The Baby" an zweiter Stelle klingt hingegen mehr nach den älteren Tagen, zumindest auf gesanglicher Ebene. Textlich hingegen handelt der Song von Frazers und Guthries gemeinsamer Tochter Lucy Belle, die auf dem Album immer wieder zum Thema wird – ein weiteres Indiz der Konkretisierung, zumal viele frühere Texte gar in Fantasiesprache verfasst waren.

"Fifty-Fifty Clown" hört sich mit seiner perlenden Coolness so an, wie heutzutage beispielsweise Rhye gerne klingen würde(n); eisiger, bedacht instrumentierter Dream Pop mit elektronischen Nuancen. Logischerweise waren die Cocteau Twins – die Band löste sich 1998, vor allem aufgrund von Frazers und Guthries Trennung, auf – die größte Nummer in diesem Subgenre, begründeten sie es doch federführend mit.

Der Titelsong mit seinem eingängigen Refrain ragt in der Mitte des Albums wie ein melancholisches Fanal. Hier musiziert eine Band, die sich auf dem Höhepunkt ihrer Schaffenskraft befindet und ihre über die Jahre gebündelte Kreativität in atmosphärischen Songs vervollkommnet, die mit Urgewalt ins Ohr gehen.

Es wirkt beinahe schon unfair, einen Song besonders hervorzuheben, schließlich tragen die zehn Stücke allesamt zu einem Album wie aus einem Guss bei. "Wolf In The Breast" mit seinen samtigen Moll-Akkorden und Frazers verworrenem Duett mit sich selbst kommt aber wohl gleichzeitig am konventionellsten und dennoch eigenständigsten daher.

"Road, River and Rail" und "Frou-frou Foxes in Midsummer Fires" richten den Blick am Ende der LP, nichts taten die Cocteau Twins schließlich lieber, in die naturalistische, assoziative Ferne. Besonders der letzte Track fährt nochmal groß auf: Piano-Fundament, szenischer Gesang und plötzlich einsetzende Drums, die das große Finale nochmals auf eine gänzlich andere Ebene hebt. Dazu Frazers veränderte Stimme, die sich dem Sprechgesang annähert.

Nur etwa 37 Minuten dauert dieses musikalische Monument. Es ist das letzte Album, das die Cocteau Twins auf der britischen Indie-Institution 4AD veröffentlichen. Auch die kommenden Longplayer überzeugen, werden aber bereits im bandinternen Clinch produziert. 2005, sieben Jahre nach der Auflösung, steht eine Reunion im Zuge einer Tour im Raum, die Frazer aber entschieden platzen lässt. Es ist das letzte Lebenszeichen der Cocteau Twins, einer ungemein einflussreichen Band.

In der Rubrik "Meilensteine" stellen wir Albumklassiker vor, die die Musikgeschichte oder zumindest unser Leben nachhaltig verändert haben. Unabhängig von Genre-Zuordnungen soll es sich um Platten handeln, die jeder Musikfan gehört haben muss.

Trackliste

  1. 1. Cherry-coloured Funk
  2. 2. Pitch The Baby
  3. 3. Iceblink Luck
  4. 4. Fifty-fifty Clown
  5. 5. Heaven Or Las Vegas
  6. 6. I Wear Your Ring
  7. 7. Fotzepolitic
  8. 8. Wolf In The Breast
  9. 9. Road, River and Rail
  10. 10. Frou-frou Foxes in Midsummer Fires

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