laut.de-Kritik

Worte mit Tiefgang - messerscharf geschliffen.

Review von

"Freiheit, was für ein großes Gefühl." Nicht groß genug jedoch, um einen MC einzuschüchtern, der sich als Meister der großen Emotionen erwiesen hat. Wer "Hassliebe" predigt, völlig unkitschig "Süßholz" raspelt, wohl überlegt zum "Widerstand" aufruft und bereits mehr als einmal die "Sinnflut" über seine Hörer herab beschwor, der packt auch die "Freiheit" bei den Hörnern.

Aber wie! Schon die erste Kostprobe des Beats, den Kuchikäschtli-Produzent Claud aus den Stadion-Chören der Live-Version von Marius Müller-Westernhagens "Freiheit" zusammen schusterte, trieb mir heißkalte Schauer über den Rücken. Ganz offensichtlich stehe ich mit dieser Einschätzung nicht alleine da.

Noch einer ließ sich einwickeln. Dabei dürfte die musikalische Umsetzung der durchdachten Curse'schen Ergüsse zum Thema das Tüpfelchen auf dem i dargestellt haben. Westernhagen gab nicht nur das verwendete Sample frei, sondern griff auch selbst zum Mikrofon und ermöglichte so ein echtes Gänsehaut-Monster.

Der Titeltrack funktioniert bereits in der radiotauglichen Kurzfassung exzellent. Seine volle Wirkung entfaltet er allerdings erst in epischer Sieben-Minuten-Breite, die dankenswerterweise nicht auf einer Single versteckt, wohl aber im Bonus-Material untergebracht wurde.

Den endlos vielen Gründen, warum ich Curse ohnehin laufend die Hände küssen möchte, fügt er mit "Freiheit" noch einige hinzu. Eigentlich überflüssig, ein weiteres Mal zu erwähnen, dass der Wortschatz dieses Mannes ebenso üppig blüht wie seine Phantasie. Die Überfülle an Lebens-, Liebes- und Leidensgeschichten, die Curse parat hält und in messerscharf geschliffene Worte fasst, erstaunt trotzdem jedesmal aufs Neue.

Die richtige Mischung aus Ernsthaftigkeit und Augenzwinkern, ausuferndem Storytelling und cleveren Situations- und Beziehungsanalysen, aus emotionalem Tiefgang und "Feier Dich Selbst"-Attitüde bringt mich dazu, mich zuweilen sogar für Details zu begeistern, die ich in anderem Kontext eventuell als mächtig gruselig empfände.

Mit Silbermond ("Bis Zum Schluss") werde ich zwar in diesem Leben nicht mehr warm. Dennoch überstrahlt der berührende Text sowohl die unausweichlichen "Dust In The Wind"-Assoziationen, die der Refrain birgt, als auch den überflüssigen Gitarreneinsatz.

Übertriebene Uuuh-Uuuh-Gesänge wie im Chorus von "100 Jahre" werden von mir in aller Regel ähnlich geschmäht wie Xavier Naidoo. Der macht in Monroes bedeutungsschwangerer, dunkel-wuchtiger Kulisse zu "Stell Dir Vor" - wie einst in "Soulmusic" - eine hervorragende Figur.

Die deswegen nicht weniger gelungene Kollaboration mit Jenny Willemstijn ("Nur Ein Kleines Bisschen") ist einem Zufall in Form eines doppelt vergebenen Farhot-Beats geschuldet. Abgesehen davon spiegelt die Gästeliste gewachsene Beziehungen und eine Freundschaftlichkeit, die man in jedem Augenblick hört und fühlt.

Chima liefert zu MIKIs rundem, basslastigen Sound in "Schöne Wahrheit" eine eingängige Hookline. Noch dauerhafter fräst sich Jaguar Wrights Part in "Willkommen Zurück" ins Gehör. Einer Nneka, wie sie in "Baby" mit an den Start geht, kann man ohnehin nicht genug huldigen: Eine aussagekräftigere, eigenständigere Stimme, übrigens wundervoll umrahmt von Drums, sachtem Piano und Orgeltönen, ist mir in den letzten Jahren selten begegnet. Auch dieser Beat geht auf das Konto DJ Farhots.

Als einen der Höhepunkte in einem rundum gelungenen Wurf empfinde ich die melancholisch gefärbte Zusammenarbeit mit Clueso ("Ich Kann Nicht Mehr"), der SashliQ einen ganz und gar un-theatralischen, vermutlich gerade deswegen so eindringlichen Sound verpasst.

Zu großem Hüpfsport blasen Trompete und Posaune in "Feier Dich Selbst". Der Titel ist durchaus als Aufforderung zu verstehen. Curse und Patrice beweisen mühelos, dass Hip Hop selbstverständlich Platz genug für Reggae-Groove, Spuren hallenden Dubs und Marching-Band-Klänge bietet.

"So viele geile Ideen, so viele große Pläne": Mehr Probleme dieser Art wünsche ich so manchem Rapper. Curse setzt mit "Freiheit" eine seit "Feuerwasser" ungebrochene Tradition fort: "Was für ein großes Gefühl, was für große Erwartungen, die ich fühl'." Auch diesmal werden sie voll erfüllt.

Trackliste

  1. 1. Der Lange Weg Zur ...
  2. 2. Freiheit
  3. 3. Stell Dir Vor (mit Xavier Naidoo)
  4. 4. Schöne Wahrheit (mit Chima)
  5. 5. Nur Ein Ganz Kleines Bisschen (mit Jenny Willemstijn)
  6. 6. Gold
  7. 7. 100 Jahre
  8. 8. Ich Kann Nicht Mehr (mit Clueso)
  9. 9. Baby (mit Nneka)
  10. 10. Feier Dich Selbst (mit Patrice)
  11. 11. Lila (mit Jaguar Wright)
  12. 12. Wenn Ich Die Welt Aus Dir Erschaffen Könnte
  13. 13. Bis Zum Schluss (mit Silbermond)
  14. 14. Fantastisch
  15. 15. Du Sagst / Du Meinst (mit Vanessa Mason)
  16. 16. Willkommen Zurück (mit Jaguar Wright)
  17. 17. Freiheit (Epilog)

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LAUT.DE-PORTRÄT Curse

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197 Kommentare

  • Vor 16 Jahren

    Nach drei Jahren Veröffentlichungspause legt Curse dieser Tage mit "Freiheit" sein mittlerweile fünftes Studioalbum vor. Bereits im Vorfeld sorgte die Auskopplung "Freiheit" mit "Marius Müller-Westernhagen"-Sample in und außerhalb der HipHop-Szene für Wirbel. Auch die restliche Gästeliste lässt mit Künstlern wie Nneka, Xavier Naidoo, Silbermond, Patrice, Jaguar Wright und Chima nicht auf ein 08/15-Album der Spielzeit 2008 schließen.

    Dieser erste Eindruck bestätigt sich dann auch beim ersten Hördurchlauf, bei welchem die Tracks "100 Jahre" und "Lila" durch großartiges Storytelling besonders hervorstechen und Curses Ausnahmestellung im deutschen HipHop-Spiel unterstreichen. Auf "100 Jahre" werden zwei ergreifende Lebensgeschichten thematisiert, während "Lila" durch zielgerichtete Erzählstrukturen überzeugt. Darüber hinaus wurde mit "Bis zum Schluss" mit Silbermond ein großartiger Herzschmerz-Popsong erschaffen, welcher jedem liebeskranken, pubertierenden Bushido-Möchtegern-Groupie die Tränen in die Augen treiben dürfte. Ganz nebenbei wird auf "Nur ein ganz kleines bisschen" mit Jenny Willemstijn an der Hook Eingängigkeit im deutschen HipHop neu definiert und mit dem "Freiheit (Epilog)" die Wirkung der Single-Version um Weiten übertroffen. Dagegen bleiben die rappenden Gäste auf der mittlerweile vergriffenen MZEE-Edition weit hinter den Erwartungen zurück, die man mit Namen wie Kool Savas, Olli Banjo, F.R. und Casper in Verbindung bringt.

    Lässt man die MZEE-Edition jedoch außen vor, so liegt mit "Freiheit" ein in sich geschlossenes Gesamtkunstwerk vor, bei dem jede Anspielstation ihre Daseinsberechtigung hat und welches den Status von Curse (positiv wie negativ) weiterhin zementieren wird. Auch wenn das Album für einige HipHop-Köpfe zu wenige Ecken und Kanten haben dürfte, besteht dank des unbestrittenen Pop-Appeals die Möglichkeit, den Crossover zu schaffen und neue Hörerschichten zu erschließen. Vielleicht kaufen diese ja noch Alben.

    Wertung: 5/6

    Quelle (http://herrmerkt.blogspot.com/2008/09/curs…)

  • Vor 16 Jahren

    curse ist hier wohl sowas wie das equivalent zu gewissen anderen künstlern. er wird aus prinzip gut bewertet.

  • Vor 16 Jahren

    obwohl die sbm-review von merkt sehr gut war

    hiermit verspielt er allerdings den kredit wieder