25. April 2018

"Ich kokettiere nicht mit NS-Ästhetik"

Interview geführt von

Zwei Jahre ist es her, dass eine pfälzische Kleinstadt auf die Landkarte des deutschen Indie-Pop-Geschehens rückte. Auf "Harieschaim" folgt nun "Zores".

Sein Erstlingswerk "Harieschaim" rekurrierte im Titel auf die Heimatstadt Herxheim und zählte zu den spannendsten deutschen Debütalben des Jahres. Am Freitag erscheint das zweite Drangsal-Album "Zores" und besteht überraschenderweise fast nur aus deutschsprachigen Songs. Wir trafen Sänger Max Gruber in Berlin und sprachen über Ängste, Die Ärzte und ärgerliche KZ-Vergleiche.

Wann hast du angefangen Songs für dieses Album zu schreiben?

Max Gruber: So richtig angefangen habe ich Ende 2016, und das ging dann ungefähr bis März. Ein paar Sachen gab es vorher bereits skizzenhaft. "Und Du?" haben wir zum Beispiel schon 2016 beim Release-Konzert zu "Harieschaim" gespielt. Der Refrain von "Turmbau zu Babel" ist sogar schon an die zehn Jahre alt. Viele Songs sind wie immer auch kurz vor knapp noch dazu gekommen.

Also hast du auch vor zehn Jahren schon auf deutsch getextet?

Ja, aber für mich galt früher immer das Credo: Drangsal wird in der Amtssprache internationaler populärer Musik gehalten – und die ist nun mal englisch. Deutsch kann ich nebenbei immer noch für andere Projekte machen, dachte ich. Aber in einem schwachen Moment hatte ich dem Produzenten Markus Ganter "Will Ich Nur Dich" vorgespielt und er hat mich überredet, es mit auf die erste Platte zu nehmen. Damals habe ich mich dagegen gesträubt, aber im Nachhinein bin ich ihm sehr dankbar dafür, denn dadurch hat er mir die Tür geöffnet, Drangsal zweisprachig zu halten. Auf dem neuen Album sind wahrscheinlich so viele Songs auf deutsch, weil sich das für mich noch neuer anfühlt. Ich fand es spannend, meinen eigenen Duktus zu finden, ein eigenes Sprachgefühl zu entwickeln und zu probieren, was gut klingt und ob ich überhaupt noch interessante Wendungen finden kann, die auch beim Zuhörer etwas auslösen.

Meinst du die Menschen sind bei deutschen Texten kritischer?

Ich glaube, sie hören jetzt zum ersten Mal richtig zu. Ich werde nie auf meine englischen Texte angesprochen. Auch bei der neuen Platte nicht, was ich sehr schade finde. Ich glaube nicht, dass die Leute kritischer sind. Das deutsche Ohr hört eben aufmerksamer zu, wenn die Texte in der Muttersprache sind. Das gilt sicher nicht für jeden, aber so erfahre ich es oft.

Was sagst du zu dem häufig vorgebrachten Die-Ärzte-Vergleich, den viele Leute bei deiner Single "Turmbau zu Babel" ziehen?

Ich war nie großer Ärzte-Fan. Ich finde die witzig und wichtig, aber für mich ist der Sound der Ärzte, mit dem ich groß geworden bin, nicht der, der in "Turmbau zu Babel" zu hören ist, denn dafür bin ich auch einfach zu jung. Ich kenne den Poprock-Sound von "Unrockbar" und "Männer sind Schweine". Aber wahrscheinlich hat Farin zu der Zeit, in der er die frühen Songs geschrieben hat, ähnliche Musik gehört wie die, die mich jetzt inspiriert. Es gibt ja auch den Farin-Urlaub-Racing-Team-Song "Sumisu", wo es im Refrain heißt: "Und da hörten wir die Smiths".

Die stimmliche Ähnlichkeit höre ich nicht so. Ich habe jetzt bald 25 Jahre lang mit dieser meinen Stimme verbracht und kann sie nicht anders wahrnehmen als eben meine Stimme. Ich glaube es ist eher dem Arrangement und dem Dur-Refrain geschuldet, dass es so heiter daherkommt und an Die Ärzte erinnert. Ich versuche es als Kompliment aufzufassen und natürlich ist es schön, wenn man es auch ohne den Newcomer-Bonus noch schafft, mit einer Single Reibung zu erzeugen.

"Morrissey ist schon vor langer Zeit stehen geblieben"

Du sprichst es gerade an, du bist großer The Smiths-Fan. Was sagst du zu den jüngsten Äußerungen Morrisseys im Spiegel-Interview?

Morrissey lebt in seiner eigenen kleinen Blase. Er ist ein sehr reicher weißer Mann, der jeglichen Bezug zur Außenwelt verloren hat. Er checkt einfach nicht mehr, was er sagen kann und was nicht. Das hat aber nichts mit den Sachen zu tun, die er vor 30 Jahren gesungen hat und wie geil die sind. Irgendwie ist es auch gut, wenn das Idol, die Statue langsam anfängt zu bröckeln. Denn auch Idole sind nicht unfehlbar und es liegt an einem selbst, zu versuchen, den Platz einzunehmen und es besser zu machen. Allerdings sagt Morrissey auch nicht erst seit gestern solche Sachen. Die Befindlichkeiten haben sich eben geändert. Es gibt gerade einen Paradigmenwechsel, zum Beispiel mit der MeToo-Bewegung, bei der es 2017 Jahre gebraucht hat, bis Betroffenen zugehört wird. Und Leute wie Morrissey sind einfach stehen geblieben, vor langer Zeit schon. Er ist schockiert, dass ihm jetzt auf einmal jemand Kontra gibt. Er hat schon vor Jahren gesagt, die Chinesen seien eine Subspezies, trotzdem hat niemand aufgehört auf seine Konzerte zu gehen.

Zurück zu deiner Musik. Wie kommt man auf die Idee einen Song "Jedem Das Meine" zu nennen?

Willst du mir jetzt dieses Buchenwald-Ding aufdrücken? Dann gehe ich aber raus.

Ich wollte eigentlich darauf hinaus, dass es ziemlich narzisstisch klingt.

Absolut, aber genau daran arbeitet sich der Song ja auch ab. Es ist ein sehr sarkastischer Blick auf die eigene Arroganz, die eigene Überheblichkeit und wie andere Leute das finden, wenn man davon ausgeht, dass man in allen Dingen immer Recht hat. Ich hatte ein Jahr lang Zeit, um mir darüber Gedanken zu machen, wie Dinge, die ich sage und mache bei anderen Menschen ankommen. Gerade als ich den Song geschrieben habe, hatte ich viele Probleme mit Leuten, die ich unfassbar mag. Meine Art, Dinge mit mir selbst zu klären, ist nicht, mit anderen darüber zu reden, sondern Songs darüber zu schreiben.

Und dieser Song ist mit einem ganz großen Augenzwinkern zu sehen, es ist eine ironische Auseinandersetzung mit ebendiesem Thema. "Gesunder Unmut, ungesunder Mut, bleib ich doch der Einzige, der weiß, was euch allen gut tut": Das kann man ja wirklich nicht über sich selbst sagen. "Ich will doch nur euer Bestes – Meins!" Es geht um jemanden, der auf einem sehr hohen Ross sitzt und merkt, die Dinge sind gar nicht so, wie sie ihm scheinen. Darum geht es in dem Song. Aber KZ-Thematik? Das Thema hatte ich gestern schon. Da denke ich mir, hast du den Song überhaupt gehört?

Ohne dir zu nahe treten zu wollen: Es ist nicht so abwegig, dass man darauf angesprochen wird, wenn man in Deutschland einen Song mit diesem Titel herausbringt.

Die Libertines haben einen Song namens "Arbeit macht frei".

Aber sie kommen nicht aus Deutschland. Wenn du das als deutscher Künstler machst, wird das eben in einem anderen Licht gesehen.

Das ist Messen mit zweierlei Maß. Natürlich gibt es eine historische Verantwortung, aber ich sehe keinen Grund, mir etwas aufzubürden, wofür es keine Grundlage gibt. Ich kokettiere nicht mit NS-Ästhetik. Wenn sich jemand nur daran aufhängen möchte, finde ich das der gesamten Platte gegenüber unfair. Ron Asheton und Lemmy trugen früher Naziuniformen. Würde ich das machen, könnte ich verstehen, wenn es einen Aufschrei gäbe. Aber ich nutze diesen Songtitel ja nicht zur Provokation. Ich glaube, da habe ich genug andere Arten und Weisen, wie ich Reibung erzeugen kann.

Meinst du, die Leute regen sich gerne auf?

Ja eh, aber die Leute sollten sich doch lieber über die wirklich schlimmen Sachen aufregen. Wenn zum Beispiel AfD-Politiker den Holocaust leugnen und dann trotzdem noch im Amt bleiben und keiner etwas dagegen macht, weil wir heute in einer Zeit leben, in der du montags "Heil Hitler" tweeten könntest und freitags ist in der Zwischenzeit schon wieder so viel andere Scheiße passiert, dass sich keiner mehr daran erinnert. Dagegen sollte man was machen, nicht gegen einen liberalen, linken Indie-Musiker.

"Was kann ich irgendwem von Struggle erzählen?"

Ein anderer spannender Song auf deinem neuen Album ist "Laufen lernen". Wovon emanzipierst du dich darin?

Ich wünschte, ich könnte mich von irgendetwas emanzipieren aber ich schaff's ja nie ganz. Das ganze Album ist irgendwie der Versuch, sich von dem loszulösen, was man glaubt, verpasst zu haben im Leben. Dinge, von denen man glaubt, da hätte man anders handeln sollen, da hätte man mitziehen sollen, das hätte man nicht tun sollen.

Kannst du ein Beispiel nennen?

Ich hab mir mein ganzes Leben lang Zugehörigkeit und Akzeptanz gewünscht, wollte geliebt werden, so wie jeder Mensch. Ob jetzt innerhalb einer Clique oder Szene oder Beziehung ist ja irrelevant. Einfach Zugehörigkeit. Und man hat ja immer Leute, die man cool findet und zu denen man gehören will, aber sich das aus irgendeinem Grund nicht traut, weil ein Teil von dir sie auch hasst. Ich versuche mich loszulösen von dem Gedanken, ich hätte gerne das und das gemacht, als ich noch jünger war. Aber das funktioniert nie so richtig. Darum der Satz "Sag mir wann fängt das Leben an?" Passiert es vielleicht doch noch für mich? Habe ich vielleicht auch mal so eine total losgelöste, unbeschwerte Zeit?

Aber haben diese Gedanken nicht viel mit Angst zu tun?

Voll. Und das ist auch der Grund, warum ich immer so unsympathisch daher komme. Weil ich einfach Angst habe, Leute an mich ranzulassen und das ein guter Schutzmechanismus ist. Und dann sagt man: Der Typ ist halt ein arrogantes Arschloch. Dabei habe ich einfach super krass Angst vor allem und besonders vor mir selber und davor, loszulassen und Dinge zuzulassen. Darum ist das ganze Projekt Drangsal auch so ein Kontrollzwang-Ding von mir. Aber selbst das entwickelt sich weiter. Zum Beispiel indem jetzt so viele Leute auf der neuen Platte dabei sind. Wir haben jetzt auch das erste Mal innerhalb der Live-Band einen Song zusammen geschrieben. Also alle zusammen im Proberaum, das ist völlig neu für uns in der Band. Sage ich jetzt nach vielen Jahren des Musikmachens.

Max Rieger von Die Nerven hat auch an deiner neuen Platte mitgearbeitet. Seine Band hat auch gerade ein neues Album veröffentlicht. Siehst du das als Konkurrenz an?

Gesunde Konkurrenz. Max macht bei mir mit und spielt mir was vor und dann höre ich seine Demoversionen und denke mir, geil, da muss ich mich aber anstrengen. Aber ich weiß, dass es Max auch so geht mit meiner Musik. Er hat mir seine All diese Gewalt-Sachen gezeigt und ich habe zum Beispiel gesagt: Du musst mal einen hittigeren Song machen, schneide das mal raus und geh direkt zum Refrain. Man hilft sich gegenseitig und versucht sich anzuspornen. Die neue Nerven-Platte ist großartig. Alles, was die vorher gemacht haben, ist dadurch beinahe nichtig geworden, weil man merkt, das war alles nur ein weiterer Schritt auf der Leiter und jetzt sind sie auf dem Dach angekommen. Das sind einfach die besten Songs und die besten Texte, die sie bisher hatten.

Du hast eben schon kurz die MeToo-Debatte angesprochen. Wie nimmst du den Sexismus in der deutschen Musikbranche wahr?

Es ist schlimm, dass die deutsche Popmusik so eine Schwanzparade ist. Was waren denn die geilen Popsongs vor zehn Jahren? Mia., Juli, Wir sind Helden. Judith Holofernes ist mit Sicherheit eine Songwriterin die auch beim anderen Geschlecht ihresgleichen sucht. Ich hoffe ja, dass 2018 Gender keine Rolle mehr spielt, weder in der Musik noch im Leben. Dass man Dinge nicht mehr benennen muss. Das Problem besteht ja nur, weil man auf die Welt kommt und gesagt bekommt, du musst entweder A oder B sein. Die Kluft wird immer größer und alles, was dazwischen passiert, wird sowieso gerne ausgeblendet, weil wir als Gesellschaft ängstlich und nicht darauf ausgelegt sind, neue Sachen zu akzeptieren. Ich merke aber, dass da etwas passiert, gerade durch das Internet, etwa wenn selbst Transgender-Kids in Marokko merken: Ich bin nicht alleine und es ist wichtig, dass auch ich gehört werde.

In meinem Video zu "Turmbau zu Babel" spielt Salomé Kießling mit, eine Transgender-Frau. Ich war noch nie so beeindruckt von einem Menschen. Was kann ich irgendwem von Struggle erzählen? Ich bin ein bisexueller, weißer Mann in Europa, der aus einer unteren Mittelschichtsfamilie kommt. Ich hatte keinen Struggle. Ich war nie eine Frau, ich war nie schwarz, ich war nie Transgender. Wenn mich jemand Schwuchtel nennt, hau ich dem halt aufs Maul. Aber ich kann keinem erzählen, was ihm weh tut. Ich bin nur Musiker. Ich wollte meine Musik nie politisieren oder instrumentalisieren um irgendeine Message zu senden, außer wie es mir selber geht.

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