laut.de-Kritik

Der Drive der Franzosen steckt an.

Review von

Grégory Mavridorakis beweist sich auf "Futur" mal wieder als einer der weltbesten Reggae-Schlagzeuger. Er steht Sly Dunbar oder Style Scott in nichts nach. Für seine Band Dub Inc entwickelte der Drummer ein elastisches Spiel, das Reggae-One Drop und Progrock-Riffs unterstützt, Rap-Einlagen den Takt vorgibt und Electroparts konturiert. Der Namen gebende Dub im engeren Sinne macht sich derweil rar: Maximal einzelne, verstreute dubbige Effekte sind auf "Futur" zu hören, zum Beispiel stellenweise in "Il Est Temps ft. Taïro". Live verwandelt die Gruppe diesen Sound erfahrungsgemäß in massive Stadionbrecher oder zartes Unplugged - dort dubbt es dann noch seltener.

Die Dub Incorporation macht nichts anders als auf vorherigen Platten. Aber sie gestaltet die Rezeptur dieses Mal besonders gut und liefert handfeste Songs. Der Einstieg überrascht mit einer anrührenden Ballade. "Nos Héros" und "Il Est Temps" haben weiche Synthie-Intros, entwickeln sich während des Verlaufs aber zu kantigen Tracks. Das antirassistische "Peu Importe" arbeitet mit Echo-Effekten und einer zarten Kora-Harfe - einer der typischen Dub Inc-Riddims aus der Feder von Bassist Moritz von Korff. Mit dessen Basics arbeiteten zahlreiche Artists weltweit, gerade in Süddeutschland (z.B. Jahcoustix), wo er fürs Münchner Label Oneness Stammkomponist ist. Sein Markenzeichen: Die Riddims geraten überdurchschnittlich melodiös fürs Genre, sie vereinen Schwung und Gemütlichkeit. Zudem sind sie auf Keyboards ausgelegt und nicht primär auf Drums und Bass.

In der Heimat sind die Franzosen eine der wenigen Rasta-Combos, die von ihrer Musik leben kann. Alle Bandmitglieder zeichnen sich als megastarke Experten ihres Fachs aus, wovon "Futur" durchweg ein glanzvolles Zeugnis ablegt: Ob man die doppelte Keyboard-Besetzung mit Idir und Frédéric nimmt, die viel Wärme in "Terre Promise", "Diamant" und "Allons Leur Dire" zaubert, oder das schneidende Gitarrensolo am Ende von "Nos Héros" herausgreift. Die Stimm-Doppelspitze - der hell singende Frontmann Hakim (a.k.a. Bouchkour) und Auréliens rauchiges Toastings und seine High Speed-Raps (z.B. in "Bad Boy ft. Alborosie") - zündet auf "Futur" wieder einzigartig, frisch, lebendig und unterhaltsam.

Wie "Doctor Dancehall" eindrucksvoll zeigt, strahlen die beiden Stimmen jeweils für sich und besonders stark im kontrastreichen Doppel ein enormes Charisma aus - gleichgültig, was sie am Ende texten. Versteht man die französischen Texte nicht, fehlt zwar einiges an Reiz, was deutsche Festivalbesucher:innen auch immer wieder mal kritisieren. Andererseits arbeitet sich die Incorporation oft an ernsten Themen ab, bei denen es auf genaue Wortwahl ankommt, etwa wenn sie sich zur Sozial-, Wohn- und Bildungspolitik ihres Landes äußern oder Kritik am Neo-Kapitalismus üben. In der eigenen Muttersprache funktioniert das nun mal am besten.

Zudem hört sich das Französische hier ausgesprochen elegant an, und die grundlegende Stimmung eines Songs erfährt man bei Dub Inc unmissverständlich durch Instrumentals, die jeweils zum Thema passen. Das majestätisch schneidige "Nos Héros" handelt von der Suche nach den Helden der Vergangenheit. Das optimistisch bouncende "Tour Du Monde" brainstormt über die Zukunft. Das vehemente "Il Est Temps" warnt vor Social Media-Trollen und Polit-Populist:innen und zeigt den Mechanismus von "faux débats", falschen Debatten, auf.

Gemäß dem algerischen Migrationshintergrund einiger Bandmitglieder trägt Bouchkour den Text von "Mazal" zur Hälfte in der Berbersprache Kabyle und in einer fremdartigen Tonleiter des Bergvolkes vor. Die Raï-Rock-Reggae-Truppe Democratoz von der Mittelmeerküste Algeriens mischt hier mit, die sich zu Zeiten des sogenannten arabischen Frühlings gründete. Auch der Song "Limites" spielt mit dem Switch zwischen Sprachen und Halbton-Spektren. "People Of The World" kombiniert an der Seite des Jamaikaners Kumar Bent Englisch, Französisch und Kabyle.

Mit je drei gedämpften, ruhigeren Nummern und drei Einheizern, mit vier Midtempo-Tunes und fünf halbschnellen Stücken erweist sich "Futur" als angenehm ausgewogene Mischung. Einige der Songs muten jetzt schon wie Klassiker an: Die melancholischen Beiträge "Terre Promise" und "Allons Leur Dire" sowie das ermutigende "Mélodie Rebelle". Letzteres schon allein deshalb, weil es den Stellenwert von Musik für Verbrüderung und geistige Befreiung aufs Podest hebt.

"Futur" ist ein unverzichtbares Album einer originellen Band, die essenziell wichtige, gesellschaftliche Themen in einem einzigartigen Stilmix samt spannender Instrumentierung verpackt. Der Drive steckt an, die Harmonien berühren, diese CD wärmt von innen.

Trackliste

  1. 1. Allons Leur Dire
  2. 2. Nos Héros ft. Balik
  3. 3. Tour Du Monde
  4. 4. Il Est Temps ft. Taïro
  5. 5. Peu Importe
  6. 6. Mélodie Rebelle
  7. 7. Terre Promise
  8. 8. Bad Boy ft. Alborosie
  9. 9. Mazal ft. Democratoz
  10. 10. Puzzle
  11. 11. Limites
  12. 12. Diamant
  13. 13. Jamais Seul
  14. 14. Doctor Dancehall
  15. 15. People Of The World ft. Kumar

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