laut.de-Kritik

Musik, die sich vom Zeitgeschehen emanzipiert.

Review von

Der Lebenskreislauf des Phönix eignet sich für ein Konzeptalbum wie nur wenige andere fantastische Naturschauspiele. Seine Genese, sein Verbrennen und seine Wiedergeburt mit feministischen Inhalten, Weltschmerz und naheliegenderen Vergänglichkeitsgedanken zu verknüpfen, hebt diese Grundidee aber auf ein höheres Niveau.

Alexandra Drewchin alias Eartheater, die als Künstlerin in New York sozialisiert wurde und sich längst nicht nur als Musikerin begreift, hat diese Überlegungen in eine Dreiviertelstunde orchestralen Performance-Pop gegossen, der Indie, Singer/Songwritertum und einnehmende akustische Instrumentierung zu einem der besten Alben des Jahres vermischt.

"Phoenix: Flames Are Dew Upon My Skin" klingt dabei erstaunlich gradeheraus. Der Experimentierdrang, der auf ihren vorherigen Alben, auf der betont hippen Avantgarde-Pop-Schmiede PAN wie auch auf Hausu Mountain, die Eingängigkeit im Zaum hielt, wird hier weitestgehend in homöopathischen Dosen verabreicht – lässt man Noise-Skizzen wie "Burning Feather" oder konzeptionelle Stützen wie "Kiss of The Phoenix" außer Acht.

Dafür dominieren feingliedrig instrumentierte Pop-Balladen, in deren traumhaften Melodien aus Harfen, klassischen Indie-Gitarren und im richtigen Maße eingesetzten Effekten Drewchins Stimme ein ums andere Mal versinkt. Auch Gegenteiliges passiert, ist das Verhältnis von Lyrics und akustischer Untermalung doch ein betont demokratisches.

Insbesondere wenn Drewchins Kopfstimme erklingt, entfesselt das Album seine ganze Wirkmacht. Designierte Standout-Songs wie die Vorab-Single "Below The Clavicle", "How To Fight" oder "Volcano" werden aber nicht in steter Regelmäßigkeit abgefeuert, sondern intelligent eingesetzt. Die Höhenflüge des Phoenix ergänzen behutsam aufgebaute, raumgreifende Stücke wie "Metallic Taste of Patience" oder "Fantasy Collision", die das Album emotional in der Balance halten und Eartheaters Gespür für kluge Strukturen unterstreichen.

Wenn "Faith Consuming Hope" mit seinen versöhnlichen Gitarrenakkorden schließlich als erweiterte Reprise des Openers das Album beendet, hat dieses die komplette Indie-Gefühlspalette einmal abgearbeitet, ohne dass sich Vergleichsgrößen unmittelbar aufdrängen würden. Eartheater ist damit das gelungen, wonach sich Künstler*innen 2020 am meisten gesehnt haben dürften: Einen musikalischen Eindruck zu hinterlassen, der maximal losgelöst vom Zeitgeschehen ist.

Trackliste

  1. 1. Airborne Ashes
  2. 2. Metallic Taste of Patience
  3. 3. Below The Clavicle
  4. 4. Burning Feather
  5. 5. How To Fight
  6. 6. Kiss of The Phoenix
  7. 7. Volcano
  8. 8. Phantasy Collision
  9. 9. Mercurial Nerve
  10. 10. Goodbye Diamond
  11. 11. Bringing Me Back
  12. 12. Diamond In The Bedrock
  13. 13. Faith Consuming Hope

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