26. Juli 2016

"Ich muss etwas Besonderes erleben"

Interview geführt von

Die Punkrock-Branche jubelt: Die Descendents sind wieder da! Nach zwölf Jahren bringen Milo Aukerman und Co. mit "Hypercaffium Spazzinate" am kommenden Freitag ein neues Studioalbum an den Start.

Fragt man heutzutage Bands wie Green Day, Blink 182, Sum 41 und The Living End nach ihren Helden, fällt nur allzu oft der Name Descendents. Die kalifornischen Punk-Veteranen gelten in der Szene als Wegbereiter für all jene, die sich dieser Tage unter dem Pop-Punk-Banner eine goldene Nase verdienen. Nach zwölf Jahren Studio-Funkstille steht am 29. Juli das neue Werk "Hypercaffium Spazzinate" in den Läden. Wir trafen die Band in Berlin.

Milo, wann haben dir das letzte Mal so viele Leute so viele Fragen gestellt?

Milo Aukerman: (lacht) Du wirst es nicht glauben, aber ich bin endlose Fragerunden gewöhnt. Meine Tätigkeit als wissenschaftlicher Biochemiker wirft tagtäglich Fragen auf. Und die Leute sind interessiert. Sie löchern mich regelrecht. Aber du meinst jetzt wahrscheinlich eher Fragen rund um meine Band, oder? Da hast du natürlich Recht. Da war lange Zeit Ruhe. Ich freue mich aber über all die Menschen, die sich immer noch für die Descendents interessieren.

Gibt es in Bezug auf euer Comeback irgendeine Frage, die dir mittlerweile zum Hals raushängt?

Nein, eigentlich nicht. Ich muss mich natürlich erst einmal wieder in die Materie reinarbeiten. Aber ich habe viele Erinnerungen im Hinterkopf. Ich weiß, dass die meisten Leute vor allem wissen wollen, warum, wieso und weshalb wir wieder am Start sind. Und da nicht alle in einem Redaktionsboot sitzen, fängt man halt immer wieder von vorne an.

Lust auf eine weitere Runde?

Immer. (lacht)

Dann lass uns standardmäßig mit der Frage nach dem Warum beginnen: Warum hat es zwölf Jahre gedauert?

Nach dem letzten Album merkten wir einfach, dass sich unsere Prioritäten verschoben hatten. Natürlich war die Band immer noch wichtig. Aber es gab eben auch Familien, jeder hatte seinen Job und eine gewisse Verantwortung zu tragen. Wie das halt so ist wenn man älter wird. Dann wurde aber Bill (Bill Stevenson, Drummer) unerwartet krank. Und ich rede nicht von einer Erkältung, sondern von einem Gehirntumor. Das war natürlich ein schwerer Schock für uns alle. Wochenlang stand das Ganze auf Messers Schneide. Glücklicherweise konnte er erfolgreich operiert werden. Dadurch sind wir als Band wieder unheimlich eng zusammengerückt.

Kurz danach standet ihr wieder gemeinsam auf der Bühne.

Ja, 2010 haben wir wieder live gespielt. Das war auch so ein Wunder. Vor allem für Bill war diese Zeit immens wichtig. Er war plötzlich wieder mittendrin. Mitunter hatten wir sogar das Gefühl, dass ihn sein gesundheitliches Drama zu einem besseren Schlagzeuger werden ließ. (lacht) Wir waren damals alle total euphorisiert. In der Zeit habe ich dann auch wieder angefangen, neue Songs zu schreiben.

"Ohne neuzeitliche Kommunikationstechniken hätten wir alt ausgesehen"

Dann hat es aber noch einmal knapp sechs Jahre gedauert. Wieso?

Naja, ein paar Konzerte spielst du schnell mal, aber ein neues Studioalbum? Das ist was anderes. Ich war ja zu der Zeit auch voll ausgelastet. Mein Job, die Familie: Das war nicht einfach. Mittlerweile hat sich meine berufliche Situation aber verändert. Das ging vor knapp zwei Jahren los. Und von da an rückte die Band immer mehr in den Vordergrund. Ich musste nicht mehr abwägen, was mir wichtiger ist. Es war einfach wieder genug Zeit für die Band vorhanden.

Klingt erst einmal nach einem organisatorischen Alleingang.

Oh nein. Die anderen waren genauso Feuer und Flamme. Jeder von uns hat sich hingesetzt und neue Songs geschrieben. Es dauert bei uns nur immer eine Weile, ehe wir alles unter einen Hut bekommen. Ich lebe in Delaware, Bill und Karl in Colorado und Stephen in Oklahoma. Das war logistisch nicht immer so einfach. Ohne neuzeitliche Kommunikationstechniken hätten wir ziemlich alt ausgesehen. (lacht)

Was ist eigentlich herausfordernder? Das Produzieren und Aufnehmen von Alben in regelmäßigen Intervallen? Oder nach 12 Jahren mehr oder weniger wieder von ganz vorne anzufangen?

In unserem Fall wohl eher Ersteres. Wir sind nämlich keine Band, die ständig damit beschäftigt ist, neue Songs zu schreiben. So ticken wir nicht. Bei uns bedarf es immer einer gewissen Inspiration. Ich muss schon irgendwas Besonderes erleben, um mich zum Schreiben hinzusetzen. Daher würde ich sagen, dass die Produktionszeit des neuen Albums definitiv eine der entspanntesten Phasen unserer Bandgeschichte war. Ich hatte viel Zeit, um mich inspirieren zu lassen.

Entspannung scheint bei euch mitunter auch zu Aggressionen zu führen. Das neue Album klingt phasenweise ziemlich ruppig.

Das hat weniger mit Entspannung zu tun, als vielmehr mit der Tatsache, dass Stephen sich diesmal wieder verstärkt ums Songwriting gekümmert hat. Er hatte fürs letzte Album keine Songs geschrieben. Das hört man der Platte auch an. Diesmal war er aber wieder mit an Bord. Im Gegensatz zu uns anderen, die wir uns mehr mit Harmonien und poppigen Strukturen beschäftigen, stehen bei Stephen vor allem die Punk-Wurzeln im Vordergrund. Durch sein Mitwirken haben die Songs wieder mehr Drive und Energie.

"Wir werden sicher keine Ochsen-Touren mehr fahren"

Apropos Drive: Gibt's da draußen eigentlich frische Bands, die euch dahingehend beeindrucken?

Green Day machen ihre Sache richtig gut. Aber die sind nicht mehr ganz so neu, oder? (lacht) Im Ernst: Natürlich gibt es viele Bands, die völlig zu Recht viele Platten verkaufen und große Hallen füllen. Darunter sind auch viele junge Bands. Aber frag mich jetzt bitte nicht nach Namen. Ich habe ein ziemlich schlechtes Namensgedächtnis.

Fat Mike von NoFX hat euch einst als die Led Zeppelin des Punkrock bezeichnet. Wie würdest du den musikhistorischen Status deiner Band einordnen?

Ich sehe das alles nicht so als Wettbewerb. Wer war zuerst da? Wer hat wen inspiriert? Wer sitzt auf dem Genre-Thron? Das hat mich alles noch nie interessiert. Für mich ist nur wichtig, dass wir als Band unser Ding durchziehen, hinter dem stehen, was wir machen und uns nicht verbiegen lassen. Das sind auch die Punkte, die mir bei anderen Bands wichtig sind. Ich meine, wir können doch nichts dafür, dass wir schon so alt sind, oder? (lacht) Wir haben uns auch inspirieren lassen. Jede Band, ganz egal aus welchem Genre, orientiert sich zu Beginn ihrer Karriere an anderen Bands. In unserem Fall waren das die Undertones und die Buzzcocks. Die haben schon vor uns melodiösen Punkrock gespielt. Wir sind das Ganze dann lediglich etwas intensiver und schneller angegangen.

Erinnerst du dich noch an den Tag, an dem verzerrte Gitarren erstmals in dein Leben traten?

An den genauen Tag nicht mehr. Aber ich erinnere mich an das Gefühl. Da war dieser Wow-Effekt als ich das erste Mal Songs von Devo im Radio gehört habe. In den Top 40 von damals fand man nur sehr selten laute Gitarren und scheppernde Drums. Devo klangen anders. Irgendwie aggressiver und roher. Das gefiel mir. So schlitterte ich zunächst in die New-Wave-Szene rein. Irgendwann sah ich dann die Band X im Vorprogramm von Devo. Das war einer dieser Momente, die mich musikalisch am meisten geprägt haben. Von da an war es um mich und meine Punkrock-Zukunft geschehen.

Zukunft ist ein gutes Stichwort. Natürlich sind eure Fans momentan total happy. Aber es werden auch bereits schon Stimmen laut, die Angst haben, dass das nächste Album ...

(unterbricht) Völlig unberechtigt. (lacht) Vielleicht bringen wir unser nächstes Album schon 2017 raus. Aber es werden definitiv keine weiteren zwölf Jahre mehr ins Land ziehen. Das kann ich schon mal versprechen. Die Situation ist jetzt einfach eine andere. Die Band ist wieder im Vordergrund. Meine neue Job-Situation erlaubt es mir, mich intensiv mit Musik zu beschäftigen. Und ich genieße diesen Zustand. Wir alle genießen diesen Zustand. Insofern: Don't worry! Wir bleiben am Ball.

Auch live? Bisher sind erst zwei Festival-Gigs in Deutschland bestätigt. Kommt da noch mehr?

Wir arbeiten dran. Wir werden sicher keine Ochsen-Touren mehr fahren. 150 Konzerte im Jahr kriegen wir nicht mehr gebacken. Wir sind ja keine 20 mehr. Aber wir würden im Herbst oder Winter gerne noch einmal für eine Club-Tour nach Europa kommen.

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