laut.de-Kritik
Musikalisch wertvolles Klassentreffen älterer Leute.
Review von Joachim GaugerGanz und gar unspektakulär laufen die drei Mitglieder der legendären Cream auf die Bühne, schnappen sich ihre Instrumente und rocken los. Während heutzutage etwa im deutschen Fernsehen jeder noch so mittelmäßige Show-Moderator laserumspielt von einer Treppe herabsteigt wie Zeus aus dem Olymp, hebt sich in der altehrwürdigen Royal Albert Hall nicht mal ein Vorhang.
Damit ist schon eine Richtung vorgegeben: Im Mittelpunkt der vier Auftritte Anfang Mai 2005, aus denen sich die vorliegende DVD zusammensetzt, soll die Musik stehen, und nicht die Show. Alles andere wäre den drei älteren Herren wohl auch nicht gemäß, zumal man ihr Publikum eher auf einem Gerontologen-Kongress erwarten würde als auf einem Rockkonzert. Die Kamera bemüht sich zwar, vor allem junge Leute einzufangen, doch im Hintergrund des Bildes spiegelt sich das Scheinwerferlicht auf vielen Glatzen.
Nein, hier geht es nicht um Show und schon gar nicht um Rock-Ekstase. Hier geht es darum, eine Band noch einmal zu feiern, deren beste Zeit fast vierzig Jahre zurück liegt. Und so darf man sich auch nicht wundern, dass Clapton, Bruce und Baker ihre alten Hits keiner Verjüngungskur unterziehen, sondern sich vielmehr um originalgetreue Wiedergabe bemühen.
Trotzdem alledem gerät das Reunion-Konzert an keiner Stelle langweilig, dafür garantieren allein schon die verschiedenen Präferenzen der drei Beteiligten, die sich offenbar über die Jahre kaum verändert haben. Eric Clapton wirft sich so hingebungsvoll in seine verträumten Blues-Soli wie zu seinen besten Zeiten. Doch immer wenn man das Gefühl hat, jetzt verliere er sich gleich endgültig in seinen Verzierungen, holt Jack Bruce ihn mit betont trockenem Bassspiel wieder auf den Boden des einfachen Rocks zurück.
Nicht nur, weil er mit immer noch passabler Stimme die meisten Stücke singt, wirkt Bruce nach wie vor wie der Kopf der Band und wie das Bindeglied, das die auseinanderstrebenden Kräfte von Claptons emotionalem Gitarrenspiel und Bakers fast vergeistigtem Schlagzeug zusammen hält. Möglicherweise war es auch der Einfluss des alten Jazzliebhabers Jack Bruce, dass Cream sich zwar einerseits um Wiedererkennungswert bemühen, andererseits aber im Mittelteil vieler Stücke auch ausgiebig improvisieren.
Seine Spuren hinterließ der Zahn der Zeit am deutlichsten bei Ginger Baker. Obwohl der Mitschnitt ja aus verschiedenen Konzerten zusammen gestellt ist, hat man doch gelegentlich zumindest optisch den Eindruck, dass dem Drummer gegen Ende ein wenig die Puste ausgeht. Zwar hat Baker immer noch den Groove im Blut und das richtige Gefühl für den Backbeat, auch gelingt es ihm ohne Mühe, jeder seiner vier Extremitäten unabhängig voneinander einen ganz eigenen Rhythmus zuzuordnen. Trotzdem ist wohl Geschmacksache, ob das lange Schlagzeugsolo gegen Ende des Konzertes nötig gewesen wäre.
Ein junger Mensch würde dieses Solo vielleicht für lächerlich langsam halten. Und das nicht ganz zu Unrecht, denn die Standards des Rock sind heute einfach ganz andere als am Ende der sechziger Jahre. Gegen das virtuose Trommelfeuer etwa eines Dave Grohl wirkt Baker wie ein altbackenes Metronom, das gemütlich hin und her schwingt. Aber um Vergleiche mit aktuellen Sounds kann und soll es hier nicht gehen. "Royal Albert Hall" ist vielmehr eine stilvolle Einladung zu einer Art musikalischem Klassentreffen, ausgesprochen von älteren Leuten, gerichtet an eben solche.
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