29. Mai 2024
"Wir haben einfach versucht, am Leben zu bleiben"
Interview geführt von Fabian BroicherIhren schwebenden Shoegaze-Sound trugen DIIV auf ihrem letzten Album "Deceiver" zu Grabe. Zwischen damals und dem neuen Album "Frog In Boiling Water" liegen nicht nur fünf Jahre, sondern auch eine Pandemie.
Es sah doch alles so gut aus für DIIV, als "Deceiver" vor fünf Jahren erschien. Sänger und Gitarrist Zachary Cole Smith hatte gerade einen erfolgreichen Entzug hinter sich, die Zeichen standen gut für einen Neubeginn. Und dann: eine Pandemie. Und alle Unsicherheiten, die damit verbunden sind. Wie konnte es für DIIV weitergehen, wenn überhaupt? Das beantwortet "Frog In Boiling Water", zumindest zum Teil. Alle anderen Fragen beantwortet uns das Quartett im Interview.
Wir sprechen mit ihnen kurz vor ihrer Europa-Tour, sie sind gerade in London gelandet, den Jetlag sieht man ihnen im Videogespräch an. Die Augenringe tief, die Arme verschränkt. Bassist und Soundtüftler Colin Caulfield wippt nervös mit den Beinen. Drummer Benjamin Newman hat eine schwarze Baseball-Kappe tief ins Gesicht gezogen. Gitarrist Andrew Bailey verspätet sich sogar um fünf Minuten. Energie sieht anders aus. Hoffentlich werden sie munterer, wenn sie über ihr viertes Album sprechen.
Ihr habt gerade in den USA große Gigs als Vorband von Depeche Mode gespielt, jetzt sind wieder Club-Konzerte dran. Fühlen sich diese Größenunterschiede nicht etwas seltsam an?
Zach: Auf jeden Fall haben sich die Auftritte in den großen Hallen etwas seltsam angefühlt. In den Clubs fühlen wir uns wohler.
Colin: Und während der Tour mit Depeche Mode haben wir sowieso immer wieder unsere eigenen Gigs eingestreut und in Clubs gespielt. Wir sind sozusagen unseren Wurzeln treu geblieben. Aber jetzt in Europa spielen wir ein paar unserer größten Konzerte als Headliner. In gewisser Weise fühlen die sich nochmal größer und wichtiger an.
Apropos Konzerte: Ich wohne in München, und euer Konzert 2020 im Strom war das letzte, das ich vor dem ersten Lockdown gesehen habe. Könnt ihr euch an den Abend erinnern?
Zach: Oh ja, ziemlich gut!
Das war eine tolle Show, aber man hat die Unsicherheit wegen der Pandemie schon sehr gespürt, das war ein ganz komischer Vibe. Wie habt ihr das erlebt?
Zach: Wir hatten noch eine ziemlich lange Nacht nach der Show. Es war vorher schon total unsicher, ob wir überhaupt einreisen können. Wir kamen da gerade aus Prag, aber in München wurde es total chaotisch. Die ganze Nacht über wurden wir aus den USA angerufen, dass wir Europa sofort verlassen sollten. Also sind wir zum Flughafen und in den nächsten Flieger gestiegen.
Colin: Die Show war aber wirklich verrückt. Im Club war's total heiß und alle waren tierisch verschwitzt.
Oh ja!
Colin: Aber zu der Zeit wussten alle schon, was mit dem Virus los war. Das war wirklich ...
Zach: ... kathartisch!
Colin: Genau, kathartisch, weil alle wussten, dass es der letzte Abend vorm Lockdown werden würde.
Wie ist es euch denn während der vergangenen Jahre ergangen? Und wie zeitaufwändig war die Arbeit an "Frog In Boiling Water"?
Ben: Nach dieser Tour hingen wir alle erst mal ziemlich in der Luft. Wegen dieser Unsicherheit, ob in Zukunft so etwas wie die Musikindustrie überhaupt noch existieren würde, ob wir jemals wieder Konzerte würden spielen können. Musikalisch waren wir nicht wirklich produktiv, wir haben einfach nur versucht, am Leben zu bleiben.
Colin: Im Lockdown haben wir dann aber schon wieder viel Musik zusammen gemacht. Wir haben das so ein bisschen wiederentdeckt, weil wir uns halt häufig gesehen haben. Der Lockdown hat uns praktisch dazu gezwungen. Und Musik zu machen war für uns wie ein Ziel in einer echt ziellosen Zeit.
Zach: Eigentlich denken wir beim Musikmachen immer an die Live-Umsetzung. Wir machen halt Rockmusik, die dazu gedacht ist, sie laut in einem Raum vor Publikum zu spielen. Und es war ganz interessant, dass dieses Element plötzlich komplett verschwunden ist. Wir mussten uns fragen: Was für Musik machen wir eigentlich, wenn es keinen Raum und kein Publikum gibt? Wir haben also viel mehr mit Technologie gearbeitet, mit Computern, Mixern und Samplern. Irgendwie schotteten wir uns beim Schreibprozess zu "Frog In Boiling Water" dadurch mehr voneinander ab. Das Album klingt also nicht wirklich wie eine Band, die zu viert im Studio steht und zusammen Musik macht.
"Das war kein Album, das aus uns herausgeflossen ist"
Fast so wie die uralte Frage nach dem Baum, und ob er überhaupt ein Geräusch macht, wenn er umfällt.
Colin: Ja, so ungefähr.
Zach: Wenn ein Schlagzeuger auf eine Trommel haut, aber niemand da ist, um es zu hören ...
"Frog In Boiling Water" klingt ruhiger als "Deceiver", aber auch abwechslungsreicher. "Everyone Out" zum Beispiel, das ist nicht der klassische DIIV-Sound, hat aber trotzdem Punch.
Andrew: Wir haben einfach jede Menge ausprobiert. Bei "Everyone Out" haben wir mit dem Geschwindigkeitsregler einer Bandmaschine rumgespielt. Wir haben dann während unserer Performance immer wieder die Geschwindigkeit des Tapes verändert. Das war der Song, bei dem das zum ersten Mal richtig gut geklappt hat.
Zach: Wir mussten um jeden musikalischen Sieg, wenn du so willst, ziemlich hart kämpfen. Das war kein Album, das einfach aus uns herausgeflossen ist. "Everyone Out" ist da tatsächlich ein interessantes Beispiel, weil es so viele unterschiedliche Versionen davon gab, mit unterschiedlichen Tempi und verschiedenen Parts. Zuerst war es eben was Rockiges, das hat aber nie funktioniert. Dann hat Ben ihn komplett umgebaut, obwohl er immer noch gerockt hat. Dann kamen die Sounds der Bandmaschine dazu, dann wurde der Song ein bisschen akustischer, bis er zu dem wurde, was man auf dem Album hört. Wir haben also wirklich viel ausprobiert, aber nicht immer den direkten Weg zum Ziel gefunden.
Andrew: Als wir "Oshin" (das DIIV-Debüt von 2012, Anm. d. Red.) aufgenommen haben, haben wir uns selbst bestimmte Regeln gesetzt. Zum Beispiel, dass in den Refrains nicht gesungen werden durfte. Was toll ist, weil es einen dazu zwingt, innerhalb dieser Grenzen kreativ zu sein.
Das Musikvideo zu "Brown Paper Bag" endet mit einer verstörenden Werbung von einer Firma namens Soul-net. So heißt auch ein Song auf dem Album. Was für ein Konzept steckt dahinter?
Zach: In dem Song geht's um eine Person, die sich im Internet verliert, aber gleichzeitig auch selbst entdeckt. Dafür haben wir uns dieses dubiose Selbsthilfe-Unternehmen ausgedacht. Mit seltsamen, nichtssagenden Gesichtern, wie sie auf Werbeplakaten von großen Firmen zu sehen sind, mit all diesen Sprüchen: "Wir sind nicht das Problem, wir sind die Lösung." Auf mich wirkt das immer so lächerlich. Das ist so, als wollten sie dir einreden, dass eigentlich du der Böse bist.
Andrew: Ja, genau, so ein bisschen wie In-Q-Tel, die Investitionsagentur der CIA. Wir wollten etwas Ähnliches machen, mit dieser falschen Fassade aus "Juhu! Glücklich! Geld!", hinter der aber was sehr viel Düsteres lauert.
Das erinnert mich an die anti-kapitalistischen Schriften von Mark Fisher.
Zach: Ja, das stimmt! Ich glaube, wir alle haben "Kapitalistischer Realismus ohne Alternative?" von ihm gelesen, als wir in Joshua Tree an dem Album gearbeitet haben.
Wo wir gerade bei Büchern sind: Habt ihr den Albumtitel aus "Story of B." von Daniel Quinn?
Zach: Die Phrase "Frog In Boiling Water" stammt auf jeden Fall aus dem Buch, ja. Und das Bild vom Frosch im kochenden Wasser hat uns alle total berührt, aus ganz unterschiedlichen Gründen. Als wir dann das Album zusammengestellt haben, war's ein bisschen überwältigend, weil jeder Song seine eigene kleine Welt ist. Wir hatten etwas Angst, thematisch keinen roten Faden zu finden. "Frog In Boiling Water" hat es als Metapher dann ziemlich gut zusammengefasst.
"Oft fühle ich mich, als sei ich von der Realität abgekoppelt"
Für mich klingt die Platte ja ein bisschen so, als hättet ihr den Kampf zwischen Licht und Dunkelheit vertont. Ein Song wie "Fender On The Freeway" zum Beispiel klingt düster und ist trotzdem sehnsuchtsvoll. Wieso dieser Zwiespalt?
Colin: Dieses Hin und Her zwischen Licht und Dunkel, Glück und Trauer, diese Ambivalenz ist es, was den Sound von DIIV ausmacht. Etwas, worauf wir uns alle einigen können. Wenn wir irgendwas machen, das zu fröhlich klingt, lassen wir's meistens schnell wieder sein. Das ist uns zu simpel. Ich glaube, dieses Dilemma fasziniert uns alle ...
Zach: Diese Komplexität ...
Andrew: Auch, weil's die treffendste Darstellung der Welt ist, in der wir leben.
Zach: Genau das versuchen wir, in unserer Musik einzufangen. Mein erstes Kind wurde geboren, während wir an "Frog In Boiling Water" gearbeitet haben. Mich ekelt die Welt, in der wir leben, manchmal ziemlich an. Aber dann versuche ich, das alles durch die Augen von meinem Kind zu sehen. Optimistischer zu sein, weil man sich ja dazu entschieden hat, ein neues Leben in diese Welt zu setzen.
Vor allem ein Song hat mich textlich sehr berührt, "Rain On Your Pillow" mit der Zeile "Look how far away we are from here", ohne genau zu wissen, warum eigentlich.
Ben: Ich glaube, beim Schreiben geht es mir so ähnlich. Dass ich nicht wirklich weiß, warum bestimmte Phrasen so herausstechen. Sie tun es einfach. Zuerst drücken die Worte für mich nur eine Emotion aus, und dann bekommen sie ihre eigentliche Bedeutung. Da ist auch viel improvisiert. Zuerst gibt's diesen sehr organischen Prozess, wo man einfach alles auskotzt, danach kommt erst der Punkt, an dem man sich hinterfragt.
Zach: In dem Song geht es jedenfalls darum, Hoffnung in der Hoffnungslosigkeit zu finden. Man ist in einer wirklich aussichtslosen Situation, aber irgendwo gibt es noch einen Ort, an den man gehört. Damit können sich alle Menschen identifizieren, glaube ich. Und eine so mehrdeutige Zeile wie diese lädt natürlich dazu ein, dass man auf ihr aufbaut. So war's auch, als wir den Song geschrieben haben, die Line ist vom ersten Demo bis zum fertigen Song geblieben.
Colin: Mich trifft die Zeile auch total. In letzter Zeit fühle ich mich ziemlich oft, als sei ich von der Realität abgekoppelt. Manchmal, wenn ich entspanne, wird mir plötzlich schwindelig. Ich habe dann das Gefühl, als wären meine Füße total weit weg von mir. Ich fühle mich dann komplett verloren, als würde ich durchs All schweben. Und das einzige, was dagegen hilft, ist sich selbst zu sagen, dass alles gut ist. Diese Hoffnung in absoluter Verzweiflung.
Andrew: Es ist die Art von Hoffnung, von der man weiß, dass sie nicht real ist.
Vielen Dank jedenfalls, dass ihr mit DIIV diese Hoffnung in der Verzweiflung musikalisch einfangt.
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