laut.de-Kritik

Eine ungewohnte Schwere durchzieht die lieblichen Arrangements.

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Wer mit Freude auf neue Musik des eklektischen Künstlers wartet, muss mittlerweile Geduld aufbringen. Nachdem zu Beginn des Jahrtausends das Material nur so aus Devendra Banhart heraussprudelte, ist das vorliegende Album sein erstes seit drei Jahren.

Einerseits liegt es daran, dass der Amerikaner ein gefragter visueller Künstler ist, der seine Bilder international ausstellt und auch Bücher veröffentlicht. In diesem Jahr kam sein erstes Gedichtband auf den Mark, dazu eine Werk mit Zeichnungen, die in Japan entstanden sind.

Andererseits nimmt er sich auch Zeit für die Aufnahmen. So entstand "Ma" in zwei Studios in Los Angeles und einem in Big Sur, wobei die erste Session auf Tour in Japan stattfand. Eine Sammlung musikalisch bunt gemischter und rasch umgesetzter Ideen sind seine Platten längst nicht mehr. Diesmal verzichteten er und sein langjähriger musikalischer Partner Noah Georgeson zudem weitgehend auf Klangexperimente.

Das Ergebnis mutet schon fast lieblich an. Die Antwort auf den Titel des Openers ("Is This Nice?") lautet eindeutig 'ja'. Statt ausrangiertem Hip Hop-Equipment ("Mala", 2013) kommen nun ganz traditionell Streicher und Bläser zum Einsatz. Natürlich auch Gitarren und gelegentlich Keyboards, wobei das Klavier eher auffällt. Im Mittelpunkt steht jedoch Banharts warme, unaufgeregte Stimme, die über den Sinn des Lebens und das Wesen der Dinge philosophiert.

Denn die verträumte und fröhliche Grundstimmung steht im Widerspruch zu den meist düsteren Texten. "Well the older I get / The less I fear anyone I see / And yet all the more / I fear humanity", singt Banhart in "Kantori Ongaku", was auf Japanisch 'Countrymusik' bedeuten soll. Im surrealen Video zur ersten Singleauskopplung bittet Banhart um Hilfe für Venezuela - jenem Land, in dem er seine Kindheit verbracht hat und das derzeit immer mehr in einen Strudel aus Gewalt und Elend gerät: "Mein Bruder ist in Venezuela, meine Cousinen, Tanten und Onkel. Sie halten einfach nur den Atem an, in Schockstarre. Es gibt diese Hilflosigkeit. Dieses Land war wie eine Mutter für mich, ich bin ihm wie eine Mutter, und es leidet so sehr. Es gibt nichts, was man tun kann, außer Liebe zu senden und in sorgenvoller Haltung zu verharren", erklärt Banhart.

Mutter ist das übergreifende Thema dieses Albums. Und so passt es, dass er im abschließenden "Will I See You Tonight?" mit der englischen Folk-Sängerin Vashti Bunyan singt. Jene Muse, die am Ende der 1960er Jahre mehr oder weniger verschwand und im neuen Jahrtausend, auch dank Banhart, wieder auf die Bühne und ins Studio gefunden hat.

Sie ist nicht die einzige bekannte Musikerin auf dem Album. Cate Le Bon steuert den Backgroundgesang zu "Now All Gone" bei, für "Taking A Page" stand gar Carole King Patin. "In der Nacht, in der Trump die Wahlen gewonnen hat, war ich geschockt und verängstigt. Ich habe zu einem ihrer Alben gegriffen, ich wusste, es würde helfen. Hat es auch, und tut es immer noch", so Banhart. Da er eine Zeile und eine Melodie von "So Far Away" aus Kings Solodebüt „Tapestry“ (1971) verwendete, fragte Banhart sicherheitshalber bei ihr nach. "Es gefällt mir", lautete Kings Antwort. Wohl auch deshalb, weil sie als Co-Autorin angeführt ist.

Ein weiterer Singer/Songwriter derselben Generation hat noch offensichtlichere Spuren hinterlassen. "Memorial", zu Ehren von Banharts verstorbenen Vater, erinnert stark an Leonard Cohens "One Of Us Cannot Be Wrong" aus dessen Debüt von 1967. Betont melancholisch fällt auch "October 12" aus, in dem Banhart um einen Freund trauert.

Banhart singt wieder auf Spanisch und Englisch, in "Carolina" sogar auf Portugiesisch. Eine Hommage an Caetano Veloso und einen gleichnamigen Song, den der brasilianische Sänger interpretierte. Wobei sie nur Titel und Sprache gemeinsam haben. "Es ist ein Stück über die mutterhafte Qualität von Musik in unserem Leben. Es ist ein Dankeschön an die mutterhafte Natur der Musik", erklärt Banhart, um beim Thema des Albums zu bleiben.

Eine hörenswerte Platte, auch wenn sie sich nicht so schnell erschließt wie die meisten seiner anderen Werke. Vielleicht deshalb, weil trotz der lieblichen Arrangements eine ungewohnte Schwere mitschwingt. Egal, was man tut, letztlich sind die Kräfte, die in dieser Welt wirken, stärker als das Wirken des Einzelnen, so die Botschaft. Eine Zeile in "Taking A Page" bringt diesen Gedanken auf den Punkt: "I'm in my free Tibet shirt that's made in China".

Dennoch gibt es Grund zur Freude: Neben dem neuen Album kommt Banhart Anfang 2020 im deutschsprachigen Raum auf Tour. Die bildende Kunst muss also erst mal wieder ein bisschen warten.

Trackliste

  1. 1. Is This Nice?
  2. 2. Kantori Ongaku
  3. 3. Ami
  4. 4. Memorial
  5. 5. Carolina
  6. 6. Now All Gone
  7. 7. Love Song
  8. 8. Abre Las Manos
  9. 9. Taking A Page
  10. 10. October 12
  11. 11. My Boyfriend's In the Band
  12. 12. The Lost Coast
  13. 13. Will I See You Tonight?

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