laut.de-Kritik

Nachschlag? Ja, bitte!

Review von

"Fünf Jahre lang geschwiegen, um Frieden zu finden": Wirklich alles, das Curse in diesem Jahr in die Welt entließ, deutet schwer darauf hin, dass diese Zeit der Absenz eine hervorragend investierte war. Nach "Uns" und "Die Farbe Von Wasser" hatte ich die Ankündigung eines neuen Albums zwar noch nicht unbedingt als Drohung empfunden, aber doch mit eher gemischten Gefühlen aufgenommen. Brauch' ich das noch? Will ich es? Hatte Curse mir nicht eigentlich spätestens nach "Innere Sicherheit" alles gesagt?

... und was ist jetzt? Huch?! Nach "Unzerstörbarer Sommer" klingt es plötzlich wieder wie eine Verheißung, wenn dieser Mann erklärt, er habe "nicht nur EIN Album" in petto. Klar, neue musikalische Horizonte hat Curse mit seinem Comeback nicht eröffnet. Es hat aber allen, die schon in seinen Anfangstagen dabei gewesen sind, ein wohlig angenehmes Nostalgie-Bad eingelassen.

Curse' größte Leistung bestand dabei zweifellos darin, sich nicht in hängengebliebenen Hach-damals!-Seufzern und Früher-war-alles-besser-Mumpitz zu verheddern. Ohne Reue zurückblicken, aber auch die Gegenwart zu schätzen wissen. Feiern, was gut war, ruhig auch sich selbst, so man denn gut war (und, oh, Curse war SO GUT!), darüber aber nicht in verkrampftes Sich-beweisen-müssen-dass-man-es-immer-noch-kann verfallen: Darin scheint die Königsdisziplin zu bestehen, an der so viele andere scheitern.

Curse hingegen hat das bravourös hinbekommen. Deswegen war es ein einziges Fest, ihn vor ein paar Wochen bei "Fire in the Booth" aufdrehen zu sehen. Auch dort beschränkte er sich nicht auf EINEN Auftritt: Im Abstand von wenigen Tagen kreuzte er gleich zweimal bei DJ Maxxx im Studio auf, und hatte beim zweiten Mal zusätzlich "Familia" im Schlepptau: Cora E., beide (!) Stiebers (!!) und RAGs Aphroe, nämlich. Himmel, hilf!

Wenn mir vor diesem Auftritt jemand gesagt hätte, ich könne im Jahr 2024 einen solchen Aufmarsch von gefühlt mehreren hundert Jahren deutscher Rapgeschichte am Mic NICHT als megapeinliche MC-Mumienparade empfinden, ich hätte mir wahrscheinlich mehrere Löcher in die Stirn geklopft. Doch, Alter, bitte, was war das denn? Wo sind die verdammten Kastagnetten? Cora: smoother than ever. Dass ich die Stiebers überhaupt noch einmal rappen hören würde, nun, sie haben es offenbar selbst nicht geglaubt: "Ich wollt' eigentlich nie wieder ..." Dann noch, eh über jeden Zweifel erhaben, Aphroe, und dazwischen Gastgeber Curse, und eine*r wirkt entspannter und besser aufgelegt als die*der andere?

Aber warum zum Teufel auch nicht? Alle Beteiligten haben ihren Legendenstatus längst verdient, keine*r müsste das hier machen. Sie tun es - und man merkt es in jeder Sekunde, in jeder Line - einzig und allein aus Treue zum siebten der ewig gültigen Rap-Gesetze. Es sieht so einfach aus, man fragt sich wirklich, warum das so wenigen gelingt. Außerdem fragte man sich, ob man nicht irgendwie den überambitionierten DJ aus diesem Track eliminieren könnte, dann ließe sich "La Familia" auch anhören.

Yepp, kann man: Mit seiner "Aera EP" liefert Curse den versprochenen Nachschlag zu "Unzerstörbarer Sommer". Zwar nur ein Häppchen, lediglich vier Tracks stark. Dafür entfaltet "La Familia" hier aber noch einmal ungestört von Zwischengehype, das niemand braucht, den vollen Zauber geballter MC-Erfahrung. Zuvor, auch das schon aus dem "Fire in the Booth"-Format bekannt, hatte Curse sicherheitshalber noch einmal klargestellt, was das für eine "Aera" ist, aus der er stammt: die "der kompletten MCs, der besten MCs, der komplexen Texter und Bühne-Einäscherer-Live-MCs" nämlich. Unter anderem. Das Bett aus souligen Streichern schüttelte ihm Samon Kawamura auf. Der Überraschungsmoment, den der doch recht unerwartete Auftritt der Stiebers beim ersten Durchlauf von "La Familia" beschert hatte, lässt sich freilich nicht wiederholen. Trotzdem schön, den Brüdern hier erneut zu begegnen, zumal man sie in derart unerwartet exzellenter Form antrifft.

Im Anschluss an das Familientreffen entführt Curse nach "Nevada". In sehr cineastischer Soundkulisse - auf der inneren Leinwand flimmern abwechselnd "Blade Runner" und irgendeinen alter Gangsterfilm - demonstriert er noch einmal, dass Referenzen auf das eigene Schaffen sehr wohl möglich sind, ohne dass man dabei mit dem Kopf im eigenen Arsch verschwinden muss.

Im abschließenden "Samsara", das endgültig wie ein Filmklassiker klingt, spitzt doch noch kurz der Yogalehrer um die Ecke, der halt einfach auch in Curse wohnt. Den vielen, vielen Wegen, die zur Erleuchtung führen mögen, stellt er aber ein angenehm geerdetes "Who cares?" gegenüber, das dem großen Thema Sinnsuche und Selbsterkenntnis dann doch wieder rigoros jeden esoterischen Schimmer abbürstet. "Vielleicht ist alles aber schon perfekt, wir haben es nur noch nicht gecheckt." Ja, mag sein. Möglicherweise muss man manchmal wirklich nicht groß herumsuchen. Manchmal genügen der Moment und das, was er bietet, und für solche Augenblicke sind diese vier Tracks.

Trackliste

  1. 1. Aera
  2. 2. La Familia
  3. 3. Nevada
  4. 4. Samsara

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