laut.de-Kritik
Anarcho-Alarm! Nach ihnen bitte die Sintflut.
Review von Michael SchuhDa gab es also tatsächlich noch etwas, das Die Ärzte in zwanzig Jahren auf der Musikbühne (trotz überstandener Sintflut) noch nicht angefasst hatten: ein Doppel-Studioalbum. Nun wäre auch dieser Missstand endlich ausgeräumt, und zwar streng nach den dem Genre innewohnenden Regeln: Wie damals die Mammut-Rockwerke der 70er bietet "Geräusch" zwei Albumcover und einige überflüssige Songs (eine Leistung, die das Trio allerdings auch auf einfachen Alben ganz gut beherrscht).
Aber genug gemäkelt. Vor uns liegen 26 Songs, die nun wirklich kein zentrales Thema unserer Zeit außer Acht lassen: Gesellschaftskritik, Politikverdrossenheit, Rock'n'Roll, Piercing, Exkremente. Garniert mit selbstironischer Koketterie, peitschenschwingenden Zombie-Songs und zartbitteren Liebesschwüren; umgesetzt in chorlastigem Pop, Piano-Etüden, Latinrhythmen oder Was-eben-sonst-gerade-passt, überzogen mit haufenweise hymnischen Rock-Refrains, und ab und zu darfs auch ein zuckendes Punk-Gewitter sein. Schließlich reden wir hier von einer Band, die "den Punk erfand". Und damals, wir ahnen es, "war das alles unerschlossnes Land". Eben. Noch Fragen?
Die Punk-Attitüde der Berliner beginnt schon bei der Verpackung: Vinylschwarz gefärbte CDs mit Rillenprägung und ein um einen dicken Mittelfinger erweitertes Kopierschutz-Logo. Auf dem musikalischen Sektor sollte man dagegen weniger Innovation erwarten: Bela, Farin und Rod stagnieren, wenn auch auf einem Niveau, das für die meisten deutschsprachigen Rockbands unerreichbar bleibt.
War "Unrockbar" noch der mutige Versuch, fünf Stilrichtungen in vier Minuten unterzubringen, nimmt man sich dafür nun 90 Minuten Zeit. Leider muss an dieser Stelle wiederholt konstatiert werden, dass an Rod Gonzalez wahrlich kein Songwriter verloren gegangen ist, wenngleich "Anti-Zombie" ein fetter Rock- und mit Abstand der beste Rod-Song geworden ist. Zwischen 08/15-Punk wie "Pro-Zombie" oder schalen 80er Rock-Mitgröhlern wie "Nicht allein" lauern aber Hymnen wie der Opener, eine unerreicht rockbare und sprachlich auf Harald Schmidt-Niveau flanierende Punk-/Jazz-Persiflage.
Der Anarcho-Alarm versteckt sich wie so oft im Detail: "Kurt Cobain hat es gewusst, im Alter droht Gesichtsverlust", lautet eine der unerschrockenen Ärzte-Weisheiten, während im Hintergrund ein Kanonenschuss ballert. Der Musikhistoriker Urlaub verarbeitet in "Besserwisserboy" gewohnt galant ein Fehlfarben-Zitat, der Kosmopolit Urlaub darf sich im flamencotösen "Jag älskar Sverige!" mitteilen ("Cause I've got Schweden on my mind").
Im Booklet prangt ein Zitat des italienischen Trash-Filmers Dario Argento, der mit Filmtiteln wie "Feuertanz der Zombies" oder "Die neunschwänzige Katze" als gewaltige Inspiration für die Texte von Dunkelfürst Bela B. herhalten darf. Der Stehtrommler liefert mit der Nonsens-Trash-Nummer "Richtig schön evil" und dem düsteren Polit-Status Quo "Nichtwissen" seine besten Kompositionen ab. Nur lamentieren wäre der Band jedoch zu billig, so ruft "Deine Schuld" offensiv zu politischem Aktionismus auf.
Botschaften sind den Ärzten eben nach wie vor wichtig. Deshalb hat man wohl auch Country-Star Gunter Gabriel einen Part in "Besserwisserboy" zugewiesen. Der macht seine Sache gut (er singt ja nicht), und das sind eben diese Feinheiten, die darüber hinweg trösten, dass es mit "Der Tag" auch Songs gibt, die das Trio - trotz Gastsängerin - schon fünfmal geschrieben hat und die obendrein eigenen Oldies ähneln (hier: "Ich weiß nicht ob es Liebe ist"). Schwamm drüber: "Geräusch" enttäuscht mal wieder niemanden. Die Ärzte sind zurück. Nach ihnen bitte die Sintflut.
2 Kommentare
Meines Erachtens bestes Album im Schaffen der die ärzte. Die Mischung aus ernst und witzig ist perfekt und besonders musikalisch zeigt sich die gesamte Breite. Rods bester Song ever "Geisterhaus" oder "Anti-Zombie", Belas "die Nacht", Farins "Unrockbar" oder "System".. das sind schon - auf verschiedene Weise - ganz besondere Songs. Nur Farin konnte im Folgenende m.E. noch ähnlich Gutes fabrizieren.
Zunächst mal war der Einstieg von Rod ein Meilenstein in der musikalischen Qualität der Ärzte Alben. Fertigkeit, Sound und Arrangement- da hat Rod nicht nur 1 Scheit auf das Ärzte Feuer gelegt.
Mein Eindruck ist, er spielt alles was Saiten hat auf den Alben.
Dazu die Sonsg von Farin und Bela, eine gelungene Kombi.