laut.de-Kritik
Die Hoffnung auf den großen Wurf schwindet.
Review von Dominik LippeJahrelang galt Disarstar als politisches Aushängeschild, ja, gar politisches Gewissen des Deutschrap. Doch trotz vorzeigbarer Chartplatzierungen löste weder "Deutscher Oktober" noch zuletzt "Microdose" mit den Jugglerz Begeisterung aus. Während sich der Hamburger im ordentlichen Mittelmaß einpendelte, liefen ihm mit Finna, Ebow, Der Plot, PTK oder Babsi Tollwut spannendere Akteure ästhetisch und inhaltlich den Rang ab. Die Hoffnung auf den großen Wurf schwindet. Auf "Rolex Für Alle" drängt er nun seine Stärken zurück und räumt dafür Schwächen mehr Platz ein.
Durch den Titel echot Ludwig Erhards Forderung nach "Wohlstand für Alle". Von der Grundidee, jeden am gesellschaftlichen Wohlstand partizipieren zu lassen, verbleibt bei Disarstar nur eine merkwürdige Ehrerbietung von Statussymbolen. "Ich bin nicht gegen Ferrari, ich bin für Ferrari für alle", betont er in "Rolex Für Alle". Gerade das Schweizer Fabrikat funktioniert ausschließlich als Luxusgut zur Abgrenzung von finanzschwächeren Schichten. Die Uhrzeit ließe sich auch einfacher erfahren. Sinniger erschiene es, die Axt an künstlich verknappte Güter zu legen und "Keine Rolex für Niemand" zu fordern.
"Wir kommen an dein' Tisch und holen uns den Hummer", insistiert Disarstar auch in "Hunger". Nach seiner Strophe referiert eine Frau über Menschenwürde, als ergäbe sich diese erst durch den Verzehr von Krustentieren. Die "revolutionäre Bewegung muss eine reale und greifbare menschliche Perspektive entwickeln", zitiert sie weiter aus einer RAF-Erklärung. Es gelte, nach "einer neuen Gesellschaft" zu streben, in der "die Menschen anfangen, ohne Herrschaft und selbstbestimmt zusammenzuleben." Das klingt heute wie damals verboten naiv angesichts der Erkenntnis, wie instabil Machtvakuen sind.
"Ich schreib' Texte, die sich lesen wie 'n RAF-Bekennerschreiben", heißt es dann auch in "Pausenlos". Disarstar gefällt sich in der Widerstandspose, die sich zunehmend radikalisiert. Er bezeichnet sich selbst als "militant", immerhin stehen ihm laut "Alles Broke" die "Bullenarmee" und eine "Nazijustiz" gegenüber. Während er auf "Klassenkampf & Kitsch" Ansagen à la "Faschos ins Lager" noch ironisch gebrochen hat, skandiert er in "Rolex Für Alle" seine Parolen frank und frei: "Springer enteignen! FDPler vertreiben! Faschos ins Lager! Für bessere Zeiten!"
Außenpolitisch operiert der Rapper auf der naiven bis gemeingefährlichen Linie von Sahra Wagenknecht und Co. "Sie reden von Armut, aber erleben sie nie. Doch wenn sie Panzer exportieren, geht es um Demokratie", ätzt er im Titelsong. "Hier rollen Panzer für Frieden durch Länder", bemerkt er lieber sarkastisch, statt seine Position im Angesicht des Ukraine-Kriegs zu hinterfragen. "Bei all diesen Konflikten in der Welt geht es immer nur um Geld, nie um Freiheit und Rechte", rappt er in "Palace Walls", obwohl sich ja gerade die russische Invasion der kapitalistischen Logik weitgehend entzieht.
Dieser folgt Disarstar wiederum des Öfteren, auch wenn er schon im eröffnenden "In Meinen Schuhen" beteuert: "Ihr Missgeburten wollt Geschäfte machen und ich Kunst." Schon die Trap-Ästhetik in ihrer ödesten Form in "Mode Aus Paris" und "Alles Broke" wirkt seit einigen Alben wie ein Zugeständnis an den Zeitgeist. Da helfen auch die kommerziellen Überflieger The Cratez nur bedingt. Mit Autotune-Gesang stört DXVE in "In Meinen Schuhen" und "Palace Walls". Den Höhepunkt kommerzieller Verwertbarkeit erreicht aber "Supergirl", das sich am gleichnamigen Song von Reamonn bedient.
"Ich schieb' mein' Film, Album ist 'n Klassiker." Von einem Klassiker ist auch das sechste Album des Hamburgers meilenweit entfernt. "Rolex Für Alle" ist frei von originellen Gedanken. Statt sich Verbündete zu suchen, feiert er sich in Selbstüberschätzung als "lebende Legende", die von Rainer Wendt bis "Hippies im Liegerad vor Alnatura" alles und jeden zum Gegner erklärt. Disarstars Vision von einer besseren Welt erschöpft sich unterdessen in lachhaften Statussymbolen, die er zu nichtssagenden Instrumentals seit Jahren in die immergleichen Sprachbilder kleidet.
9 Kommentare mit 10 Antworten
Bin ja kein Fan von ihm, aber dass diesw Finna irgendwem in irgendwas den Rang abläuft glaube ich nicht.
Die fällt allerhöchstens mehr ins Gewicht.
Puh ist der ein wacker Plattitüdendrescher geworden. Das entlarvt allerdings auch das Publikum, denn jahrelang hat er's offenbar zwecklos mit gehaltvolleren Texten versucht und ist damit auch nicht besonders weit gekommen, weswegen er sich wohl zu diesem Schritt genötigt gesehen haben könnte.
Der Inbegriff von Wackness der Typ.
Klar, das Album ist leider max. ne 2/5 und "Supergirl" kann ich mir keine 5 Sekunden anhören.
Aber Deutscher Oktober war Mittelmaß und hat niemanden begeistert??? Wo hat Lippe gelebt in der Zeit???
Bringt leider alle Schwächen von Disarstar zurück, die er auf den Alben vor DO hatte. 4-5 gute Songs, die anderen eher misslungen, wie bei allen releases außer dem Debüt und DO.
Hoffe beim nächsten Album verabschiedet er sich von der Idee Plastik-Rap mit derbe heruntergebrochenem Inhalt in Modus Mio Playlist zu bekommen und zieht wieder ein durchdachtes Konzept musikalisch und inhaltlich durch, wie bei Deutscher Oktober.
"Wo hat Lippe gelebt in der Zeit?" Ich meine, damals wie heute hier gewesen zu sein: https://www.laut.de/Disarstar/Alben/Deutsc…
Supergirl ist eine Beleidigung für die Ohren. Extrem schlecht!
Ich feier das Album. Kann Rezi schon nachvollziehen, mir aber egal.. ich fühls. Kopf aus - Mucke an!