9. Oktober 2020

"Wir sind immer noch Außenseiter"

Interview geführt von

Deftones-Sänger Chino Moreno über den Songwriting-Prozess, die Mitarbeit von Stephen Carpenter und das Remix-Album "Black Stallion".

19:45 Uhr, Deutschland: Ein hypernervöser Schreiberling sitzt vor dem Macbook und wartet auf das Aufploppen des Zoom-Fensters. In Portland/Oregon ist es 10:45 Uhr am Morgen. Ein nettes Gesicht der Label-Dame taucht auf. Amüsiert flötet sie, wie niedlich sie diese Aufregung findet. Nach einem erneuten Aufbau meldet sich ein leider nicht sichtbarer Chino Moreno. Dafür wenigstens hörbar relaxt.

Schön, ihn nach seinen wirklich düsteren Zeiten in den Nullerjahren so aufgeräumt zu erleben. Trotz eines knappen Zeitfensters (das später noch weiter verkürzt wird) sowie ein paar Technik-Problemen antwortet der Deftones-Sänger ruhig auf Fragen zum aktuellen Album "Ohms" und zu der Historie der Band.

Hey Chino! So inmitten dieser komischen Situation: Wie fühlst du dich gerade?

Och, eigentlich ganz gut. Das Album ist nun seit einer Woche draußen und ansonsten: Irgendwie versucht man eben mit der ganzen Situation umzugehen und einfach optimistisch zu bleiben.

Du hattest bereits schon im Vorfeld verlauten lassen, wie gut sich diese neue Energie beim Aufnahmeprozess anfühlt. Kannst du mir vielleicht sagen, ab wann du genau wusstest, wie gut sich die Aufnahmen zu dem Album entwickeln?

Ja, es war diesmal so, dass wir von Anfang an dieses Gefühl wie früher hatten. Einfach wieder fünf Freunde, die zusammen unverkrampft und ohne Druck abhängen und eine gute Zeit verbringen wollen. Es war wirklich von Anfang an das Gefühl da, dass diesmal jeder den Album-Prozess genießt. Die Produktion fühlte sich nicht anstrengend an. Man hatte nicht mehr das Gefühl, dass es Arbeit ist, sondern dass einfach nur der Spaß an der Sache im Vordergrund steht. Und was soll ich sagen: Bei einem Typen wie Terry Date fühlst du dich einfach sofort wohl und in guter Gesellschaft.

Wie fühlt sich Terry als Produzent ein? Kannst du seine Rolle während der Produktion beschreiben?

Ich bezeichne ihn gerne als unser sechstes Bandmitglied. Wir kennen uns ja schon ewig und er ist einfach ein guter Freund, mit dem ich sofort connecte. Wir waren damals beim ersten Album noch total unbedarft und hatten wirklich keine Ahnung von solchen Dingen. Aber er ja war auch gerade erst in seinen 30ern und wenn ich so die ganze Zeit von damals bis heute betrachte, dann haben wir uns alle weiter entwickelt und sind heute viel erwachsener. Du hast eigentlich recht, er ist heute wirklich auch wie ein Vater, von dem man unfassbar viel gelernt hat. Ich bin dankbar, dass wir diese besondere Verbindung zu ihm haben.

"Stephen war diesmal wesentlich mehr bei der Sache"

Also wie damals bei "Around The Fur"? Ein paar Skater-Kids gegen den Rest der Welt?

Hm, dieses Wir-gegen-die-Welt-Gefühl verändert sich schon über die Jahre. Aber ja, ein bisschen davon bleibt haften. Wir sind wahrscheinlich immer noch so etwas wie Außenseiter mit einem Wir-gegen-alle-Gefühl, aber ... eigentlich nicht in so einem negativen Kontext, also dass wir uns mit der bösen Welt da draußen beschäftigten. Es geht eher darum, dass wir uns gegenseitig vertrauen und ein Team sind.

Anscheinend war das auf "Gore" nicht ganz so der Fall. Du hattest damals ja darüber gesprochen, dass Stephen nicht so sehr bei der Sache und mit vollem Herz dabei war.

Stephen hatte gerade am Anfang einen großen Einfluss auf Deftones-Alben und sich da total reingehängt. Die letzten Jahre hat er sich da etwas zurück genommen. Er ist da von seiner Einstellung her irgendwie entspannter geworden und war vielleicht nicht immer so ganz dabei. Das war diesmal aber definitiv anders: Er war wesentlich mehr bei der Sache und ein paar Songs sind komplett auf seinem Mist gewachsen. Stephen war und ist - unabhängig davon, wie viel Einfluss er auf ein Album nimmt - ein extrem wichtiger Bestandteil der Deftones. Das ist ganz klar!

"Eine PJ Harvey-Kollabo wäre ein absoluter Traum"

Wann kommen dir Ideen für die Songs und nimmst du die, sagen wir, während einer Autofahrt direkt auf?

Ja, das passiert ab und zu. Ich habe da zum Glück eine wirklich einfach zu bedienende App auf dem Smartphone. ich drücke einfach nur einen Button und summe ganz schnell eine Melodie oder nehme spontan eine Texteidee auf. Meistens habe ich sogar eher die Textidee als den Song im Kopf. Da kommt natürlich manchmal auch einfach nur Müll bei raus, weil das alles ohne Filter so direkt aufgenommen wird. Nicht alles ergibt dann später wirklich Sinn. Aber das arbeite ich ja im Studio richtig aus. Die meisten Ideen kommen mir eh, wenn ich im Studio sitze und wirklich oldschool Stift und Papier benutze. Da kann ich Songs wirklich ausarbeiten, abspeichern und wenn mir wieder was einfällt, direkt ändern oder erweitern.

Ich muss sagen, dass ich regelrecht verliebt in das Artwork eures Albums bin. Es erinnert mich sehr an das Gesicht von Siouxsie Sioux und hat so einen 80er-Vibe.

Definitiv. Als ich es das erste Mal sah, spürte ich auch gleich diesen 80er-Vibe. Ich bin ja ein sehr großer Fan der Achtziger, da ich mit dieser Musik aufgewachsen bin. Ich liebe sie einfach extrem. Zum Artwork: Es ist ein sehr interessanter Bestandteil des ganzen Album-Pakets. Ich meine, du musst das Gefühl von elf oder zwölf Songs in gerade mal einem Artwork zusammen fassen. Ich war wie die ganze Band direkt von diesem Entwurf angetan.

Wenn ich drüber nachdenke: Es könnte sogar das Gesicht deiner Tochter sein. Du hast mal Foto von deinen Kindern auf Twitter gepostet und sie sieht aus wie eine Blaupause der Banshees-Phase mit Robert Smith von The Cure.

Stimmt, das Foto sieht wirklich aus, als wäre es in einer komplett anderen Zeit aufgenommen worden. Meine Kinder stehen total auf dieses Achtziger-Ding, vor allem New Wave und Goth-Musik, wie ihr Vater. Ich musste sie gar nicht dazu zwingen, die sind alle selber drauf gekommen und lieben den Kram einfach. (lacht)

Neulich konnte man ein DJ-Set von dir in einem Livestream sehen. Kommst du während der Pandemie überhaupt dazu?

Ja, es ist derzeit wirklich blöd. Ich gehe aber trotzdem mindestens einmal die Woche ins Studio und arbeite eine Playlist aus. Ich bin wirklich an jeder Art von Musik interessiert und packe da alles Mögliche rein. Ich sammle auch sonst wie bekloppt allen möglichen Kram und liebe das DJing.

Ihr fügt dem Re-Release von "White Pony" auch ein Remix-Album namens "Black Stallion hinzu". Mit DJ Shadow taucht da bereits ein bekannter Name auf, ansonsten haltet ihr euch noch bedeckt. Kannst du mir vielleicht hier verraten, was da auf uns zu kommt?

Es sind viele ältere Freunde wie DJ Shadow dabei, aber auch ein paar Newcomer. Es werden viele verschiedene Stile dabei sein. Es ist ja bekannt, dass wir große Fans von elektronische Musik sind. Es ist einfach toll, dass wir nun Musik von Leuten bekommen, von denen wir selber sehr große Fans sind. Es sind aber nicht nur Electro-DJs wie Shadow drauf, sondern auch Pop- und Rock-Künstler. Das wird ein wilder Genre-Mix. Soweit ich weiß, kommt in den nächsten Tagen die Liste mit allen Beteiligten raus.

Vielleicht sogar PJ Harvey, von der du ja ein Riesen-Fan bist?

Haha! Oh Mann, das wäre ein absoluter Traum! Ich liebe sie, aber nein, leider nicht auf diesem Album.

Seit kurzem gibt es PJs Dokumentation "Dog Called Money" im Stream. Eine wirklich großartige Doku.

Oh, das habe ich gar nicht mitbekommen. Das werde ich auf jeden Fall sofort auschecken!

Die Promo-Dame schaltet sich wieder zu, verweist auf weitere wartende Journalisten und bittet um die Verabschiedung.

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