laut.de-Kritik
Ein hypnotisches visuelles Kunstwerk.
Review von Manuel BergerDass Live-DVDs die Atmosphäre der jeweils aufgezeichneten Show stets nur bruchstückhaft einfangen können, ist kein Geheimnis. Der Ton mag besser sein, trotzdem birgt das heimische Sofa einfach nicht das Intensitätslevel einer schwitzenden Metalcrowd. Egal wie laut man den Fernseher aufdreht. Was eine Live-DVD jedoch tun kann, ist, eine andere Atmosphäre einzufangen als vor Ort wahrnehmbar war. Wie das geht demonstrieren Cult Of Luna auf "At Le Gaîté Lyrique, Paris".
Die Show ist Teil des Packages "Years In A Day" und beinhaltet neben dem mitgefilmten Konzert von der "Somewhere Along The Highway"-Jubiläumstour 2015 noch Audioaufnahmen zweier Roadburn-Auftritte. Die lagen uns allerdings nicht vor, weshalb hier in der Review einzig der Paris-Gig – ohnehin der Kern des Ganzen – zum Zuge kommt. Und den sollten sich Cult Of Luna-Fans definitiv besorgen.
Entsprechend des Tourmottos zelebriert die Band in 110 Minuten zum einen einen 6-Song-Querschnitt durch ihre Alben "Salvation", "Eternal Kingdom" und "Vertikal", während die zweite Hälfte ganz im Zeichen des 2006er-Werks "Somewhere Along The Highway" steht. Als "Marching To The Heartbeats" letzteres eröffnet, taucht goldenes Licht die Arena in ein Sonnenaufgangs-Szenerie. Nahtlos fließen die Noten in "Finland", die Scheinwerfer werden düsterer, zum brutalen Höhepunkt mündet schließlich alles in ein ekstatisches Gewitter. Die vielen Reisen, die Cult Of Luna im Lauf der Show unternehmen, visualisiert die Lightshow hervorragend.
Tatsächlich sorgen Licht und Kamera dafür, dass man die Stücke anders wahrnimmt als auf Platte. Wenn Blitze über den Bildschirm zucken, setzt das die zentrierte Kraft der langsamen Song-Monolithen plötzlich in alle Richtungen frei. Zwar spürt man das Resultat nicht körperlich wie in der Live-Situation, dafür konnte man in dieser wohl nicht die Bühnenshow in ihrer ganzen Schönheit erleben. Ein absoluter Fotografen-Albtraum entwickelt sich nämlich als Film zum visuellen Kunstwerk.
Teils passt sich die Kamera der Musik an, teils lenkt sie diese auch in die Richtung, die sie transportieren möchte. Statt einfach nur die Musiker beim Spielen abzubilden – was ob des gleißenden Hell/Dunkel-Kontrasts kaum befriedigend wäre – kreiert sie Bilder, die auch ohne Klänge beeindruckend wären. Kamerafahrten lassen die Bandmitglieder wie verschiedene Ebenen desselben Konstrukts wirken. Close-Ups und raumabgreifende weite Einstellungen wechseln sich dem Intensitätslevel der Musik entsprechend ab und offenbaren gerade in den Blitzlichtattacken großartige Stills. Paradebeispiel für die Schnittleistung ist "Dim": Nach fulminantem Klimax voller Nahaufnahmen zuckt die Kamera zurück und nimmt Bühne plus Publikumsraum ins Bild – blauer Pulsschlag geleitet aus "Dim", roter Pulsschlag belebt "Dark City, Dead Man". Zwischen den einzelnen Schlägen herrscht absolute Schwärze.
Beginnt man damit, "At Le Gaîté Lyrique, Paris" anzusehen, fällt es schwer, sich vor dem letzten Plektrumschlag wieder davon loszureißen. Zum hypnotischen Songmaterial Cult Of Lunas gesellt sich eine ebenso hypnotische Bebilderung, die ihr Publikum regelrecht in sich aufsaugt. Wo viele Konzertfilme schlicht dokumentarischen Zweck erfüllen, verfolgte Regisseur Nathan Benisty hier einen klaren eigenen künstlerischen Ansatz. Das macht "At Le Gaîté Lyrique, Paris" nicht nur für Fans der Band zu einem Musthave, sondern zur lohnenden Erfahrung für jeden, der sich einmal mit Cult Of Luna beschäftigen möchte.
Ein echter Hingucker ist zudem die physische Verpackung: Am Artwork kann man sich kaum sattsehen. Audio-CDs liegen selbstverständlich bei. Einziges Manko ist das Fehlen von Bonusmaterial. Abgesehen von den Credits im Booklet fallen keine weiteren Worte. Irgendein zusätzliches Gimmick hätte dem Paket als letztes bisschen Fanservice vielleicht noch gut getan. So liegt der Fokus dafür ausschließlich auf dem Kernprodukt; nichts lenkt vom Wesentlichen ab. Und Johannes Perssons Kabelzieher am Ende der Show wirkt umso eindrucksvoller.
2 Kommentare mit 4 Antworten
Muss ich mir unbedingt noch zulegen. Blöd nur, dass es zum Vinyl keine DVD gibt.
cult of luna hätte ich mir so gern mal selbst live gegeben sie machen derart intensive musik, dass sie mich, wenn ich entsprechend drauf bin, in einen trance-artigen zustand versetzen kann, mit einer für mich sinnvollen geschichte mit entsprechenden bildern in meinem kopf. schau ich mir ne dvd an oder geb ich mir ne live-cd von ihnen, ist dieser persönliche zugang nicht da, die wahrnehmung ist stattdessen fremdinterpretiert, das gibt mir nichts mehr die aufzeichnung gäbe mir allerdings sehr viel, hätte ich sie wirklich mal live gesehen, zwecks auslösung einer persönlichen erinnerung etc., womit ich wieder am anfang wär.. da cult of luna so bald wohl nicht mehr für mich erreichbar auftreten werden, bleibt "years in a day" ungekauft..
Wenn ich das lese, bin ich froh, 2013 allein gefahren zu sein, obwohl ich lange überlegt hatte...
Jungs, ich weiß so dermaßen gut, was ihr meint... Ich hab vom persönlichen Zeitgefühl her mindestens zwei Jahre lang in "Owlwood" gelebt, es wurde so etwas wie ein zweites, in meinem Kopf erschaffenes "Silent Hill".
Bei Isis hab ich das von post-rocker beschriebene Phänomen aber noch häufiger und intensiver. Als ich dann paar Jahre nach deren Auflösung den amerikanischen Merch-Store von denen leer gekauft habe (u.a. Pullis, die ich abseits von artverwandten Konzis aufgrund der langjährigen medialen Gleichsetzung von IS und Isis wohl kaum in der Öffentlichkeit tragen werde), habe ich die "Clearing the eye"-DVD aus o.g. Grund ausgespart...
Isis waren und sind bis jetzt die einzige Band, die ich unbedingt sehen wollte und in ihrer aktiven Zeit trotz ausreichend vieler Gelegenheiten "nie dazu kam". Alles andere an Verpasstem (Pink Floyd etc.) trat "zu meiner Konzertbesucherzeit" schon nicht mehr in der gewünschten Besetzung auf o.ä.
https://youtu.be/DRHB6OO2V2Y
Ich war glücklicherweise da. Da wäre mir tatsächlich etwas Großes entgangen.
Ansonsten habe ich es nicht so mit Konzert-DVDs, weil es - egal wie gut gemacht - einfach nichts von dem transportieren kann, was ein Live-Erlebnis ausmacht.
Ein paar habe ich schon, aber da weiß ich eben auch wie es ist, dagewesen zu sein.