17. Dezember 2008
Vom Tellerwäscher zum MTV-Star
Interview geführt von Jasmin LützDa sitzt er also vor mir. Der wohl beliebteste Antiheld der Popgeschichte, bekennender Beatlemaniac und Do-It-Yourself-Autodidakt Daniel Johnston.
In der Independent-Szene gilt er als Genie, er beeinflusst viele Musiker. Alte Haudegen wie David Bowie, Sonic Youth, Kurt Cobain, aber auch die Antifolk-Helden Jeffrey Lewis und Kimya Dawson oder Newcomer wie TV On The Radio verehren oder verehrten ihn. Ich traf den Mann aus Kalifornien vor einem seiner seltenen Konzerte in Berlin. Daniel Johnston liebt es im Mittelpunkt zu stehen, leider bekommt ihm die Aufmerksamkeit nicht immer so gut. Johnston ist schon seit seiner Kindheit krank. Er ist manisch-depressiv und muss regelmäßig Medikamente einnehmen.
Daniel gibt nur sehr selten Interviews. Sein Bruder Dick Johnston führt mich in den Backstage-Bereich der Volksbühne, wo er am Abend mit seiner Begleitband auftreten wird. Dick ist seit Jahren Daniels treuer Begleiter und passt auf ihn auf. "Warte bitte hier, ich wecke jetzt mal den Kleinen", sagt er zu mir und geht in ein dunkles Zimmer: "Hey Daniel, get up!" Hm, kein angenehmer Weckruf, aber sonst steht der Künstler wohl nicht auf, wird mir später erklärt.
Dann stiefelt der etwas andere Star aus seinem Zimmer. Die Krankheit und die damit verbundenen Aussetzer sind dem Singer/Songwriter anzusehen. Ich weiß nicht genau, wer mir da eigentlich begegnet. Man liest viel über ihn und weiß doch gar nichts.
Mit zerknautschtem Gesicht und einem ordentlich versifften T-Shirt, das eng über seinem Bauch liegt, einer ausgebeulten Jogginghose, tappst er auf weißen Socken in Richtung Nasszelle. Dann begrüßt er mich sehr freundlich. Er lächelt wie ein kleiner Junge, und man möchte ihn sofort in den Arm nehmen. Sein Anblick stimmt mich schon auch ein wenig traurig. Er zittert, trinkt eine Cola-Light nach der anderen raucht Kette. Aber sein Gesundheitszustand gilt momentan als stabil, auch wenn er in den letzten Jahren häufiger abgestürzt ist und in der Psychiatrie landete. Zum Glück darf er zur Zeit wieder reisen und Konzerte geben.
"Ich hörte nie einem Lehrer zu, viel lieber zeichnete ich meine Comics."
Seine Songs handeln vorwiegend über die Liebe. Er sagt immer: "Love is the answer for everything." Also, frage ich ihn, was denn überhaupt seine erste Liebe war. Er antwortet: "Comics." Ganz allgemein, ins Detail will Johnston heute sowieso nicht gehen. Ich habe den Eindruck, dass er schon nach wenigen Minuten am liebsten die Flucht ergreifen möchte. Ich taste mich vorsichtig an ihn ran und bin froh, wenn er mir mal in die Augen schaut.
Er kann sich gut an den Moment erinnern, als er sich die ersten Male ans Piano setzte und seine Songs schrieb. Vor allem, wenn er eigentlich lernen sollte für die Schule oder fürs College, arbeitete er an seinen Texten und Gedichten, die ehrlicher und authentischer nicht sein könnten: "Ich hörte nie einem Lehrer zu, viel lieber zeichnete ich meine Comics."
Niemand hat ihm das Klavierspielen beigebracht. Er saß in seinem Elternhaus in Texas und haute täglich auf die Tastatur ein: "Mein Bruder Dick brachte mir bei, wie man Noten liest." An Schule war Daniel Johnston nie interessiert, zum Bedauern seiner Eltern.
Die meist strengen und lauten Worte der Mutter sind oft auf seinen Kassettenaufnahmen im Hintergrund zu hören. Noch heute sitzt Daniel täglich zu Hause und schreibt an neuen Songs. Sein Gesicht strahlt, wenn er davon erzählt. Die Ideen gehen ihm dabei nie aus und er benötigt kaum Einflüsse aus der Rock- und Popwelt.
Doch die Beatles seien womöglich schuld daran, dass er selber Musik machen wollte: "'Love Me Do' gehört zu meinen Lieblingssongs", seine Augen funkeln förmlich. Leider ist er noch nie nach Liverpool gekommen, aber er möchte sehr gerne die Stadt des englischen Quartetts besuchen und vielleicht sogar Paul McCartney die Hand drücken. Ich frage ihn, welchen Beatle er denn nun mehr mochte, Lennon oder McCartney? "Beide", schießt es spontan aus seinem Mund. "Beide haben tolle Songs geschrieben und beide waren in einer großartigen Band."
MTV und ganz viel Applaus
Als er zum ersten Mal bei MTV auftauchte - war ihm da klar, dass er jetzt berühmt werden würde? "Das war so unglaublich, ich bei MTV. Ein Mann, der vorher bei MC Donalds die Tische abgeräumt hat und erst vor kurzer Zeit einige Akkorde auf der Gitarre lernte, stand plötzlich im Fernsehen. Ganz alleine mit Gitarre. Das kann ich bis heute nicht glauben."
Steht der Lo-Fi-Songschreiber denn lieber alleine auf der Bühne oder ist es schöner mit Band aufzutreten: "Ich mag beides. Heute Abend spiele ich erst mal einige Stücke alleine und dann begleiten mich meine Freunde."
So langsam merke ich, dass es doch Zeit wird, das Gespräch zu beenden. Daniel wird immer unruhiger. Zum Abschied wünsche ich ihm alles Gute für seine Tour und ihn. Sein Bruder kommt rein und führt ihn zum Zimmer nebenan. Das zweite kurze Interview wartet, auch schon das letzte an diesem Tag, denn viel lieber steht der Daniel Johnston auf der Bühne und singt über sich und seine Träume. Ich schaue mir natürlich auch das Konzert an: man sieht, dass er wirklich Spaß hat und den Applaus genießt.
Die Zuschauer jubeln, noch bevor der etwas schüchtern wirkende Johnston sich ans Klavier setzt, seine Noten und Texte bereit hält und den ersten Song a capella anstimmt. Nach ca. zehn Minuten an der Gitarre tosender Applaus. Der Künstler verlässt die Bühne. War das schon alles? Ist ihm der Rummel, um seine Person doch zu viel? Nein, ganz und gar nicht. Jetzt beginnt der zweite Teil des Johnston Konzerts mit Begleitband. Die John Dear Mowing Band wird zwar etwas umständlich vorgestellt, aber mit viel Humor: "Das ist der Schlagzeuger. Ringo Starr." Alle lachen und auch Daniel freut sich und fragt zwischendurch noch mal nach: "Das ist Berlin, ja?" Und alle schreien "Ja".
"Das ist cool", antwortet Daniel und versinkt wieder in seine Melodienwelt. "Casper, The Friendly Ghost" und die sehr berührende Coverversion "Help" von den Beatles gehören zu den Höhepunkten an diesem Abend in Berlin. Der "Hilfeschrei" von Daniel könnte authentischer nicht klingen und auch sein Zittern könnte bedenklich wirken, aber auf Mitleid kann der Mann verzichten. Letztendlich zählen nur das Gefühl und die Leidenschaft, die das verkannte Genie auf die Bühne bringt.
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